Irland wirbt um Arbeitskräfte: Futter für den keltischen Tiger
Auf der Grünen Insel werden händeringend Arbeitskräfte gesucht. Man setzt auf Rückkehrer. Die Lockangebote haben es in sich.
KPMG, eins der größten Unternehmen für Wirtschaftsprüfung und Managementberatung, will potenzielle Arbeitskräfte am liebsten gleich am Flughafen rekrutieren. Die Firma hat dort Stände aufgestellt und bietet Interessenten die komplette Organisation des Umzugs einschließlich Flug und Wohnungsbeschaffung an. Vor allem Letzteres ist ein wesentlicher Anreiz, denn die Immobilienpreise und Mieten haben ein Niveau erreicht, das nur geringfügig unter dem der Boomjahre liegt, als Irland den Spitznamen „keltischer Tiger“ trug.
Auch in anderen Bereichen ist man nicht untätig. Krankenschwestern sollen mit einem großzügigen Rundum-Paket geködert werden, und auch die Bauindustrie expandiert wieder. Sie war 2008 nahezu komplett zusammengebrochen, weil eine unheilige Allianz aus Politik, Banken und Bauwirtschaft das Land fast in den Bankrott getrieben hatte. Jetzt werden wieder Arbeitskräfte benötigt. Die jüngsten Daten der Arbeitsämter belegen, dass derzeit mehr als ein Viertel der Arbeitsuchenden ins Baugewerbe vermittelt werden.
Regierungssprecher Feargal Purcell, der sich die „#hometowork“-Kampagne ausgedacht hat, sagt: „Jede Woche werden tausend neue Jobs in Irland geschaffen.“ Seit 2012 sind 136.000 Jobs in der Privatwirtschaft entstanden, die Pharmaindustrie benötigt in den nächsten Jahren 3.000 zusätzliche Arbeitskräfte.
Die Arbeitslosenquote, die im Zug der Krise auf fast 16 Prozent gestiegen war, hat sich nahezu halbiert, was freilich auch an der starken Emigration liegt. Zwischen 2010 und 2014 sind 300.000 Iren und Irinnen ausgewandert – meist Menschen zwischen 16 und 45 mit hoher Qualifikation, die nun dringend gebraucht werden.
Die Emigranten zurückzuholen, das sei der Schlüssel zum wirtschaftlichen Aufschwung, sagt Premierminister Enda Kenny. Bis 2020, so hofft er, sollen 70.000 zurückkommen. 2016 soll das erste Jahr seit 2008 werden, in dem die Zahl der Rückkehrer höher ist als die der Auswanderer. Es ist ein wichtiges Jahr für Irland. Zum einen feiert das Land den 100. Jahrestag des Osteraufstands gegen die britische Herrschaft, der den Grundstein für die Unabhängigkeit legte. Zum anderen stehen im Frühjahr Parlamentswahlen an.
Zahl der Obdachlosen stark gestiegen
Weil die Koalitionsregierung aus der konservativen Fine Gael und der Labour Party wiedergewähltwerden möchte, hat sie Ende vorigen Jahres zum ersten Mal seit 2008 einen Haushaltsplan verabschiedet, der die drastische Sparpolitik mildert. Für viele sind diese Maßnahmen zu halbherzig und kommen zu spät.
Seit zwei Jahren ist die Zahl der Obdachlosen dramatisch angestiegen. Viele haben im Zuge der Krise ihre Jobs verloren und konnten ihre Hypotheken nicht mehr bedienen. Die Banken, die eben noch von den Steuerzahlern gerettet worden waren, klagten die Säumigen aus ihren Häusern heraus.
Zu Weihnachten verteilten Wohlfahrtsorganisationen mehr als 2.500 Essen an Bedürftige. Diese Menschen werden nicht von dem Wirtschaftswachstum von sieben Prozent profitieren, mit dem die Regierung für dieses Jahr rechnet. Bis 2018 soll der Haushalt ausgeglichen sein, sagt Kenny. Aber dafür muss man einen Teil der Emigranten zur Heimkehr bewegen.
Viele werden niemals zurückkehren
Dave Tynan ist einer dieser Rückkehrer. Er hat 2012 einen preisgekrönten Kurzfilm über die irische Auswanderung gedreht. Viele seiner Freunde werden niemals nach Irland zurückkehren, sagt er: „Sie haben sich ihr Leben anderswo aufgebaut, nachdem man sie damals ermutigt hat, die Grüne Insel zu verlassen.“
Er habe schon damals gewarnt, dass die Austeritätspolitik viele der talentiertesten jungen Menschen in die Emigration treiben würde. „Wenn man einer jungen Frau sagt, dass sie verschwinden soll“, fragt Tynan, „kann man ihr dann sieben Jahre später erklären, dass man sie zurückhaben will? Man kann es versuchen. Aber vielleicht hört sie dann nicht mehr zu.”
Noch ist die Zahl der Rückkehrer recht niedrig, aber Enda Kenny glaubt, dass das Interesse bei den Emigranten geweckt sei. In den Abflughallen werden die Emigranten nach ihrem Besuch auf Plakaten mit dem traditionellen irischen Gruß „Slán go fóill“ verabschiedet. Darunter steht die hoffnungsvolle Frage: „Denkst du darüber nach, 2016 nach Irland zurückzukehren?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?