Interview mit Richter Andreas Müller: „Es wird friedlicher werden“
Die Ampel will das Hanf freigeben. Doch am Ende könnte deutsche Gründlichkeit verhindern, dass das klappt, befürchtet der Legalisierungsbefürworter.
taz am wochenende: Herr Müller, es gab viel Begeisterung bei den Legalisierungsaktivisten, als die Ampelkoalition Ende 2021 verkündete, die Prohibition zu beenden. Aber so schnell, wie manch Kiffer:in hoffte, ging es dann doch nicht voran. Was ist Ihre Einschätzung, wann werden psychotrope Hanfprodukte in Deutschland zu Genusszwecken legal sein?
Andreas Müller: Meine Prognose ist, dass – wenn der Druck durch die Aktivisten nicht nachlässt – die Legalisierung bestenfalls Ende 2023 kommt. Eher später. Und wenn die Ampel knallt, wird das Ganze sowieso nichts.
Zuletzt hat das Bundesgesundheitsministerium eine Expert*innenanhörung zur Legalisierung von Cannabis initiiert, Sie waren einer der Teilnehmer. Was hat das gebracht?
Der Prozess der Legalisierung ist dadurch eher komplizierter geworden. Andererseits wollte man durch das Hearing klarmachen, dass man gründlich vorgeht. Dass man eben die Meinung der Legalisierungsaktivisten wie die der Prohibitionisten einholt.
Was steckt hinter der Verzögerung?
Die drei drogenpolitischen Sprecherinnen von Grünen, FDP und SPD – Kirsten Kappert-Gonther, Kristine Lütke und Carmen Wegge – wollen anscheinend das beste Cannabisgesetz der Welt machen. Deshalb hält sich auch der deutsche Hanfverband jetzt zurück, er will sie nicht mit zu forschen Forderungen vergraulen. Aber so kommt die Legalisierung nicht voran. Deutsche Gründlichkeit könnte verhindern, dass es zu einem Ergebnis kommt.
Ließe sich denn ein gesetzlicher Rahmen einfach so aus dem Ärmel schütteln?
Ja, natürlich. Es will nicht in meinen Sinn, warum man nicht einfach analog dem schon 2015 von den Grünen eingebrachten Cannabiskontrollgesetz vorgeht. Das scheiterte damals an den Mehrheitsverhältnissen im Parlament, die SPD war Koalitionspartner der CDU. Der jetzige Drogenbeauftragte, Burkhard Blienert von der SPD, hat einiges getan, um die Legalisierung voranzubringen. Jetzt stockt es wieder. Aber das Rad komplett neu zu erfinden – das macht doch keinen Sinn.
Es gibt bis heute Hürden im deutschen wie im internationalen Recht, ungeklärt ist zum Beispiel auch die Frage, ob in Läden oder Apotheken verkauft werden soll. Sind das denn keine Hindernisse?
Sie sind alle sehr einfach zu lösen. Wenn man will, ist das kein Problem. Ich setze mich gern mit Herrn Blienert, mit dem Gesundheitsminister und auch Vertretern der Ampel einen Tag zusammen. Dann muss man eben die Vor- und Nachteile von Apotheken oder lizenzierten Läden, wie sie die Grünen wollen, diskutieren; dann muss man Überzeugungsarbeit leisten. Man muss zum Beispiel auch über die Höhe der Strafen für die Abgabe an Jugendliche sprechen. Auch die internationalen Bestimmungen – ob die Single Convention der Vereinten Nationen oder EU-Recht – lassen sich umgehen. Man kann auch aus verfassungswidrigen und gegen die Menschenrechte verstoßenden Verträgen aussteigen, Deutschland wäre ja nicht das erste Land …
Und der Eigenanbau, sollte der auch erlaubt werden? Ist das nicht ein Widerspruch zu einer Legalisierung?
Wieso? Überhaupt nicht. Es ist ja auch erlaubt, Bier für den Eigenbedarf zu brauen. Und die Deutschen halten sich an Gesetze. Den Eigenanbau zu erlauben, würde den Schwarzmarkt eindämmen und die Menschen freier machen. Außerdem brächte es Freiheit für die Cannabispatienten und Einsparungen in Millionenhöhe für die Krankenkassen.
Sollte es bereits vor der endgültigen Legalisierung eine Entkriminalisierung geben?
Ja, unbedingt! Aber es wird nicht dazu kommen. Denn viele Aktivisten halten sich auch mit dieser Forderung zurück, um die drogenpolitischen Sprecherinnen der Ampel nicht zu verschrecken. Ich hoffe deshalb weiter auf das Bundesverfassungsgericht. Es liegen mittlerweile acht Vorlagen von verschiedenen Gerichten dort, nach denen die Prohibition verfassungswidrig ist, die erste von April 2020. Das BVG beabsichtigt, noch in diesem Jahr zu entscheiden.
