Israels Phosphorgranaten im Gaza-Krieg: "Mama, sie werfen Feuer auf uns"
Es gibt kaum Zweifel daran, dass Israel im Gaza-Krieg Phosphorgranaten eingesetzt hat. Ärzte behandelten Opfer, deren Verletzungen ihnen "völlig neu waren".
GAZA-STADT/ BEIT LAHIA taz In der Decke des ausgebrannten Hauses klafft ein großes Loch. Dort sei die israelische Phosphorgranate eingeschlagen, erzählt Ahmad Abu Halimeh. "Im nächsten Moment stand das ganze Haus in Flammen. Dann kam dieser starke Geruch. Man konnte nicht mehr atmen. Und es brannte in der Kehle. Und dann wurde mir schlecht", erinnert er sich an den schicksalhaften Mittag des 4. Januar. "Mein Vater brannte sofort lichterloh", führt er fort. "Wir haben versucht ihn zu retten, die Flammen auf ihm zu ersticken. Aber der Phosphor hat im Inneren seines Körpers gebrannt bis zu den Knochen hin. Das ist, wie wenn der Körper schmilzt".
Ahmads Haus steht in Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen. Vom Balkon aus hat man einen guten Blick auf die israelische Stadt Aschkelon. Drinnen haben sie inzwischen einigermaßen aufgeräumt. Bis auf die beiden kohlgeschwärzten Räume. Der Phosphor hat ein paar bräunliche Flecken an der Wand hinterlassen. Und einen merkwürdigen Geruch, der bis heute in den Räumen hängt. In dem Zimmer liegen noch die Reste der Granate, die das tödliche Feuer in das Haus hineingetragen hat. Die Phosphorstücke haben sie auf dem Schutthaufen vor dem Haus entsorgt: Kleine, ebenfalls bräunliche Brocken.
Um zu beweisen, dass es sich nicht um irgendwelche harmlosen Stücke handelt, schlägt Ahmad kurz mit einem Stein darauf. Eine paar grünweiße Funken sprühen, dann entzündet sich der Brocken und weißer Rauch steigt auf, der einem den Atem nimmt. Zwanzig Tage nach dem Einschlag in das Haus, lässt sich der Phosphor immer noch mit einem kurzen Schlag entzünden. Bei dem Versuch, ihn in einer kleinen Pfütze zu ertränken, fängt es noch mehr zu brennen an. Erst unter einem alten Handtuch erstickt das Feuer schließlich.
Im Nachbarhaus der Abu Halimehs hatte die israelische Armee in Kriegstagen einen Vorposten errichtet. Drinnen haben die Soldaten an der Wand einen Spruch hinterlassen. "Das nächste Mal wird noch mehr schmerzen", steht dort auf Hebräisch.
Ein paar Kilometer weiter im Schifa- Zentralkrankenhaus von Gaza-Stadt kämpft Ahmads Mutter Sabah mit den Schmerzen ihrer Brandwunden und dem Verlust ihrer Kinder und des Mannes. Ein Arm ist mit Mullbinden abgedeckt, genauso wie ihre beiden Füße. Der Rest der Verbrennungen, die auf ihrem ganzen Körper bis zum Hals reichen, ist von ihrem Nachthemd verdeckt. Auch dass ihre ganzen Haare verbrannt sind sieht man nicht.
Sabah trägt ein Kopftuch. "Ich saß gerade mit der Familie mittags zusammen, als die Granate im Haus einschlug", beginnt sie ihre Beschreibung. Sie war dabei, ihre einjährige Tochter zu stillen. Durch die Wucht des Einschlages sei das Baby in die Flammen gefallen. "Es hat noch dreimal Mama geschrien, dann habe ich nichts mehr gehört", erinnert sich Sabah. Auch die anderen Kinder hätten geschrien: "Mama sie haben Feuer auf uns geworfen". Vier ihrer Kinder und ihr Mann sind in den Flammen umgekommen, zwei Kinder liegen mit schweren Verbrennungen in Ägypten im Krankenhaus.
Ein paar Zimmer weiter sitzt Doktor Nafis Abu Schaaban. Er leitet seit 15 Jahren die Abteilung für Verbrennungen. "Ratlos" ist vielleicht das beste Adjektiv, mit dem sich der alte, sehr ruhige palästinensische Arzt beschreiben lässt. "Im Krieg wurden hier Fälle eingeliefert, die für uns völlig neu waren", beginnt er. Die Verletzten hätten manchmal kleine Verbrennungen gehabt, die sich aber schnell ausweiteten. "In manchen Fällen haben die Wunden noch Stunden danach geraucht", erzählt er.
Deshalb haben die Ärzte irgendwann beschlossen, derartige Brandopfer direkt in den Operationsraum zu fahren. "Wir haben ihnen dann sofort das verbrannte Gewebe herausgeschnitten. Manchmal haben wir im Fleisch Stücke gefunden, die sich an der Luft entzündeten, nachdem wir sie aus dem Körper gezogen hatten". Er arbeitet seit 20 Jahren als plastischer Chirurg, aber so etwas habe er in seinem Leben noch nie gesehen.
Es sei schwer die Menschen zu behandeln, er wisse nicht um was für Verbrennungen es sich genau handle und von welchen Waffen sie ausgelöst worden seien. Ein paar ausländische Ärzte hätten gesagt, es handle sich um Phosphorverbrennungen. "Wir brauchen ausländische Fachleute, die uns bei der Behandlung und auch bei der Dokumentation dieser Fälle helfen", fordert er. "Patienten und deren Verwandten kommen mit vielen Fragen zu mir", sagt er verzweifelt, "und ich kann sie nicht beantworten".
Nach internationalem Recht ist der Gebrauch von Phosphorwaffen zwar nicht verboten, aber nur erlaubt, um die Kampfzone zu erleuchten oder Rauchwände zu schaffen, die die eigenen Truppenbewegungen verbergen. Auf Zivilisten oder in dicht besiedelten Gebieten dürfen sie laut Waffenkonvention von 1980 nicht abgeschossen werden.
"Als Antipersonenwaffen waren die Phosphorgranaten nie gedacht", sagt Chris Cobb-Smith, Militärexperte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und ehemaliger Offizier in der britischen Armee der taz. Er bestätigt nach seiner ersten Recherche im Gazastreifen, "dass Phosphor-Granaten an vielen Orten in in den Gazastreifen gefeuert wurden." Die eindeutigen Beweise lägen überall herum: "Nicht nur das Phosphormaterial, das immer noch vor sich hin glimmt, auch die Hülsen der Granaten. Sie sind mit einem Zeitzünder ausgestattet, mit dem man einstellen kann, wann eine Explosion die Phosphorstücke verteilen soll".
Auf die Nachfrage, ob die israelischen Phosphorgranaten vielleicht versehentlich falsch gelandet sein könnten, hat der Waffenexperte eine eindeutige Antwort: "Das ist ausgeschlossen, die Phosphorgranaten wurden bewusst auf dichtbesiedelte Wohngebiete abgefeuert". In einer schriftlichen Erklärung beschreibt Amnesty diesen Gebrauch von Phosphorwaffen als mögliches Kriegsverbrechen und fordert eine unabhängige internationale Untersuchung.
Am Mittwoch veröffentlichte die israelische Armee eine kurze Erklärung. Darin heißt es, die Armee untersuche, ob ihr Gebrauch von Phosphor unangemessen gewesen sei und wiederholt, dass die Armee in dieser Angelegenheit "dem internationalen Recht gegenüber verpflichtet ist". Noch in den Kriegstagen wollten israelische Regierungsbeamte nicht bestätigen, dass die Armee Phosphorwaffen verwendet. Damals verkündete die Militärsprecherin lediglich, dass alle verwendeten Waffen legal seien und dass sie nicht über Einzelheiten der verwendeten Munition Auskunft geben wolle.
Im Krankenhaus von Gaza beugt sich Doktor Abu Schaaban resigniert über seinen Schreibtisch. "Mit all den hohen und demokratischen Werten ihrer westlichen Zivilisation haben sie in Europa und in den USA dem Krieg einfach nur 22 Tage zugesehen", sagt er. "Als ob sie sich im Fernsehen ein Drama anschauen."
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