Isamu Noguchi im Museum Ludwig Köln: Genauer hinschauen

Der amerikanisch-japanische Bildhauer Isamu Noguchi ist in Europa als Designer bekannt. Das Museum Ludwig zeigt seine radikal sanftmütige Kunst.

Rot glänzende Skulptur. Play Sculpture

Isamu Noguchi Play Sculpture, 1965/2021 Foto: The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 Foto: Nicholas Knight

Es macht offenbar einen Unterschied, wo man Isamu Noguchis (1904–1988) Arbeiten begegnet. Vor einigen Wochen zum Beispiel, in einer dieser Londoner Großgalerien: verzinkter Stahl, kunstvoll geformte Betontreppen, rote Kuben, die mit weißen, öden Wänden in weiten, leeren Räumen scheinbar einen Wettbewerb um die größtmög­liche Coolness angetreten waren.

Irgendwie tat es einem leid, das Werk des Bildhauers, der als Sohn einer Irin und eines Japaners in Los Angeles geboren wurde und der in der US-Moderne immer ein bisschen zwischen den Stühlen steckte. Denn klar ist alles heute zwangsläufig in Warenform zu haben, aber in diesem Tempel der Verkaufskunst erschienen Isamu Noguchis eigentlich eher subtile Arbeiten als reine Anlagegüter, kühl und berechnend inszeniert, dem Leben entrissen.

Wie anders hingegen jetzt in Köln im Museum Ludwig mit seinem Holzparkett, den Terrakottafliesen, sogar Tageslicht im ersten Ausstellungsraum. Und die gerade vom Museum angekaufte „Play Sculpture“? Wurde vorab schon von eingeladenen Schulklassen bespielt. Jetzt kann und soll sie, neben einer Steinbank, in der Ausstellung genutzt werden.

„Isamu Noguchi“ ist die erste große Überblicksschau des Künstlers seit rund zwei Jahrzehnten. Zu sehen mit leicht unterschiedlichen Schwerpunkten zuvor im Londoner Barbican Centre und später in Bern. In Köln gibt es, neben Tuschezeichnungen, nun unzählige Skulpturen zu sehen, aus Stein, Holz, Ton, Gips, Stahl und auch Kunststoff, von frühen Figurationen bis zu den surrealistisch inspirierten, abstrakten Werken der 1940er Jahre.

Isamu Noguchi, bis 31. 7. 22, Museum Ludwig Köln, Katalog 35 Euro

Minimalistische Bühnenbilder

Aber auch hier dokumentierte Monumente und Reliefs, Skulpturen im öffentlichen Raum oder für die Bühne. Nebenbei hat Noguchi nämlich fantastische Kostüme und minimalistische Bühnenbilder für befreundete Tän­ze­r:in­nen und Schau­spie­le­r:in­nen geschaffen. Jedes Element eine rätselhafte, multipel bespielbare Skulptur.

In Europa ist der Bildhauer Noguchi, der an einer New Yorker Kunstschule, bei verschiedenen Künstlern als Assistent und auf vielen Reisen von China bis Mexiko lernte, vor allem als Gestalter bekannt. Sein gleichnamiger Coffeetable ist eine Ikone des Möbeldesigns; berühmt auch die „Akari Light Sculptures“, Lampenschirme mit japanischem Washi-Papier und Bambusruten, die als Pla­gia­te eines großen schwedischen Möbelhauses um die ganze Welt gingen.

„Das ist keine Kunst, das ist Luxusbeleuchtung“ titelte denn auch der Guardian seinen natürlich sehr unterhaltsamen Verriss der Ausstellung in ihrer vorigen Version, der Noguchi viel Stilempfinden, aber mangelnden Biss attestierte. Wobei die Vorstellung, dass Kunst schon qua Definition den Mittelfinger liefern muss, ja auch wiederum nicht so originell ist. Aber es stimmt schon, frech im gängigen Sinne ist dieses Werk erst mal nicht. Oder muss man nur genauer hinschauen?

Der Zen-Garten

Ohne die Ost-West-Bezüge überstrapazieren zu wollen, zwischen denen sich auch Noguchi selbst immer wieder zu verorten suchte: Vielleicht hilft ein Blick in den japanischen Zen-Garten. Der amerikanische Avantgardekomponist John Cage war bekanntlich Anhänger des Steingartens, er versenkte sich bei seinen Japanbesuchen tagelang in die menschengemachte Landschaft aus geharkten Kieseln und präzise gesetztem Bewuchs im Kyoter Ryoanji.

Erst im Wandel der Jahreszeiten, im genauen und wiederholten Betrachten, wird sichtbar, dass er keineswegs immer gleich aussieht, sondern permanent anders.

Eine solche Feinjustierung der Wahrnehmung lohnt auch bei Isamu Noguchi. Seine Reproduktion des immer wieder Ähnlichen erzeugt subtile Unterschiede. Zarte Parallelen zur popkulturellen Serienkunst tun sich auf, die erst ein, zwei Jahrzehnte später auf der Bildfläche auftauchte.

Isamu Noguchi hält eine Lichtskulptur

Isamu Noguchi mit Study for Luminous Plastic Sculpture, 1943 The Noguchi Museum Archives Foto: The Isamu Noguchi Foundation and Garden Museum/VG Bild-Kunst, Bonn 2022 Foto: Eliot Elisofon

Und: Seine Skulpturen sind in Bewegung. Allein durch die Weise, wie der Bildhauer Form schafft und wie er Formen miteinander kombiniert. Bei der Gipsfigur „Chinese Girl“ von 1930 mit ihrem mehrfach in sich verrenkten Körper. Den „Interlocking Sculptures“, die wörtlich beweglich sind, weil ihre einzelnen Elemente, die oft an Knochen erinnern, auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt werden können.

Und dann gibt es durchaus einige Frechheiten, allerdings der eher süßen Art und nicht boshaft. Zum Beispiel das Selbstporträt „Boy looking through Legs“ von 1933, Geschlechtsteil und Hintern inklusive. Oder in Aktionen wie dieser: 1943 ließ sich Noguchi, der nebenbei zahlreiche beliebte öffentliche Plätze, Parks und Spielanlagen gestaltet hat, freiwillig internieren.

Parkanlage im Internierungscamp

Aus Protest gegen die Behandlung japanischstämmiger Amerikaner als Enemy ­Aliens, die nach Pearl Harbor ihren Lauf nahm. Und, typisch Noguchi, um anderen mit seiner Kunst zu dienen: Er plante eine große Parkanlage mit künstlerischen Interventionen, um den Be­woh­ne­r:in­nen das triste Leben im Camp zu verschönern. „My Arizona“ nannte er die siebenmonatige Projektzeit.

Im Zweiten Weltkrieg ließ sich Isamu Noguchi freiwillig internieren. Aus Protest gegen die Behandlung japanisch-stämmiger Amerikaner als Enemy Aliens

Ist Isamu Noguchi also nun Künstler oder Designer? Ganz grundlegend: beides. Oft mit oder für andere(n) gemacht. Insofern ist es gar nicht falsch, sein Werk als angewandte Bildhauerei zu bezeichnen, eine menschen- und ortsbezogene allemal. Beinahe zu leicht, sie zu mögen, aber nicht trivial.

Weil diese Arbeiten nicht die einzelne Pointe eines gut geölten Künstleregos sind, entdeckt man sie am besten in Serie oder in Aktion (was freilich manchmal nur per Foto geht): mit Kindern, die über Spiel­skulp­tu­ren kraxeln, auf Archivbildern, die den Künstler beim Rutschen über seine 1986 für den USA-Pavillon in Venedig geschaffene „Slide Mantra“ zeigen – oder eben in Wohnräumen, die von einer „Light Sculpture“ mit den krumm gewachsenen Holzreihen zum Leuchten gebracht werden. Eine Idee, die so gut und simpel ist, dass sie sogar mit der günstigen Ikea-Imitation noch Sinn ergibt.

Irgendwie anrührend wirkt Noguchis Œuvre im Museum Ludwig, sanftmütig und zugewandt. Balsam für zartbesaitete Seelen in harten Zeiten. Eigentlich hat doch gerade dies etwas Radikales: dass ein Künstler mal nicht als der immer noch als gesetzt geltende Potenzprotz auftritt (der Noguchi, qua Output, natürlich zweifellos war). Alles andere sind Geschmacksfragen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.