Israel und palästinensische Gebiete: IGH soll Besatzung untersuchen
Die UN-Vollversammlung fordert das oberste UN-Gericht auf, die Besatzung der Westbank zu untersuchen. Kritik kommt von Israels neuer Regierung.
Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im sogenannten Sechstagekrieg 1967 erobert. 2005 zog es seine Truppen aus dem Gazastreifen ab. Das Westjordanland steht weiterhin größtenteils unter Kontrolle der israelischen Armee. In dem Gebiet leben mittlerweile auch mehrere Hunderttausend israelische Siedler*innen, teils in kleinen und mittelgroßen Städten, die sich kaum mehr vom Rest Israels unterscheiden.
Der IGH ist das höchste UN-Gericht. Die nun eingeforderte Stellungnahme wird nicht bindend sein, würde aber laut Expert*innen Autorität genießen in Fragen der Auslegung des Völkerrechts. Der UN-Vollversammlung geht es in ihrer jüngsten Resolution nicht um eine Einschätzung der Siedlungen, die als völkerrechtswidrig gelten, sondern um die seit mehr als 55 Jahren anhaltende Militärbesatzung als solche.
Eine Stellungnahme des IGH würde damit jenen eine Argumentationshilfe an die Hand geben, die die Position vertreten, dass es sich in Nahost nicht um eine temporäre Militärbesatzung handelt, sondern um einen dauerhaften und völkerrechtswidrigen Zustand. Allein die israelische Regierung, so die Argumentation, habe die Kontrolle über das gesamte Territorium zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan.
Die Palästinenser*innen im Westjordanland, die demzufolge ebenso unter israelischer Herrschaft stehen wie die Staatsbürger*innen in Kernisrael, genießen jedoch nicht dieselben Rechte. Dies ist die Grundlage für den von Palästinenser*innen, aber auch von israelischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen erhobenen Vorwurf der Apartheid. Diesen weist Israel, das von Nachbarstaaten unverhohlen bedroht wird und für seine Sicherheit auf internationale Unterstützung angewiesen ist, vehement zurück.
„Antiisraelische Entscheidung“
Entsprechend fielen am Wochenende die Reaktionen aus Israel auf die UN-Resolution aus. Der neue Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte: „Wie Hunderte von anderen verqueren Resolutionen der UN-Vollversammlung gegen Israel wird auch die heutige Resolution die israelische Regierung nicht verpflichten. Das jüdische Volk hält sein Land nicht besetzt.“
Die neue Regierung, die erst am Donnerstag vereidigt wurde und zu deren Koalitionsparteien religiöse Fundamentalisten und Ultranationalisten gehören, hatte in ihrem Koalitionsvertrag erstmals in voller Klarheit Anspruch auch auf das Westjordanland als israelisches Staatsgebiet angemeldet. Mit „sein Land“ dürfte also auch das Westjordanland gemeint sein.
Israels neuer Außenminister Eli Cohen sprach von einer „antiisraelischen Entscheidung, die Terrororganisationen und der antisemitischen Boykottbewegung BDS Unterstützung gewährt“.
Deutschland wie auch Großbritannien und die USA stimmten gegen die Resolution; 58 Länder enthielten sich; 87 stimmten dafür. Auch Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko, die sich in den vergangenen Jahren Israel angenähert und in einem historischen Schritt offiziell Beziehungen aufgenommen haben, stimmten für die Resolution.
Der IGH ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der im Nahostkonflikt ebenfalls eine Rolle spielt. Dieser hat 2021 Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten eingeleitet. Dabei geht es unter anderem um den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen 2014, aber auch um mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seitens palästinensischer Akteure.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“