piwik no script img

Israels Angriff auf den IranVölkerrechtliche Zeitenwende

Gastkommentar von Cornelius Adebahr

Bei Israels Angriff auf den Iran agiert der Westen mit Doppelmoral. Damit trägt er mehr zu Erosion des Völkerrechts bei als der offene Regelbruch mancher Autokraten.

Israel hat allein gehandelt und zum wiederholten Mal das Völkerrecht verletzt Foto: Majid Asgaripou/Wana/reuters

D er israelische Angriff auf iranische militärische und nukleare Einrichtungen markiert eine Wasserscheide – für die Region, aber womöglich auch für die Welt. Denn in der Reaktion der Weltgemeinschaft wird sich zeigen, ob es mittelfristig noch so etwas wie eine internationale Ordnung gibt, die zwischenstaatliches Handeln einhegt. Oder ob wieder das Recht des Stärkeren gilt, das in vergangenen Jahrhunderten zu dauerhaften Kriegen geführt hat.

Richtig, es geht hier nicht in erster Linie um Irans Atomprogramm oder Netanjahus politische Zukunft. Der israelische Premier mag sich ausrechnen, dass die Fortsetzung und Steigerung des von ihm selbst ausgerufenen „Siebenfrontenkriegs“ ihn davor bewahren werden, politisch per Urnengang oder juristisch durch die Gerichte zur Rechenschaft gezogen zu werden. Seine Argumentation, er habe mit dem Angriff eine unmittelbare Gefahr für sein Land abwenden müssen, ist angesichts der laufenden Atomgespräche zwischen Iran und den USA unglaubwürdig.

Und auch wenn die Berichte der Internationalen Atomenergiebehörde auf eine gesteigerte Urananreicherung und mangelnde Kooperation seitens Teherans hindeuteten, so war Iran doch selbst in den Worten Netanjahus vom tatsächlichen Bau einer Bombe – so diese Entscheidung denn getroffen würde – noch Monate entfernt.

Auch der US-Präsident kommt aus dieser Nummer nicht heraus, selbst wenn er erst verlautbaren lässt, Israel habe allein gehandelt, um im nächsten Moment die Angriffe zu loben und dem Land seine Unterstützung zuzusagen. Vor allem aber war Donald Trump derjenige, der mit dem Austritt aus dem Atomabkommen 2018 die aktuelle Situation – in der ein immer weniger kontrolliertes iranisches Atomprogramm als regionale Bedrohung wahrgenommen werden konnte – überhaupt erst herbeigeführt hat. Und der den „besseren Deal“, den er schon in seinem ersten Wahlkampf 2016 versprach, bis heute nicht ausgehandelt hat.

Die Europäer sind einmal mehr Zuschauer in einem Stück dessen Dramaturgie sie nicht verstehen
Cornelius Adebahr

Cornelius Adebahr ist selbst­ständiger Politik­berater und Analyst in Berlin, wo er zu europäischen und globalen Frage­stellungen arbeitet und den Bürger­dialog über Außenpolitik fördert. Er ist seit Anfang 2006 am Forschungs­institut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) tätig und lebte von 2011 bis 2016 in Teheran.

Und die Europäer? Sind einmal mehr Zuschauer in einem Stück, dessen Akteure sie zwar zu kennen glauben, aber dessen Dramaturgie sie nicht verstehen – und in das sie dennoch meinen, eingreifen zu müssen.

Was wissen wir schon

Was wissen wir schon über das Gefühl, in einem Staat wie Israel zu leben, der seit seiner Gründung aus einer historischen Katastrophe heraus von den Nachbarn bekämpft wird, dabei selbst zu verrohen droht und in dem sich gleichzeitig tiefe innere Gräben zwischen liberalen und religiös-nationalistischen Einstellungen auftun? Was wissen wir über die Menschen in einem Land mit mehrtausendjähriger Geschichte, die vor rund 45 Jahren einen autoritären Monarchen zu Fall brachten, nur um seitdem von einer theokratischen Klasse unterdrückt und dem Großteil der westlichen Welt ausgegrenzt zu werden?

Und wie könnten wir verstehen, was in dem Kopf des mächtigsten Mannes der Welt vorgeht, für den sämtliche internationale Konflikte nur „dornige Deals“ sind, die es zu schließen gilt, weil doch jeder – wie er selbst – nur auf seinen ökonomischen Vorteil bedacht sei?

Was wir aber nachvollziehen können, ist die große Verwunderung in weiten Teilen der Welt über die selektive Anwendung von Regeln und das willkürliche Einfordern des Einhaltens derselben durch andere. Das heißt, um es plakativ an den zwei prominentesten Fällen seit 2022 festzumachen: Wir können nicht auf Dauer folgenlos den Völkerrechtsbruch des einen (Russland gegenüber der Ukraine) beklagen und bekämpfen und den des anderen (Israel in Gaza) beschweigen und nicht ahnden.

