Interview mit Jugendforscher Hurrelmann: „Die können auch Krise“

Unruhe, aber keine Panik: Jugendforscher Klaus Hurrelmann macht sich um die politisierte Generation Greta keine Sorgen.

Corona und Ruhe kombiniert als Tafelaufschrieb

Die durch die Umstände verordnete Zeit, mal durchzuschnaufen Foto: dpa

taz: Herr Hurrelmann, stellen Sie sich vor, Sie wären heute 20 Jahre jung – hätten Sie Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen?

Klaus Hurrelmann: Ja. Ich hätte im Rücken die Erfahrung, dass ich freie Bahn habe. Ich wüsste, dass die Unternehmen sich erkennbar um qualifizierte Fachkräfte bemühen müssen, da hätte ich mir also bisher wenig Sorgen gemacht. Deshalb hätte ich auch Zeit gehabt, mich politisch zu engagieren: Ich wäre bei der Klimabewegung Fridays for Future aktiv gewesen. Ich hätte gelernt, wie man Politik beeinflusst.

Die Coronakrise würde Sie mit diesen Rückenwinderfahrungen kein bisschen verunsichern?

Natürlich wäre ich verunsichert. Ich hätte eventuell ein Semester an der Universität verloren. Ich würde hören, dass viele Unternehmen keine Ausbildungsverträge mehr abschließen. Es würde sich eine untergründige Unruhe aufbauen. So würde ich die Situation beschreiben. Und sie abschätzend auch verallgemeinern: Eine sehr positive Basiserfahrung führt dazu, dass derzeit keinerlei Panik verspürt wird, aber eine Unruhe, eine Ungewissheit herrscht.

Jahrgang 1944, forscht seit Jahren zur Lebenssituation von Jugendlichen. Der Bildungssoziologe wurde als Mitautor der „Shell Jugendstudie“ bekannt, heute unterrichtet er an der Hertie School of Governance in Berlin.

Wie lange trägt diese positive Basis die junge Generation noch?

Es ist eine Generation, in der ein erheblicher Teil – die „Shell Jugendstudie“ geht von 50 Prozent aus – sich politisch engagiert. Es ist eine Generation, in der die Wachen, die gut Gebildeten – häufig übrigens sind es junge Frauen – darauf aufmerksam gemacht haben: Die Klimakrise bedroht gerade alles, unsere ganze Lebensweise. Ich habe sie deshalb symbolisch die Generation Greta genannt. Das ist eine Generation, die äußerst sensibel, sehr leidenschaftlich die ältere Generation auf eine Krise aufmerksam macht.

Sie meinen, diese Generation ist an den Krisenmodus bereits gewöhnt?

Ja, diese jungen Menschen können auch Krise. Sie können Unsicherheiten ertragen.

Die Klimakatastrophe ist aber dennoch eher abstrakt, die Coronakrise bedroht viele viel direkter in ihren persönlichen Perspektiven.

Ja, auf jeden Fall. Und das politische Engagement, das wir unter den jungen Leute sehen, vor allem für die Klimabewegung, das steht auch gerade in Zusammenhang mit einer sehr guten beruflichen Perspektive. Die Generation davor, die vor 2000 geborenen, ist ein gutes Beispiel dafür: Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie sich womöglich nicht entfalten können, dass eine hohe Arbeitslosigkeit droht.

Bei der sogenannten Generation Y war das die Wirtschaftskrise 2008.

Ja. Die Generation Y hat dann anderes getan, als sich um das politische Gemeinwohl zu kümmern. Eine nicht egozentrische, aber doch egotaktische Generation, die sich sehr auf das eigene Fortkommen fokussiert.

Diese Unsicherheitserfahrung macht die Generation Greta doch jetzt auch.

Ja, das ist möglich. Aber ich denke, sie werden es besser hinbekommen. In jedem Fall besser als das Viertel oder Fünftel der jungen Leute, das jetzt schon in der Hochkonjunktur Probleme hatte, in Ausbildung und Beruf zu kommen. Diese Kluften, die sozialen Abstände, werden ganz deutlich aufbrechen, sollte es zu einer Arbeitsmarktkrise durch Corona kommen.

Die Krise betont die sozialen Unterschiede.

Ja, eine Krise macht immer unterschiedliche Privilegien und Ausgangsbedingungen in einem sehr scharfen Licht sichtbar.

Noch mal zurück zu Ihrer These, dass man sich politisches Engagement leisten können muss: Ist die Coronakrise, die eventuell eine Arbeitsmarktkrise nach sich zieht, dann das Aus für die Klimabewegung?

Ja, es könnte sein, dass sich die Generation Z zurückzieht aus der Gestaltung des Allgemeinwohls – wie auch die Generation Y vor ihr. Aber: Die Generation Z ist politisiert. Und diese Politisierung sitzt tief. Ich spekuliere jetzt mal, in Ordnung?

Spekulieren Sie.

Vielleicht haben wir zum ersten Mal die Situation, dass wir eine junge Generation haben, die die Krise selbst politisch thematisiert und für sich nutzt. Bisher sind diejenigen, die von den Auswirkungen einer Krise besonders betroffen waren, eher still gewesen und haben sich um sich selbst gekümmert. Das könnte jetzt anders sein.

Sie meinen, das ist eine zutiefst konstruktiv denkende Generation?

Ja, auch Fridays for Future war nie ein blinder Protest, diese Bewegung ist weniger gegen etwas – ein großer Unterschied übrigens auch zur letzten großen Protestbewegung, den 68ern – als vielmehr für etwas. Das ist eine Generation, die mitdenkt. Und dieses Prinzip könnte sich darauf übertragen, wie diese Generation mit der Krise umgeht: Wie modernisieren wir die Wirtschaft, wie müssen Beruf und Privatleben miteinander kombiniert werden, wie sieht ein modernes Büro aus?

Haben wir also eine Zukunft vor uns, die weniger individualistisch, weniger neoliberal geprägt ist?

Es ist eine individualistische junge Generation geblieben, das schon. Die eigene Persönlichkeit auszuleuchten, diese Freiheit der Gestaltung der eigenen Person, wie man sie ja auch in den sozialen Netzwerben beherrscht, die wird bleiben. Es wird natürlich immer von den eigenen Interessen aus geurteilt: Wir wollen eine gerechtere Wirtschaftspolitik, eine bessere Klimapolitik, weil wir als junge Leute sonst nicht überleben könnten. Aber dann kommt die solidarische Ebene dazu: Unterstützt uns, sonst können wir das nicht bewältigen. Und das ist ziemlich einmalig. Deshalb bin ich auch sicher, wir bewältigen auch die Gesundheitskrise besser, wenn wir die jungen Menschen viel mehr einbeziehen.

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