Der Platz der Berliner Plätze: H wie Hermannplatz, H wie Hass

Der Hermannplatz nervt! Mit seinem Gewimmel, seinem Gesabbel, seinem Gedränge und dem Gestank ist er eine einzige Zumutung, meint unser Kolumnist.

Das Straßennamensschild mit der Aufschrift „Hermannplatz“ steht im Stadtteil Neukölln am Hermannplatz

Promi unter den Berliner Plätzen: der Hermannplatz Foto: picture alliance/dpa/Christophe Gateau

Ey, Hermannplatz, du kleine Drecksau! Alter, gehst du mir auf den Senkel! Mein Hass ist so groß, ich weiß gar nicht, wohin damit. Dein Gewimmel, dein Gesabbel, dein Gedränge und Gestank …

Du bist der Profi unter den Zumutungen dieser Stadt! Perfekt für jemanden, der in Menschenmassen zu einer, sagen wir mal, gewissen sozialen Skepsis neigt und das Ende der Pandemie für einen miesen Verschwörungsmythos hält. Also wie für mich gemacht. Seit zwanzig Jahren kommst du mir in die Neuköllner Quere. Gehe ich zur Arbeit, in den Baumarkt oder treffe Freunde, kreuzen sich unsere Wege, fast jeden Tag. Herrje!

Bereits beim Überqueren der Sonnenallee lautet das Motto: Vollkontakt. Tobt auf deiner zu klein geratenen Mittelinsel der Wochenmarkt, lautet die Devise: Rangeln für Fortgeschrittene. Stoßweise fallen hier Menschenmassen vom Himmel, drängen gleichzeitig in alle Richtungen und zurück.

Auf dem Asphalt das gleiche Bild: Überfüllte Doppeldecker rollen erschöpft an ihre Endhaltestelle, dicht beladene Gelenkbusse fräsen sich keuchend durch den Verkehr. Alda, was für ein Verkehr! Wie ein Bulle, der ständig mit den Hufen scharrt. Chillt mal, ey!

Testosteron und reichlich Galle

Von Testosteron angetriebenes Blech, das mehr schlecht als recht um Aufmerksamkeit buhlt. Deinen Platz und die Kreuzung säumen Herden diabolischer Drahtesel, mit Galle machen sie den Vierrädern Konkurrenz. Dazwischen das wichtigtuerische Gedränge von uns Fußgänger:innen. Auf dem Boden Bettelnde, die im nervösen Treiben ein weiteres Mal unterzugehen drohen. Die Straßen scheinen zu schmal, die Gehwege zu kurz.

Ob überirdisch oder in deinem Untergrund: Aggro Berlin

Ob überirdisch oder auf den Bahnsteigen in deinem Untergrund, alle paar Meter ätzen geladene Teilchen auf der Suche nach Gelegenheiten zum Entladen: Aggro Berlin.

Und allenthalben diese Leute, die der Kleidung nach dem Hipstertum zugehörig scheinen. Manche wähne ich unter ihren Mänteln und Jacken in diesem einst trendigen „Eure Armut kotzt mich an“-Shirt. Der Schein trügt. Die wenigsten sind als Voyeure deines Social Porns hier. Sie sind da, um zu nerven und genervt zu werden. So wie ich, so wie du, so wie jede* und jeder* hier.

Du lumpiges Stück Neukölln bist der perfekte Ort für den berüchtigten letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Du bist wie gemacht für die spontane geistige Selbstentzündung, für die Instant-Mutation zum Rassisten, zum homophoben Arsch, zum Sexisten, zum Deutschlandfeind. Zum Neoliberalen. Widerling. Eldorado der Misanthropie.

Sozialer Brennpunkt? Ja, aber anders. Sozial brennt hier deutlich weniger, als es das Klischee suggeriert. Die meisten Menschen haben starke Bindungen, familiäre Bande und solide Freundschaften. Den eigentlichen Brennpunkt machen andere Umstände aus: prekäre und elendige Lebensverhältnisse, Kriegstraumata, unsichere Aufenthaltstitel, Perspektivlosigkeit und fehlende soziale Gerechtigkeit. Aber darum scheren sich die wenigsten Schlagzeilen.

Wer etwas auf sich hält, der geht geschickter mit dir um. Der denkt beim Anblick der Massen an den Einzelnen dahinter. Wer etwas auf sich hält, der kollektiviert nicht über Merkmale von Hautfarbe und Klamotte, der anonymisiert nicht über den Grad der Verwahrlosung, über die Sprache, die Karre oder die Musik.

Wer etwas von sich hält, der stellt sich hierhin und guckt, was du mit ihm machst. Wer bei all den negativen Schwingungen das Menschliche sieht, die empathischen Gesten, das Funktionieren der Menschenströme, die Ordnung im Chaos, der nenne sich Humanist und schließe dich in sein Herz. Weil: Der Hermannplatz ist so viel mehr als die oben formulierte Wahrheit.

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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