Ja, die Gesamtlage ist kompliziert und jeder Fall bedarf einer gesonderten Betrachtung, inklusive Vorgeschichte und möglicher Verbrechen auf beiden Seiten. Doch genau dafür ist das Völkerrecht da: allgemein gültige Regeln, die für alle Staaten gelten (sollten), egal ob sie unsere Verbündeten sind oder nicht. Im konkreten Fall heißt das: Wer, wie die Bundesregierung, den anlasslosen – und vermutlich völkerrechtswidrigen – Angriff Israels mit Verweis auf Irans mögliche Verletzungen des Nichtverbreitungsvertrags vorauseilend legitimiert, den Gegenschlag hingegen als „unterschiedslosen iranischen Angriff auf israelisches Staatsgebiet […] auf das Schärfste“ verurteilt, misst eindeutig mit zweierlei Maß.

Wenn die einen gleicher sind

Es ist diese Doppelmoral im Umgang mit dem Völkerrecht, die langfristig mehr zu Erosion der internationalen Ordnung beiträgt als der offene Regelbruch mancher Autokraten. Denn auch innerhalb einer Gesellschaft finden täglich Tausende Gesetzesverletzungen statt; doch solange sie unparteiisch verfolgt und bestraft werden, bleibt das zugrundeliegende Regelwerk anerkannt. Wenn dieses aber offenkundig nur für die einen gilt und für manche nicht, wenn Letztere also „gleicher“ sind als die anderen – dann verlieren die bestehende Ordnung und deren Verfechter ihre Glaubwürdigkeit.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Noch einmal: Es kann Gründe geben, sich in der aktuellen Situation reflexhaft an die Seite Israels und der USA zu stellen, von unserer eigenen Geschichte bis zur Sorge um den Bruch des transatlantischen Bündnisses. Es ist möglich, zu dem Schluss zu kommen, dass ein Beharren auf das Völkerrecht – Verbot eines Angriffskriegs und bewaffneten Angriffen auf Nuklearanlagen, Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten – praktisch unmöglich ist.

Doch müssen wir uns bewusst sein, dass wir damit eine regellose Welt herbeiführen, in der kleine und mittelgroße Staaten der Willkür der Großmächte wie den USA, China und Russland ausgeliefert sind. Dass Deutschland und Europa als Verfechter des Völkerrechts und der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Ordnung ausfallen. Dass wir uns damit noch abhängiger von den Launen des Mannes im Weißen Haus machen, der uns seinen Willen aufzwingen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Die Großmächte haben schon seit Jahrzehnten mit ihrem Vetorecht im UN Sicherheitsrat dazu beigetragen, dass Verstöße gegen das Völkerrecht nicht geahndet werden.

    Gleiches gilt für die Nichtakzeptanz des Weltgerichtshofs der sich sogar Sanktionen und Gewaltandrohungen seitens der USA ausgesetzt sah.

    Die größte Schwäche ist daher nicht, dass gegen das Völkerrecht verstoßen wird, sondern das die Verstöße meist folgenlos bleiben.

    Recht was nicht durchgesetzt wird erosiert zwangsläufig und das wird beschleunigt durch die Haltung der Hegemonialmächte, die nach außen hin zwar eine völkerrechtszentrierte Weltordnung einfordern, sich aber nur dann darauf berufen, solange nicht ihre eigenen Interessen berührt werden.

    Die vom Autor beklagte Doppelmoral ist in der Hinsicht lediglich die Spitze des Eisbergs, aber nicht das grundlegende Problem.

    Abhilfe könnten da als erster Schritt Kooperationsbündnisse der Europäer mit anderen Staaten in Afrika, Asien, Südamerika oder im Nahen Osten schaffen und es bedürftige zudem eine Reform innerhalb der UN.

  • Ich empfinde den Verfall der liberalen "Weltordnung" auch als Katastrophe, die Schuld daran Europa zuzuschieben erscheint mir aber nicht ganz fair. Ausser europäische Länder hat sich kaum eine Regierung auf der Welt ernsthaft für eine regelbasierte Ordnung eingesetzt. Und selbst in Europa wurden diese Regeln seit je her selektiv angewandt, den USA liess man immer alles durchgehen, bspw. Jahrzehnte von orchestrierten Militärputschs in Lateinamerika.

    Auch interessierte sich der Grossteil der Welt, sei es Indien, China oder der Iran, keinen Deut für das Völkerrecht als Russland die Ukraine überfiel, sie handelten und paktierten weiter mit dem Putin-Regime. In diesen und zahllosen anderen Ländern galten und gelten Menschenrechte et al. sowieso seit je als "westlich", "kolonialistisch" etc. Entsprechend können sich diese Regierungen ihre Kritik an der Doppelmoral Europas sonst wo hinstecken.

    Zu guter Letzt: Iran und Israel führen schon seit längerem offenen Krieg. Hisbollah, Hamas und Huthi sind iranische Proxies, das kann man nicht unerwähnt lassen.

  • Danke für diesen Text!