Interview mit Väter-Berater Martin Kalmbach: "Blaulicht im Kopf"

"Ich kann mir vorstellen, dass ein gewisser Prozentsatz der hohen Kaiserschnittrate daher rührt, dass heute 90 Prozent der Väter bei der Geburt dabei sind, sagt Martin Kalmbach, und berät deswegen werdende Väter.

"Ein Neugeborenes im Arm zu halten, ist eine riesige Herzöffnung", sagt Martin Kalmbach, der selbst drei Geburten miterlebt hat. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Kalmbach, sind Sie ein guter Vater?

Martin Kalmbach: Das ist eine der Fragen, die hier in der Beratung am häufigsten eine Rolle spielt. Das fragen sich Männer vor der Geburt des ersten Kindes. Oder wenn sie sich getrennt haben. Und ja, ich bin ein guter Vater - weil ich ein guter Vater bin.

Wie meinen Sie das?

Wenn man anfängt, sie zu definieren, dann haut es nicht mehr hin mit der guten Vaterschaft. Weil man dann zulässt, dass sie fremdbestimmt ist.

Das heißt durch die Mutter?

Oder durch die inneren Stimmen, die vielleicht daraus entstanden sind, dass der eigene Vater abwesend war und die Mutter gesagt hat, "Wenn du mal groß wirst, dann wirst du ein besserer Vater". Viele, die zu mir kommen, zweifeln an sich. Sie versuchen, es der Frau recht zu machen, die ihnen vermittelt, "Du machst zu wenig oder zu viel, du passt nicht auf, dass das Kind warm genug angezogen ist". Manche Väter in der Paarberatung haben auch eine Antihaltung und fragen: "Wie kann ich mich ihrer erwehren?"

50, arbeitet seit 2004 bei dem Hamburger Verein "Väter" als systemischer Therapeut und Berater. Er hat eine 15-jährige Tochter und einen 22-jährigen Sohn. Kalmbach bietet unter anderem im Geburtshaus Hamburg Geburtsvorbereitungskurse für werdende Väter an.

Wann zweifeln Sie daran, ein guter Vater zu sein?

Wenn ich mich vor der Begegnung mit dem Kind drücke und mir auch nicht angucke, warum ich das tue. Wenn ich vor mir selbst weglaufe.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ja. Als mein Sohn, der bis dahin bei seiner Mutter gelebt hatte, zwölf war, habe ich ihn eingeladen, bei mir zu wohnen. Als er dann plötzlich da war, war mir das unangenehm. Ich war überfordert und wusste nicht, wie ich mit einem Zwölfjährigen umgehe. Zu der Zeit war ich Taxifahrer und habe meinen Trott einfach beibehalten, bin also nachts weiter Taxi gefahren, in einem Glauben, das wird schon nicht so schlimm sein. Meine Haltung war, bloß nicht so genau hingucken, was das für ihn und unsere Beziehung bedeutet. Das war für das Kind nicht gut.

Wie erleben Sie in Ihren Geburtsvorbereitungskursen die jungen Männer?

Es gibt ein wachsendes Selbstbewusstsein, "Ich möchte Vater sein, ich möchte mich engagieren". Das gab es früher nicht, da waren Kinder Frauensache. Da hieß es, erst ab drei,vier Jahren - noch früher sogar erst ab sechs Jahren - könnten Väter etwas mit dem Kind anfangen. Jetzt erlebe ich, dass die Männer ganz selbstverständlich sagen: "Ich will bei der Geburt dabei sein, ich will das Baby auf den Arm nehmen und füttern und kuscheln und alles."

Aber?

Aber die gucken trotzdem ganz genau hin, ob die Frau das, was sie wollen, auch gut findet und absegnet.

Woran merken Sie das?

Die versehen ihre Wünsche immer mit dem Zusatz "wenn sie das auch so möchte". Der Blick der Frau ist beständig mit einbezogen. Wenn wir über die Geburt sprechen, geht es immer ganz schnell um die Frage "Was kann ich tun, wie kann ich ihr helfen?". Ich gebe natürlich Tipps, sage aber auch: "Du kannst oft gar nicht viel tun, kümmer dich um dich, dass du mit dem Stress, den du während der Geburt hast, klar kommst und nicht noch deine Frau belastest."

Wie finden die Kursteilnehmer diese Sicht?

Das ist, als ob für die ein Fenster aufgehen würde. Das haben sie noch nie gehört, aber es leuchtet ihnen ein.

Es wird immer wieder mal debattiert, ob Väter nicht lieber draußen bleiben sollten.

