Iran vor wichtigem Jahrestag: „Sie nehmen uns gezielt fest“
Vor dem Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Amini geht Irans Regime gegen die Protestbewegung vor. Festnahmen sollen die Menschen einschüchtern.
Den Berichten zufolge wurde Aeli in seinem Haus in Sakes, der Heimatstadt Aminis, festgenommen. Die 22-jährige Kurdin Amini war am 16. September 2022 nach der Festnahme durch die Sittenpolizei in Teheran gestorben. Angeblich soll sie gegen die Vorschriften zum Tragen eines Kopftuchs verstoßen haben.
„Sie nehmen uns vor dem Jahrestag gezielt fest, sodass es schwierig wird, Proteste zu organisieren“, sagt eine Gesprächspartnerin in Nordiran gegenüber der taz am Telefon. Dass Menschen rund um den Jahrestag wieder verstärkt auf die Straße gehen, hält sie für sehr wahrscheinlich. Die Festnahmen sollten den Menschen Angst machen und sie davon abhalten, an Protesten teilzunehmen. „Aber die jungen Frauen in Iran sind Hämmer“, sagt sie, „die geben nicht auf.“
In den vergangenen Wochen hat der iranische Staat etliche Aktivist*innen sowie Familienangehörige von Ermordeten festgenommen. So wurden laut Hengaw etwa auch der Vater und die Schwester von Mohammad Hassazadeh festgenommen. Der junge Kurde war im vergangenen November bei Protesten getötet worden.
In der nordiranischen Provinz Gilan hatten Regimekräfte bereits im August neun Frauenaktivist*innen festgenommen. Zwei von ihnen, Jelveh Javaheri und Forough Saminia, sind bislang nicht wie die anderen gegen Zahlung einer Kaution freigelassen worden.
Auch der bekannte Popsänger Mehdi Yarrahi, der sich kürzlich in einem neuen Song erneut mit der sogenannten Frau-Leben-Freiheit-Bewegung solidarisierte, wurde im August festgenommen. In dem Song singt er: „Lass dein Haar frei.“ Laut Hengaw beträgt allein die Zahl der verhafteten Angehörigen von Ermordeten seit März 75.
Empfohlener externer Inhalt
Unter ihnen sind auch Journalist*innen wie Nasila Marufian, eine kurdische Journalistin, die den Vater Aminis interviewt hatte. Seither ist sie mehrfach festgenommen worden. Sie war erst kürzlich gegen Kaution freigekommen. Von Marufian wurde am Mittwoch eine Audionachricht bekannt, in der sie berichtet, dass sie bei der Festnahme geschlagen und sexuell angegriffen wurde. Marufian befindet sich aktuell im Hungerstreik.
„Die Lage ist angespannt. In Kurdistan (Provinz im Nordwesten Irans, d. Red.) ist richtig was los“, berichtet ein Kontakt, der in der Partei Kumala aktiv ist, die ihre Basis in den iranischen Kurdengebieten, ihren Sitz aber im Nachbarland Irak hat, weil sie in Iran verboten ist. Deshalb würde das iranische Regime die Lage in den kurdischen Gebieten nun militarisieren und sogar versuchen, Streit zwischen iranischen Kurd*innen im Irak und der Zentraregierung in Bagdad zu sähen, um Irak davon zu überzeugen, die iranischen Parteien aus dem Land zu werfen.
In einem Zeichen der Geschlossenheit riefen am Mittwoch sechs kurdisch-iranische Parteien in einem gemeinsamen Statement zu einem Generalstreik am 16. September in Kurdistan sowie im restlichen Iran auf. Die Kumala-Partei lud in einem separaten Statement die gesamte iranische Bevölkerung ein, Streiks der Menschen in den kurdischen Regionen zu unterstützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin