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Islamische BestattungenMit Habeck auf dem islamischen Friedhof

In Berlin dürfen Muslime ihre Toten auf Wunsch auch ohne Sarg in einem Leichentuch beerdigen. Über ein Begräbnis mit einer großen Trauergemeinde.

Der Islamische Friedhof in Berlin-Neukölln, ein Archivbild von 2012 Foto: dpa/Robert Schlesinger

M it tieftraurigen Gesichtern standen ihre vier Söhne und einige der Enkelkinder an diesem grauen Berliner Novembertag im Torbogen des Friedhofs. Betrübt begrüßten sie jeden der ankommenden Trauergäste bereits an dieser Stelle persönlich; der Wagen des Bestatters sollte jeden Moment einfahren. Darin der Sarg ihrer geliebten, über achtzigjährigen Frau Mama. Eine stolze, weltliche Frau war sie, das bekam auch ich aus der Ferne mit. Unsere Familien schätzen und kennen sich aus längst vergangenen West-Berliner Tagen. Ich war damals noch ’n kleener Steppke. Wir teilen das gleiche Schicksal: geflohen vor dem Sowjetkrieg in Afghanistan.

Dieser Friedhof bietet als einer von wenigen Orten in Berlin Flächen für islamische Bestattungen. Beisetzungen nach (mehr oder weniger) muslimischer Tradition werden nicht auf herkömmlichen Flächen durchgeführt. Die Gräber müssen, vereinfacht gesagt, nach Mekka ausgerichtet sein. Frömmigkeit ist keine zwingende Voraussetzung für eine Beerdigung dieser Art. Mitunter spielt Identität eine große Rolle, allemal außerhalb der ursprünglichen Heimat – besonders für die erste Generation.

So war auch diese Trauergemeinde ein dem Anlass entsprechend dunkel gekleidetes, aber dennoch buntes Sammelsurium von – rund 150 – Menschen: gläubig, fromm, zweckreligiös, säkular, agnostisch, atheistisch, rebellisch, vielleicht auch radikal, das vermag ich nicht zu sagen. Es waren Ärzte und andere Aka­de­mi­ke­r:in­nen darunter, Künstler:innen, Erwerbslose, Angestellte, Selbständige, Verzweifelte, Orientierungslose, Junge, Alte, ach, halt einfach Menschen mit verschiedenen Biografien.

Die letzten Meter begleiten die Angehörigen und ihre Gäste den Sarg nicht einfach nur, sie tragen ihn auf ihren eigenen Schultern, abwechselnd, immer auf 6 Paar verteilt. Am Grab angekommen, wird er vorsichtig herabgelassen und anschließend von den Trauernden mit Erde zugeschüttet, bis das Grab vollständig geschlossen ist. Seit 2010 dürfen Muslime in Berlin ihre Toten auf Wunsch auch ohne Sarg, in einem Leichentuch beerdigen.

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Unglaublich viel Kraft gespendet

Vor, während und nach dieser Zeremonie wird gemeinsam mit einem eigens engagierten Imam gebetet beziehungsweise spricht dieser die nötigen Gebete – neben möglichen letzten Abschiedsworten der Angehörigen. Diese auf manche vielleicht befremdlich wirkende Prozedur in einer kurzzeitig zusammengekommenen Gemeinschaft der Trauernden kann einem unglaublich viel Kraft spenden. Wer sich darauf vorbehaltlos einlässt, spürt, wie tröstend das sein kann – fernab der eigenen Weltanschauung, der tatsächlichen Religiosität, ideologischen und parteipolitischen Prägung.

Als ich vor einigen Wochen diesem Abschied beiwohnte, kam ich nicht allein. Ich hatte den kompletten aktuellen innenpolitischen Diskurs im Gepäck, der sich durch den Nahostkrieg über uns alle hinweg wölbt und die wildesten Kapriolen hier in Almanistan schlägt. Neben den üblich ätzenden Verdächtigen sah ich vor allem zwei Politiker vor mir, die mir bisher selten in diesen Zusammenhängen erschienen: Frank-Walter Steinmeier und Robert Habeck, mit ihren vielbeachteten Reden in den vergangenen Wochen.

Beide sind klüger als die klassischen Hetzer. Sie wissen, dass die große Mehrheit der tatsächlichen und als solche gelesenen Muslime genauso ticken wie diese Trauergemeinde. Sie sind ebenso bunt und widersprüchlich. Wie und warum überhaupt sollen wir uns von Terrorismus, von der Hamas und anderem geistig-seelischen Schund distanzieren?

Und mal praktisch gefragt: Wo überhaupt soll das passieren? Auf den Marktplätzen dieser Republik? Vor Gericht oder in den Räumen der Bundestagsfraktionen? Ich bin mir sicher, wären sie wirklich dagewesen, sie hätten sich geschämt.

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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4 Kommentare

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  • Ich finde den Artikel gut - aber warum sollte ich mich als Deutscher vom NSU oder den Mördern von Hanau oder Halle distanzieren? Niemand muss es, aber es ist ein Zeichen.

  • Ich finde den Artikel interessant und natürlich relatable für alle, die schon mal auf einer Beerdigung waren. Wie Margot Friedländer so schön sagt: es gibt kein muslimisches, christliches, jüdisches (…) atheistisches Blut. Nur menschliches. Und im Tod sind wir dann sowieso alle gleich.

    Das Thema wäre also ideal für eine grundsätzlich versöhnliche Haltung. Die Biege Richtung Weltpolitik war dann wohl dem Bedürfnis des Autors geschuldet, sich als Opfer zu stilisieren. So von wegen: Warum wird man als muslimisch gelesener Mensch gefragt, wie man zu dem Pogrom vom 7.10. steht und ob man die Hamas verurteilt! Wie können „sie“ es wagen…

    Letztlich ist das eine vertrauensbildende Maßnahme. Für wen es „außer Frage“ oder selbstverständlich ist, islamistischen Terror zu verurteilen, der möge das doch einfach sagen, wenn er z. B. Zum Thema was sagt oder danach gefragt wird. Verstehe wirklich nicht - und schon gar nicht angesichts mancher terrorrelativierender Aussagen von Leuten, von denen man das nicht unbedingt erwartet hätte, warum diese Klarstellung immer so als Affront empfunden wird. Oder geht es um Angst?

  • Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Rafiq: Jeder Mensch hat das Recht, als Individuum wahrgenommen und beurteilt zu werden. Schon wären wir einen großen Schritt weiter.

  • Wenn die deutsche Zivilgesellschaft es im Falle von Rechtsextremen, Schwurblern und Verschwörungstheoretikern so halte würde, wie der Autor mit der Hamas, Terror und Terrorunterstützern- und Verhamlosern, hätten wir ein Problem. Es ist doch wichtig, dass man sich solchen Leuten entgegen stellt und im Falle der AfD bspw. klar macht, dass diese Partei nicht für die Mehrheit der Deutschn spricht. Aus muslimischen Kreisen hört man immer wieder, das man mit den Radikalen auf den Demos nicht in einen Topf geworfen werden will, aber für Gegendemos, die aufzeigen, das man mit dem Hass und der Hetze nicht einverstanden ist, reicht es dann nicht und man zeigt sich noch beleidigt, wenn vom Bundespräsidenten Zivilcourage gefordert wird.