Dafür gibt es Gründe! Es ist ja kein Zufall, dass in der Menschheitsgeschichte in kaum einer Kultur Männer bei der Geburt anwesend waren. Es ist doch so: Wenn eine Erstgebärende ein Kind bekommt und da ist eine erfahrene Hebamme dabei, dann spiegelt die der Gebärenden den Geburtsverlauf eins zu eins. Bis dahin, dass die Frau sagt: "Ich steh das nicht durch, ich fühle, dass ich gleich sterben werde." Dann sagt die Hebamme: "Aha, das ist gut, jetzt dauert es wohl nicht mehr lange und das Kind ist da." Spätestens in dem Moment aber, in dem die Frau sagt, "Mich holt gleich der Tod", hat der Mann Blaulicht im Kopf und will was machen und sie retten. Dann wird er zum Problem, weil die Frau ihm helfen will oder sie muss sich abgrenzen. Auf jeden Fall muss sie etwas tun, was den Geburtsprozess behindert. Ich kann mir vorstellen, dass ein gewisser Prozentsatz der hohen Kaiserschnittrate daher rührt, dass heute 90 Prozent der Väter bei der Geburt dabei sind.

Und dennoch finden Sie es richtig, wenn Männer dabei sind?

Ja, aus zwei Gründen. Erstens wünschen es sich viele Frauen. Und zweitens wird dadurch die Vater-Kind-Bindung enorm eng. Es ist so anrührend, ein Neugeborenes im Arm zu halten, es ist eine riesige Herzöffnung.

Haben Sie das selbst so erlebt?

Ja, ich wusste vorher nicht, dass man lachen und weinen zugleich kann.

Wie oft waren Sie dabei?

Drei Mal. Bei der ersten Geburt war ich der Patenonkel und wurde dazu eingeladen. Der Vater war abgehauen.

Und waren Sie vorbereitet?

Nein, ich war richtig doof und bekloppt. Ich wäre sicher eine Behinderung gewesen, wenn das nicht so eine Alternativ-WG gewesen wäre, wo weitere fünf Frauen im Raum waren, das hat das kompensiert. Bei der Aufforderung, ich solle ihr den Arm halten, habe ich mich eher fest geklammert, als sie unterstützt. Mir hätte damals noch vorher jemand sagen müssen: "Hör auf mit dem Witzemachen oder die Hebamme zu fragen, was sie für Geräte verwendet." Typisches Männerverhalten …

Sie waren eine komplette Fehlbesetzung?

Nein, das nicht, ich konnte ja auch was machen. Ich habe eine Suppe gekocht und getan, was mir gesagt wurde. Die Natur will, dass die Kinder rauskommen, und das tun sie dann auch - auch wenn sich der Vater so benimmt wie ich damals.

Aber wie gelingt es, in einer solchen Situation bei sich zu bleiben, wie Sie es beschrieben haben? Eine Geburt ist ja meistens heftiger, als man sich das je hätte vorstellen können. Wie soll man sich darauf vorbereiten?

Es geht eigentlich um etwas, was die Männer aus anderen Lebenssituationen kennen. Zum Beispiel ein Techniker, der eine Maschine warten muss, die er noch nicht kennt, da muss er auch aufmerksam sein. Oder ein Lehrer vor einer Klasse. Der braucht ein Standing, muss präsent sein. Wenn man da albern wird und auf einer Pseudoaugenhöhe verhandeln will, dann gibt es Stress.

Darf ein Mann während der Geburt rausgehen?

Das soll er! Das ist ein Weg zur Stressbewältigung. Er kann dabei auch einen Freund anrufen und sich mal kurz austauschen. "Wie im Sport", sage ich in den Kursen manchmal, "da gehts nach dem Gespräch mit dem Trainer wieder gestärkt ins Spiel." Der andere Weg ist tiefes Atmen. Ich sage den Männern: "Macht das nicht für die Frau und erzählt der am Ende noch ,Schatz, du atmest falsch', sondern für euch."

Nach einer Studie aus dem letzten Jahr fand ein Viertel der Männer die Geburt schrecklich und die Hälfte weniger schön, als sie es sich ausgemalt hatten. Haben Männer falsche Erwartungen an das, was kommen wird?

Die haben gar keine Ahnung! Denen ist nicht klar, dass sie eine Konfrontation haben mit echter Weiblichkeit. Das ging mir auch so.

Es gibt den Rat, möglichst nicht von vorne zu gucken.

Ich habe da keine feste Position, die ich empfehle. Ich finde, es kommt auf das Paar an. Es gibt so etwas wie Neugier, einen kindlichen Impuls. Wenn er sich das angucken möchte und sie das auch gut findet, dann soll er das machen. Und dann wird er staunen. Ich sage aber explizit und nicht nur einmal: "Wer nicht neugierig ist, der möge das bitte nicht ausgerechnet in dieser Situation werden." Manche finden mich manchmal etwas drastisch. Aber ich weiß, dass eine Geburt für viele Frauen und Männer eine drastische Erfahrung ist.

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