Hanfparade in Berlin: Alles geht viel zu langsam
Bei der Hanfparade entlädt sich Unmut über die rot-grün-gelbe Bundesregierung, die die Entkriminalisierung von Cannabis nicht vorantreibt.
Um den Freunden des gepflegten Joints zu sagen: Saufen ist immer noch besser, Cannabis ist kein Brokkoli und die Legalisierung wird nie kommen? Auf diesem Niveau bewegte sich schließlich die Drogenpolitik der Regierungsverantwortlichen in den letzten Jahrzehnten.
Jetzt aber ist ja alles anders. Die Prohibition von Cannabis soll beendet werden. Darauf hat sich die Koalition aus SPD, FDP und den Grünen geeinigt. Die Drogenpolitik soll ein ganzes Stück weit vernünftiger und pragmatischer werden. Auch Dank der unermüdlichen Aktivisten und Aktivistinnen, die Jahr für Jahr bei der Hanfparade auftraten und Aufklärungsarbeit leisteten in einem Land, in dem eine Partei wie die CDU immer noch so tut, als würde jeder, der sich gerne einen Feierabendjoint gönnt, sozusagen zwangsläufig als nächstes viel härtere Drogen konsumieren.
Hanfparade und Drogenbeauftragter sitzen nun also im gleichen Boot, könnte man meinen. Er, der schlaksige SPD-Mann und die Kiffer, die sich hier zur Auftaktkundgebung der Hanfparade am Neptunbrunnen ganz in der Nähe des Roten Rathauses versammelt haben. Nicht wenige sind während Blienerts Auftritt gerade dabei, sich einen ordentlichen Spliff zu bauen, die Polizei hält sich schließlich angenehm zurück. Das war vor ein paar Monaten bei einer Kifferdemo vor dem Brandenburger Tor ganz anders, als überall nachgeschnüffelt wurde, ob da nicht was Illegales in der Selbstgedrehten gelandet ist.
Wie ein Popstar indes wird der Politiker nicht gerade empfangen. Denn inzwischen gibt es einiges an Unmut innerhalb der Kifferszene darüber, wie seitens der Regierung an der Beendigung der Prohibition gearbeitet wird. Als es losging mit der Ampel, war die Euphorie noch groß. Manche dachten vielleicht sogar, es werde nur ein paar Wochen dauern, bis sie schönes Gras an zertifizierten Abgabestellen erwerben können. Während der Deutsche Hanfverband realistischer war und klar machte: Geduld, liebe Cannabis-Konsumenten, es gibt noch viele Fragen zu klären, das kann und soll auch noch ein wenig dauern.
Auch der Hanfverband beschwert sich
Inzwischen beschwert sich aber auch der Hanfverband, dass alles zu langsam voran gehe. Dass man von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) weiterhin sehr viel über die neuesten Corona-Studien höre, aber so gut wie nichts zum Ziel, die Prohibition beenden zu wollen. Und auch der Berliner Richter Andreas Müller, legendärer Entkriminialisierungsaktivist und Dauergast auf den Hanfparaden, hat gerade eben erst in einem “taz“-Interview geäußert, dass jetzt endlich mal etwas voran gehen müsse.
Somit wird Blienert bei seiner Rede sicht- und hörbar nicht als einer begrüßt, bei dem man sich vorstellen kann, ihm schon bald ein Denkmal zu bauen als Totengräber einer gescheiterten Drogenpolitik, sondern eher als Blah-Blah-Politiker, dem man kein Wort glauben kann. “Wir sind schon am Arbeiten“, sagt dieser, und “wir sind schon auf einem richtig guten Weg.“ Daraufhin murrt die Menge und einer hält sein Schild noch höher: “SPD, FDP, Grüne – haltet eure Versprechen“, steht darauf.
Es heißt, dies könnte die letzte Hanfparade überhaupt sein. Weil 2023, da sind sich die weiteren Redner trotz allem einig, wird ihr Ziel erreicht sein. Mal sehen. Man könnte es eigentlich auch als positives Zeichen werten, dass sich nach Polizeiangaben nur 1.500 Demonstrierende eingefunden haben, obwohl die Veranstalter mit weit mehr gerechnet haben. Viele scheinen eben doch zu glauben, die Sache ist schon gelaufen, Cannabiskonsum wird bald legal sein, da kann man auch daheim bleiben und einen rauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe