Iranischer Regisseur im Portrait: Der poetische Feldforscher
Mit seiner allegorischen Filmsprache ist es dem iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof gelungen, die Zensur im Iran zu überlisten. Im vergangenen Jahr wurde er verhaftet.
Der Urmia-See liegt im nordwestlichen Winkel des Iran, nahe der Grenze zur Türkei. Er ist salzreich und nicht sehr tief, und er hat zahlreiche Inseln, auf denen gelegentlich Menschen leben, die zu der modernen Gesellschaft auch des islamistischen Staats in großer Distanz stehen. Auf diesem Urmia-See fährt in Mohammad Rasoulofs Film "The White Meadows" ("Keshtzar haye sepid", 2009) ein Mann herum, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Tränen der Menschen zu sammeln. Dieser Mann macht sich buchstäblich zum Gefäß der Sorgen und Nöte, und er dementiert das Versprechen nicht, das mit seiner Tätigkeit verbunden ist - dass die Tränen sich einmal in Perlen verwandeln würden.
Das ist nun wiederum ein Bild für den künstlerischen Prozess des Films selbst, in dem Rasoulof so etwas wie eine Feldforschung in poetischer Form betreibt. Er interessiert sich ganz eindeutig für die Ungleichzeitigkeiten, von denen das Leben der Menschen bestimmt ist, und für die Regeln. Und er interessiert sich für die Opfer dieser Ungleichzeitigkeiten, zu denen etwa eine junge Frau zählt, deren in Salz konservierten Leichnam er auf seinem Boot an Land bringt - nach allem, was man schließen kann, wurde sie ein Opfer der extrem strengen Moralgesetze, die in dieser Gegend gelten. Sie war einfach "zu schön für diese Welt", sie musste gewaltsam beseitigt werden.
Der Name des Regisseurs Mohammad Rasoulof wurde einer größeren internationalen Öffentlichkeit im Vorjahr bekannt, als er zusammen mit Jafar Panahi während Dreharbeiten zu einem gemeinsamen Projekt in Teheran verhaftet wurde. Als im Dezember eine sechsjährige Haftsstrafe und ein zwanzigjähriges Berufsverbot über Panahi ausgesprochen wurden, war Rasoulof von dem gleichen Urteil betroffen - und doch wurde er meistens in westlichen Nachrichten einfach als "Mitarbeiter" von Panahi bezeichnet. Selten wurde erwähnt, dass es sich bei ihm um einen Filmemacher eigenen Rechts handelt, bei dessen "The White Meadows" umgekehrt Panahi der Mitarbeiter war (er besorgte den Schnitt).
Die neuere Zusammenarbeit der beiden erfolgte eben bei den Dreharbeiten zu einem Film über die politische Aufbruchs- und Oppositionsbewegung: "In dem Film sollte es um die jüngsten Ereignisse im Iran gehen", erklärte Panahi in einem Interview, "um die Präsidentschaftswahl und die anschließende Revolte. Ich wollte das Porträt einer Familie zeichnen, deren Sohn bei den Unruhen verhaftet wird."
Im Zuge dieses Projekts, das gewissermaßen das eigene Schicksal antizipierte, wurden Panahi und Rasoulof zum ersten Mal verhaftet, zu einer Zeit, während "The White Meadows" auf zahlreichen Festivals im Westen lief. Dass er dabei insgesamt nicht die Rezeption hatte, die ihn als einen mit Panahi oder Abbas Kiarostami vergleichbaren iranischen Filmemacher gewertet hätte, liegt wohl an seinem so deutlich allegorischen Stil, den er auch gelegentlich in Selbstaussagen ausdrücklich mit dem politischen System im Iran in Zusammenhang bringt. Die Zensur nötigt ihn zu verschlüsselten Erzählungen, zudem wählt er vorwiegend ländliche Schauplätze, während Panahi ein dezidiert urbaner Filmemacher ist, der in Teheran seine wichtigsten Geschichten findet.
Rasoulof wurde 1973 in Schiras geboren, also im Süden des Landes, wo auch sein bisher bekanntester Film spielt, der in den USA sogar auf DVD erhältlich ist: "The Iron Island" (2005). Rasoulof erzählt darin eine ambivalente Exodusgeschichte: Sunnitische Iraner, die auf dem Wrack eines Öltankers im Persischen Golf leben, müssen feststellen, dass ihre Unterkunft langsam sinkt. Die mühsamen Ausbesserungsarbeiten, das improvisierte Festhalten an einer eigentlich unzumutbaren Lebensgrundlage sind deutlich als Bilder für das prekäre Leben im modernen Iran insgesamt zu sehen. Die Menschen müssen schließlich an Land und in die Wüste, und die weitere Geschichte nimmt einen für Rasoulof typischen, allegorischen, mehrdeutigen Verlauf, in dem die Symbolkraft des Wassers in der Einöde eine wesentliche Rolle spielt.
Zu den mangelnden Informationen über Mohammad Rasoulof trägt die Unsichtbarkeit seiner Filme natürlich ganz entscheidend bei. Leicht zu erreichen, nämlich auf dem größten Videoportal im Netz, ist allenfalls sein bisher einziger Dokumentarfilm, der in deutscher Synchronisation den Titel "Im Reich der Schüssel" bekam. Hier gibt Rasoulof einen guten Einblick in die widersprüchliche mediale Situation im Iran, wo einerseits eine strenge Zensur herrscht, wo aber andererseits über Satellitenempfang ein vielfältiges Programm zugänglich ist, das noch entfernteste Regionen erreicht.
Auch hier dominieren wieder die Themen, um die es in "White Meadows" geht, nun allerdings in einer weniger elegischen, sonder stellenweise sogar komischen Form, die unausweichlich scheint, wenn es um die Ironien geht, die technische Medien in entfernten Regionen produzieren: Sie schaffen Gleichzeitigkeit inmitten von Anachronismen, die entweder tragisch oder komisch aufgelöst werden können.
Mohammad Rasoulof ist mehr als nur ein "Mitarbeiter" von Jafar Panahi. Er ist ein bedeutender iranischer Filmemacher, eine wichtige Figur auch als Produzent (aktuell "Gesher" von Vashid Vakilifar, in dem drei Männer sich in eine Region im Süden aufmachen, in der Erdgas gefördert wird). Er ist ein Künstler, dessen Entwicklung im Augenblick unterbunden ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen