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Interview mit „Männerkitsch“-Podcastern„Was von der Männlichkeit ist gut?“

Podcaster Ansgar Riedißer und Max Deibert sprechen über Flirten und toxische Männlichkeit. Und darüber, welche Verantwortung sie als junge Männer haben.

Ansgar Riedißer (l.) und Max Deibert wollen lieber Anti-John-Waynes sein Foto: Lena Ganssmann
Stefan Hochgesand
Interview von Stefan Hochgesand

taz: Herr Riedißer, Herr Deibert, was heißt „Männerkitsch“?

Max Deibert: Den Namen haben wir von einem Freund, der immer von Männerkitsch spricht, wenn es um John-Wayne-Filme oder Serien wie „True Detective“ geht.

Ansgar Riedißer: Das Wort Kitsch meint ja etwas, das festgefahren ist, ohne noch wirklich Bedeutung zu tragen: Man macht es einfach nach von anderen Leuten.

Also Männer, die gefühlskalt mit dem Revolver agieren.

Deibert: Voll! Dieses Bild wird immer noch zelebriert, auch im echten Leben.

Riedißer: Tom Cruise hat sich beim Dreh zu „Mission Impossible“ den Fuß zerlegt und ist dann trotzdem weitergerannt, um die Szene zu Ende zu drehen. Was für ein kitschiges Männerbild, dass er damit so ein toller Mann sein soll!

Denkt ihr, dass ihr als Männer euch in die Debatte auf eine andere Weise einbringen könnt oder sollten Frauen das tun?

Im Interview: Ansgar Riedißer und Max Deibert

Ansgar Riedißer, geboren 1998,und Max Deibert, geboren 1994,sprechen in ihrem Podcast „Männerkitsch“ alltagsnah über (toxische) Männerrollen. Riedißer studiert Literaturwissenschaft in Berlin, Deibert Literarisches Schreiben in Leipzig. „Männerkitsch“ erscheint unregelmäßig bei Spotify und Podigee.

Riedißer: Das ist auf jeden Fall eine andere Art, weil wir andere Erfahrungswerte haben. Aber wir haben eine Verantwortung, auch als junge Männer, uns um Männlichkeit Gedanken zu machen.

Was interessiert euch im Podcast besonders?

Deibert: Konkreter Alltag. Flirten, Daten, Sex, Verhalten auf der Straße oder im Job.

Riedißer: Wir gucken uns an, wie sich abstrakte Konzepte, toxische Männlichkeit etwa, in unserem Alltag auswirken. Auch ich habe gemerkt, dass ich als Mann anscheinend viel öfter als Frauen davon ausgehe, dass ich was zu sagen hätte in vielen Momenten. In Diskussionen mit Freundinnen oder Seminaren an der Uni zum Beispiel. Durch die Gespräche mit Max ist mir das sehr bewusst geworden. Und nun versuche ich, das runterzufahren.

Sind denn Leute wie Popstar Sam Smith Vorbilder für euch? Smith verwendet inzwischen ja geschlechtsneutrale Pronomen. Oder auch andere Leute in der Popkultur, die konventionelle Grenzen aufsprengen?

Riedißer: Ich glaube, dass viele Anstöße aus der Popkultur kommen – obwohl ja gerade Popstars viel zu verlieren haben. Aber wir sind da schon weiter als noch vor einigen Jahren – auch darin, mehr zu sehen als nur entweder weiblich oder männlich. Sicher haben Popstars da Vorbildfunktion.

Deibert: Als Star kann man auf großer Bühne zeigen, was geht. Aber Menschen können auch Vorbild dadurch sein, wie sie sich tagtäglich verhalten: in der Kindererziehung, als Nachbar, in der U-Bahn. Dazu muss man kein Star sein.

Riedißer: Viele Männer, die für uns Vorbilder sind, finden wir nicht spannend, weil sie Männer sind, sondern weil sie besonders klug sind oder eloquent oder gute Schauspieler oder Schriftsteller.

