Islam-Konvertiten: "Radikale sind nicht überrepräsentiert"
Viele konvertieren aus einer Lebenskrise heraus zum Islam, sagt Monika Wohlrab-Sahr, Religionssoziologin an der Uni Leipzig. Die meisten übten die neue Religion aber nur im Privaten aus.
taz: Frau Wohlrab-Sahr, die jüngsten Verhaftungen haben das Interesse auf eine wenig beachtete Gruppe gelenkt: Deutsche, die zum Islam übertreten. Sind Konvertiten besonders radikal?
Die RAF hatte gerade ihre "Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat" eingestellt, und Ussama Bin Laden war noch ein unbekannter Ex-Verbündeter der USA, als den deutschen Sicherheitsbehörden der Feind abhanden kam. Doch bald wurde die Lücke gefüllt: Eine Zwei-Mann-Gruppe namens "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) verübte zwischen 1992 und 95 Brandanschläge und sah sich in einer Front mit dem Dschihad: "Wir haben den Islam als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit kennenlernen dürfen", schrieben sie 1995. Völlig isoliert von der radikalen Linken, die die AIZ als "Kommando Tod den Schnitzeln" bespottete, traten Bernhard Falk und Michael Steinau nach ihrer Verhaftung 1996 zum Islam über. Im Lübecker Gefängnis fand Steinau einen besonderen Freund: den Rechtsterroristen Kay Diesner, der 1997 einen linken Buchhändler niedergeschossen und auf der Flucht einen Polizisten ermordet hatte. "Wir liegen gar nicht so weit auseinander", schrieb Steinau in einem Brief über seinen Knastkumpel. Sich geändert und sich treu geblieben ist auch Ahmed Huber. Der zu einem radikalen Islam konvertierte Schweizer Bankier gilt als eine führende Figur der internationalen Neonaziszene. DZY
Monika Wohlrab-Sahr: Nein. Es gibt keine Hinweise, dass sie unter den Radikalen überrepräsentiert sind. Ein großer Teil der Konvertiten sind Menschen, die die Religion ihres Partners annehmen. Die pflegen dann eher einen volkstümlichen Islam. Es gibt aber auch eine kleine Gruppe, die sich von einem rigorosen Islam angezogen fühlt.
Und was fasziniert sie daran?
Das sind Menschen, die aus einer Lebenskrise heraus eine neue Religion suchen. Sie fühlen sich isoliert. Sie haben vielleicht den Job verloren, oder ihre Ehe ist zerbrochen. Nun suchen sie eine stabile neue Einbindung. Diese Menschen landen dann oft bei einer rigorosen Form des Islam. Wer sein altes Leben hinter sich lassen will, wechselt nicht zu einem volkstümlichen Islam. Er will das Strenge, das Schriftgelehrte.
Warum wendet er sich ausgerechnet dem Islam zu? Es gibt doch auch unter den Christen radikale Strömungen.
Diese Menschen könnten auch zum evangelikalen Christentum wechseln. Aber beim Islam können sie sich stärker absetzen. Sie können ihren Eltern oder Bekannten besser verdeutlichen: Jetzt bin ich ein anderer Mensch. Hinzu kommt, dass der Islam gerade in der Öffentlichkeit sehr präsent ist. Das macht ihn besonders attraktiv.
Sind es also gerade die Konvertiten, die für strenge Regeln eintreten?
So pauschal stimmt das nicht. Zwar habe ich schon erlebt, dass Türken sehr befremdet waren, wie rigoros Konvertiten die Glaubensvorschriften einhalten. Aber es gibt auch in der türkisch-arabischen Gemeinde eine Strömung, die sich vom Kulturislam der Eltern absetzen will. Es stört sie, wenn ihre Väter auch mal ein Bier trinken. Oder ihre Mütter nur deshalb ein Kopftuch umbinden, weil man das eben so tut. Sie wollen sich mit den Schriften befassen, einen "reinen" Islam leben. Da gibt es eine Nähe zu den rigorosen Konvertiten.
Dass die Menschen einen rigorosen Islam leben, heißt aber doch noch lange nicht, dass sie Islamisten werden.
Natürlich nicht. Bei den meisten beschränkt sich das strenge Glaubensverständnis aufs Privatleben. Sie trinken keinen Alkohol, gehen nicht in Diskos. Frauen reichen Männern nicht die Hand. Aber es gibt in dieser kleinen Gruppe auch einige, die sich politisch radikalisieren. Sie finden darin einen neuen Lebenssinn.
Nimmt denn die Zahl der Konvertiten insgesamt zu?
Darüber haben wir keine verlässlichen Zahlen. In den Medien kursieren immer wieder die Angaben des Islam-Archivs in Soest. Demnach soll sich die Zahl der Konvertiten vervierfacht haben. Aber diese Angaben sind absolut nicht seriös. Sie wurden nicht nach wissenschaftlichen Maßstäben erhoben. Realistischer ist, dass es einen kleinen Anstieg gibt.
Besteht dann doch Anlass zur Sorge? Je mehr Konvertiten es gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unter ihnen auch Radikale befinden.
Eine leichte Steigerung ist ganz normal. Das ist eher ein gutes Zeichen. Je pluraler eine Gesellschaft ist, desto mehr Konvertiten gibt es. Die Kulturen durchmischen sich, Christen und Muslime schließen Freundschaften und verlieben sich. Wir dürfen nicht vergessen, dass etwa zwei Drittel der Konvertiten Frauen sind. Unter denen sind viele, die einen muslimischen Partner habe, die sich deshalb dieser Religion verbunden fühlen. Ich will die Gefahr, die von islamistischen Konvertiten ausgeht, nicht kleinreden. Aber eine Massenströmung ist das definitiv nicht.
INTERVIEW: COSIMA SCHMITT
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