Ein großes Problem für Cannabiskonsumenten sind bis heute auch die strengen Regeln im Straßenverkehr, insbesondere der Grenzwert von 1 Nanogramm THC im Blut ist umstritten. Was wäre Ihrer Meinung nach denn angemessen?
Die aktuelle Regelung ist unwissenschaftlich. Sie widerspricht auch den Erkenntnissen der Grenzwertekommission, die dem Verkehrsministerium vorgelegt wurden. Fünf Nanogramm und Ausfallerscheinungen, das wäre eine sinnvolle Grenze.
Sollte es eine Amnestie für Menschen geben, die wegen Cannabis verurteilt wurden?
Auf jeden Fall. Es sitzen Leute wegen geringer Mengen bis heute im Knast, viele auch, weil sie gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben. Vollstreckungen und Verfahren müssen gestoppt werden. Sämtliche Verstöße müssen in allen Registern gelöscht werden, egal ob jemand mit drei Gramm oder drei Tonnen erwischt wurde.
Es gibt immer wieder Berichte über durch Cannabis ausgelöste Psychosen. Macht Sie das als Aktivist nie nachdenklich?
Nein. Ich schaue mir das gar nicht an. Natürlich hat das Folgen, wenn ich von morgens bis abends kiffe. Aber erstens betrifft es im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Cannabiskonsumenten nur ganz wenige und zweitens weiß kein Mensch, was zuerst da war – Henne oder Ei? Hatten die Untersuchten bereits vorher eine psychische Erkrankung und haben sich selbst medikamentiert oder wurde die Psychose durch den Konsum ausgelöst? Und überhaupt: Wenn es doch so sein sollte, sind die Psychosen trotz der Prohibition entstanden. Auch dann wäre es besser zu legalisieren und einen offenen und ehrlicheren Umgang, und zwar im Gesundheitsbereich, zu suchen.
Der Experte Andreas Müller, 61, ist Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin und Vorstandsmitglied der Organisation LEAP (Law Enforcement Against Prohibition), die sich für ein Ende des „War on Drugs“ einsetzt, sprich: für die Legalisierung von Drogen.
Das macht ihm AngstDass der Krieg in der Ukraine noch lange dauert.
Das macht ihm HoffnungDass in der Geschichte der Menschheit die Vernunft und der Verstand über Dummheit und Unvernunft schließlich obsiegt haben.
Sind Sie dafür, auch harte Drogen zu legalisieren?
Es sollte niemand bestraft werden, weil er irgendwelche Substanzen konsumiert. Ob Ecstasy, Heroin oder Koks. Man darf sich ja auch umbringen, da ist dies im Vergleich doch das kleinere Übel. Andere Länder haben harte Drogen lange entkriminalisiert, etwa die Schweiz und Portugal. Aber wir sind gesellschaftlich und politisch noch nicht so weit.
Was wird sich in der Gesellschaft ändern, wenn Cannabis legal ist?
Es wird weniger Alkohol getrunken. Die Leute trauen sich deshalb wieder, abends in die Parks zu gehen. Denn es wird friedlicher werden! Saufen und Prügeleien gehören nun mal zusammen. Es gab mal ein Experiment in Holland, wo vor einem wichtigen Spiel den Hooligans gesagt wurde: Kifft heute mal, statt zu trinken. Es gab am Ende nicht eine einzige Körperverletzung oder Ausschreitung. Außerdem würden Millionen Menschen in Deutschland keine Angst mehr vor Strafverfolgung haben. Viele würden wieder an die Politik glauben. Die Legalisierung wäre wunderbar für die Demokratie.
Was ist Ihre aktuelle Forderung an die Politik?
Ich fordere die drogenpolitischen Sprecherinnen der Ampelfraktion auf, sich umgehend bis zur endgültigen Legalisierung für eine sofortige Entkriminalisierung einzusetzen und den diesbezüglichen Gesetzesentwurf der Linken im Bundestag zu unterstützen. Denn wer sagt, dass die bisherige Prohibition unrecht ist, muss sofort für eine Veränderung kämpfen. Alles andere ist verlogen und lächerlich. Die jetzige Lage gegenüber den weiterhin verfolgten Konsumenten ist, als ob man sagen würde: Wir verprügeln euch so lange, bis wir ein Gesetz haben, das Verprügeln nicht mehr erlaubt. Das ist so absurd!
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