An wen denkt ihr da konkret?

Deibert: Den Schauspieler Eddie Redmayne finden wir beide sehr gut.

Der hat ja im Film „The Danish Girl“ eine Transfrau gespielt – also Konventionen überwunden.

Riedißer: Eddie Redmayne spielt oft solche Rollen, die nicht den klassischen Held verkörpern. In J. K. Rowlings „Fantastische Tierwesen“ spielt er eine männliche Figur, deren wichtigstes Charaktermerkmal es ist, sich sorgsam um Tiere zu kümmern. Das ist keine männliche, sondern eine menschliche Rolle.

Ein Anti-John-Wayne.

Deibert: Ich glaube nicht, dass in zehn Jahren noch so viele Leute wissen, wer John Wayne war. Mein Opa hat noch von ihm erzählt, aber ich werde meinen Kindern nichts mehr von seinen Filmen erzählen.

Was sollten Männer denn noch mehr hinterfragen?

Deibert: Wenn zum Beispiel jemand sagt, dass er etwas von dir als nicht witzig oder sogar sexistisch wahrgenommen hat, dann solltest du wohl deine Definition von Humor mal hinterfragen: Welche Witze funktionieren ausschließlich auf Kosten anderer? Das kann man auch mit seinem männlichen Freundeskreis besprechen: Soll das wirklich das einzige sein, das uns verbindet, dass wir scheiße über Frauen reden und das dann auch noch als Humor bezeichnen?

Riedißer: Sobald es ein bisschen wärmer wird, sieht man Männer ohne T-Shirts an öffentlichen Plätzen. Für alle nichtmännlichen Personen ist das sozial nicht akzeptiert. Weibliche Freundinnen von mir empfinden dieses Männerverhalten oft als unangenehm, während die meisten Männer noch nie darüber nachgedacht haben, dass das ein Problem sein könnte. Es ist schon mal ein erster Schritt, diesen Unterschied wahrzunehmen. Auch wichtig: Wenn mir jemand in einem bestimmten Verhalten toxische Männlichkeit vorwirft, ist das kein Angriff auf meine ganze Person. Man kann damit konstruktiv umgehen.

Wie kann man sich von toxischer Männlichkeit freimachen?

Riedißer: Wir versuchen, das zu hinterfragen, was uns eingebläut wurde. Ich weiß noch, dass Jungs von anderen Jungs am Anfang der Pubertät zurechtgewiesen wurden, wenn sie mit übergeschlagenen Beinen dasaßen – das galt als feminin und ging gar nicht! Wir fragen im Podcast: Was von der Männlichkeit ist gut für uns? Und was brauchen wir auch einfach nicht mehr?

Sind Männer schlechter darin, über Gefühle zu sprechen?

Deibert: Bei Männern gibt es zumindest eine geringere Selbstverständlichkeit, über Gefühle zu sprechen. Oberflächlichere Männerfreundschaften, die von einem robusten Männlichkeitsbild ausgehen, lassen dafür kaum Raum. Man redet über Bundesliga, Autos und Holzhacken. Männerkitsch halt.

Riedißer: Gesundheit bedeutet ja bei vielen, dass man „nichts hat“. Und so wird auch oft mit Emotionen umgegangen: Der erstrebenswerte Zustand ist, dass man „nichts hat“.

Wie ist das für euch, schwule und hetero Erfahrungen miteinander zu vergleichen?

Riedißer: Das ist schon spannend, auch weil die Erfahrungen schon in einem sehr frühen Alter auseinander gehen. Männlichkeit meint ja meist Hetero-Männlichkeit. Da hatte ich immer schon das Gefühl, ich gehöre da nicht so dazu. Das ist zwar keine schöne Erfahrung, hat aber in mir schon sehr früh kritische Fragen aufkommen lassen, wie: Muss ich mich für Fußball interessieren, wenn ich sowieso nicht ganz dazugehöre?

Deibert: Das bereichert unsere Diskussion …

Riedißer: … und höhlt für mich den Männlichkeitsbegriff stark aus. Andererseits werden auch in der Schwulenszene konventionelle Männlichkeitsideale aufgegriffen, fast schon wie in einem Hochdrucktopf. Eine Überkompensation, aus dem Gefühl heraus, nicht dazuzugehören. Es gibt ein sehr starres Körperbild: dass man sich ex­trem trainiert auf dem CSD zeigt, oberkörperfrei.

Toxische Männlichkeit richtet sich also nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Männer.

Riedißer: Genau! Schon, weil ein toxischer Mann sich damit auch selbst schadet.

Deibert: Nicht über Gefühle zu reden, ist auch nicht gut für einen selbst als Mann. Das macht was mit den Beziehungen, die man zu anderen Menschen hat. Toxische Männlichkeit kann einen selbst verletzen.

Warum hält sich toxische Männlichkeit dann so penetrant, wenn sie doch allen schadet?

Deibert: Viele Facetten von toxischer Männlichkeit sind dermaßen eta­bliert, dass es viel leichter ist, nicht darüber nachzudenken. Wir verlangen etwas, das zumutbar ist, aber wohl doch für alle noch nicht selbstverständlich. Zu merken, dass Aspekte der eigenen Männlichkeit toxisch waren oder sind, tut weh.

Riedißer: Viele dieser Männlichkeitsmechanismen sind sehr verwachsen mit der eigenen Persönlichkeit – sodass ich schon verstehen kann, dass sich Männer bei Kritik spontan persönlich angegriffen fühlen. Man muss erst mal dahin kommen, dass diese Verhaltensweisen nicht essenziell für die eigene Persönlichkeit sind.

In einer eurer Podcast-Folgen geht es dezidiert ums Flirten.

Riedißer: Flirten ist es nur, wenn’s beiden Spaß macht. Viele Männer, aber auch einige Frauen in den Medien behaupten, dass nun – in einem angeblichen Zeitalter von Prüderie – Flirten und Verführung verboten wären. Übergriffigkeit als Flirten, oder was? In den Köpfen vieler Leute anscheinend doch noch sehr stark. Wir beide kamen für uns zu dem Schluss, dass Flirten etwas Wechselseitiges ist, dass man füreinander eine besonders erhöhte Aufmerksamkeit entwickelt.

Deibert: Es ist also nicht Flirten, wenn man jemanden schmierig anmacht, ohne dass die andere Person Signale gibt, dass sie gerade Teil dieses Gesprächs sein möchte. Flirten ist ein Zusammenspiel.

Riedißer: Eroberung wird durch diese Definition also nicht delegitimiert. Wenn beide daran Spaß haben – bitteschön!

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5 Kommentare

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  • Noch besser wäre freilich wenn man die eigenen Konzepte ebenso einer Kritik oder Dekonstruktion unterziehen würde wie jene die man kritisiert.

    Wenn man sich beispielsweise den Diskurs um nackte (Männer)Oberkörper anschaut wird man feststellen, dass etwa um die Jahrhundertwende Badeanzüge auch für Herren die Norm waren. Die Impulse dies zu ändern kamen nicht zuletzt aus progressiven Strömungen wie der Lebensreform- oder der Freikörperkulturbewegung. Und auch ein gutes halbes Jahrhundert später zu Zeiten der Sexuellen Revolution wurde Freizügigkeit vor Allem als Überwindung von Patriachat, normierter Kleinfamilie und autortärer Gesellschaft verstanden. Und während die Aktivist*innen seinerzeit wohl anderes auf der Agenda hatten als unbedeckte Oberkörper zu bekämpfen werden die damaligen Entwicklungen im heutigen Diskurs jedoch vor Allem als durch die Pille ermöglichte Ausdehnung des Patriachats über die jeweils eigene Ehe hinaus interpretiert. Eine Interpretation die allerdings wiederum nicht ohne die ex-post getätigte Objektifizierung der damals beteiligten Frauen auskommt. Heute - wiederum ein gutes halbes Jahrhundert später - wird der nackte Oberkörper in der progressiven Linken nun als männliches Privileg verstanden und Leute als Sexisten abgeurteilt und mit Hausverboten belegt die sich unsensiblerweise etwa harausnehmen sich auf einem Punkkonzert im AZ ihres durchschwitzten T-Shirts zu entledigen, die Frage aber wie sehr eine Perspektive die jede Form von Nacktheit als Ausdruck von Sexualität begreift in einem amerikanischen christlich-puritanischen Tradition wurzelt und eben nicht liberal oder emazipatorisch ist wird lieber nicht gestellt, so wie man allgein auch immer weniger Privilegien für alle einfordert, sondern jenen die sie bereits haben Scham und Verzicht abfordert.

    Auch die Rede von der "toxischen Männlichkeit" scheint kritikwürdig, verschleiert sie doch die kontingente, soziale Konstruiertheit der Zustände hinter der bio-chemischen ...

    • @Ingo Bernable:

      ... Derterminiertheit eines vermeintlichen LD50-Wertes dem lediglich mit Entsorgung auf der Sondermülldeponie begegnet werden kann. Klüger wäre da doch die Frage nach den Bedingungen und Kontexten von "Männlichkeit" - toxisch oder nicht - ebenso zu stellen wie die nach den Machtstrukturen die die Attribuierung als "toxisch" oder "gesund" ermöglichen und das soziale Feld damit nicht minder prägen.

  • Q: „Was interessiert euch im Podcast besonders?“



    Deibert: „Konkreter Alltag. Flirten, Daten, Sex, Verhalten auf der Straße oder im Job.“

    ;-) typisch Mann

  • Bundesliga, Autos und Holzhacken. Ja. Daherum kreisen auch stets meine Gedanken.

  • Ich bin männlich. Ich bin immer um Toleranz bemüht. Ich würde mich selbst als weit links bezeichnen. Ich bin für Gleichberechtigung, gegen Diskriminierung, gegen Stigmatisierung, für freie Liebe und alles was dazugehört.



    Die meisten Menschen, die ich kennenlernen durfte, egal ob männlich oder weiblich (eine diverse habe ich bisher noch nicht kennengelernt), würde von mir sagen, dass sie mich als guten Menschen mit viel Herz sehen.



    Doch jetzt kommt das Aber: Ich mag es, mit meinen Freunden stumpf über "Männerkitsch" zu sprechen, dumme Witze zu machen (auch und gerade auf Kosten anderer) und mich generell eher am "klassischen" Männerbild zu orientieren. Warum das kein Problem ist? Weil Boshaftigkeit nicht automatisch angenommen werden sollte. Mache ich einen Blondinenwitz, findet man ihn witzig, weils ein Witz ist und jeder weiß, dass hinter diesem Witz keinerlei Böswilligkeit steckt, sondern mithilfe Stereotypen fiktive Szenarien erschaffen werden, auf die unser Hirn mit Humor reagiert.



    Kontext ist so unglaublich wichtig, geht aber immer mehr verloren. Es gibt nur schwarz und weiß und alles, was da nicht einzuordnen ist, wird eingeordnet.



    Wir reden doch immer davon, dass es ok ist zu sein, wer man ist, solange man niemandem damit schadet. Warum zieht ihr dann immer mit Freude das in den Dreck oder ins Lächerliche, was für so viele Männer Alltag ist? Man wirft schnell den Begriff der "toxischen Maskulinität" in den Ring und ab dann ist alles erlaubt, es geht ja schließlich gegen die Männer, die können das schon ab, wenn wir ihre Hobbies und Vorlieben als "Kitsch" verniedlichen. Glaubt mir, das tut auch weh.