Interview: Frauenmangel bei Piraten: "Barbies müsste man verbieten"
Bei den Piraten gibt es einen großen Männerüberschuss. Zwei Piratinnen diskutieren, was man dagegen tun könnte - und ob das überhaupt ein Problem ist.
taz: Frau Arlt, Frau Zinn, in der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus sitzen 14 Männer und eine Frau. Hat die Piratenpartei ein Frauenproblem?
Alexandra Arlt: Zumindest haben wir den gesellschaftlichen Status quo - bei dem es etwa 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen geben müsste - noch nicht erreicht.
Jessica Zinn: Ich finde, eine Gleichverteilung ist stark überbewertet. Männer und Frauen interessieren sich nun einmal unterschiedlich stark für unterschiedliche Bereiche. In Kindergärten wird nicht so schnell die Hälfte der Erzieher männlich sein.
Alexandra Arlt
Die 30-jährige Erziehungswissenschaftlerin trat als Direktkandidatin im Wahlkreis Kreuzberg 1 an. Sie ist seit Dezember 2010 bei der Piratenpartei.
Jessica Zinn
Die 31-jährige Humanwissenschaftlerin sitzt für die Piraten in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Sie wurde mit der Bundestagswahl 2009 auf die Partei aufmerksam.
Arlt: Das ist aber nicht biologisch, sondern ein Sozialisations-Ding. Das kann man ändern.
Woran liegt es denn, dass bei den Piraten von außen mehr Männer sichtbar sind?
Arlt: Das frage ich mich auch. Vielleicht, weil wir immer noch als Nerdpartei wahrgenommen werden?
Also als Partei, in der vorwiegend Computerfreaks sind …
Arlt: Ich finde jedenfalls, wir brauchen mehr Frauen.
Zinn: Wir haben doch welche.
Arlt: Aber ich will mehr.
Zinn: Für eine Partei mit IT-Wurzeln haben wir schon sehr viele Frauen. Sie interessieren sich aber weniger dafür, im Vordergrund zu stehen und Ämter zu besetzen, als Männer.
Arlt: Auch das ist ein Sozialisationsproblem. Frauen wird anerzogen bescheiden zu sein, während Männer sich als Alphas geben und konkurrieren müssen.
Sind die Piraten post-gender, also über Geschlechterrollen hinaus?
Arlt: Nein. Die Geschlechtersterotype treffen auch bei uns weitgehend zu. Die Frauen sind leider überwiegend im Hintergrund und auch die Presse transportiert aktuell das Bild einer reinen Männerpartei.
Zinn: Ich hatte nie das Gefühl, als Frau bei den Piraten schlechter oder anders behandelt zu werden. Das spricht doch dafür, dass wir über die Gender-Debatte hinaus sind.
Arlt: Natürlich ist das Fernziel, die Geschlechterrollen loszuwerden. Wir wollen eine Post-gender-Gesellschaft. Aber noch haben wir sie nicht. Und wir müssen als Partei mit dem Zustand arbeiten, wie er gerade ist.
Wie ließe sich eine Post-gender-Gesellschaft erreichen?
Arlt: Ich denke, am besten geht das durch bessere und günstigere Kindererziehung. Dabei ist es wichtig, dass man den Kindern nicht vorschreiben darf, wie sie zu sein haben. Man muss den einzelnen Menschen sehen und nicht das Geschlecht. Außerdem sind Frauen und Männer durch die Arbeitsmarktverhältnisse bestimmt. Es gibt beispielsweise die meisten Teilzeitjobs in von Frauen dominierten Berufen, während ein Kfz-Mechaniker sicher Probleme hätte, wegen seiner kleinen Kinder eine Teilzeitstelle zu finden.
Zinn: Ich verstehe nicht, warum nicht darauf geschaut wird, wie unterschiedlich die Männer bei uns sind, sondern nur nach der Anzahl von Männern und Frauen gefragt wird. Bei den Piraten sind teilweise die Männer weiblicher sozialisiert als die Frauen. Ein Mann kann auch eher schüchterner oder zurückhaltender und daher benachteiligt sein.
Arlt: Klar, aus deiner Perspektive gibt es diese ganzen Gender-Probleme nicht. Du lebst schon lange in einer Hacker-Community, alle sind sich ähnlich, es gibt ein reflektiertes Umfeld. Ich komme aus einer Kleinstadt, da sieht das anders aus.
Zinn: Es stimmt natürlich, dass Probleme, wie die Benachteiligung von Frauen in meiner Umgebung eher weniger auftreten. Trotzdem finde ich beispielsweise die Diskussion über eine Quote veraltet. Zu sagen, wir besetzen einen Posten so lange nicht, bis es eine geeignete Frau dafür gibt, das geht nicht.
Arlt: Ich lehne die Quote auch ab. Was sollen wir damit, wenn die Geschlechterstereotype so bleiben wie zuvor? Vor allem: Wenn sich 100 Männer und eine Frau auf einen Posten bewerben, und sie wird genommen, nur weil sie Brüste hat, das kanns nicht sein.
Zinn: Deshalb sollte es keine Fotos in Bewerbungen geben.
Sind es wirklich nur die Fotos?
Zinn: In den aktuellen Stellenausschreibungen der Piratenpartei sollen die Bewerber auch keine Angaben zu Alter oder Geschlecht machen. Ein Punkt, warum die Geschlechterzugehörigkeit bei den Piraten eine geringere Rolle spielt als bei anderen Parteien, ist auch, dass bei uns ein großer Teil der Kommunikation über das Internet abläuft. Dort kann man anonym auftreten. Man lernt sich kennen, ohne zu wissen, wie der andere aussieht und welches Geschlecht er hat. Das, was zählt, ist, was man sagt und was man macht.
Das klingt, als würden Sie davon ausgehen, dass mit der Zeit die Stereotype schon von selbst verschwinden.
Zinn: Genau. Die Bilder der Frau als Hausfrau und Mutter und des Mannes als Ernährer, die haben wir ja schon ziemlich aufgebrochen. Wer jetzt aufwächst, sieht, dass er viel mehr Wahlmöglichkeiten hat als jemand, der in den 50er Jahren aufgewachsen ist. Ich glaube, diese ganze Diskussion erledigt sich irgendwann von selbst.
Arlt: Aber das ist wirklich nur unsere kleine, intellektuelle Insel. Schau doch mal Werbung im Fernsehen. Oder neulich, da hatte ich eine Cerealienpackung in der Hand. Und was zeigte die Geschichte darauf? Die brave große Schwester und mit dem kleinen Bruder, der als totaler Rowdy dargestellt wurde. Klischee, schlimmer gehts doch nicht.
Zinn: In einem Gespräch hat mir eine Hauptschullehrerin erzählt, dass für viele ihrer Schülerinnen die einzige Perspektive ist, Kinder zu kriegen und ein Hausfrauendasein zu führen.
Arlt: Und jetzt stell dir mal vor, die hätte noch andere Perspektiven. Da müssen wir ansetzen, und zwar mit Bildung.
Bildung muss aber nicht verhindern, dass Jungs in der Kita mit Autos und Mädchen mit Puppen spielen.
Arlt: Barbies müsste man ohnehin verbieten. Was bitte soll denn das für ein Vorbild sein, magersüchtig mit Silikonbrüsten. Pädagogisch sinnvolles Spielzeug ist das jedenfalls nicht.
Wenn es danach ginge, müsste man auch ziemlich vieles andere verbieten.
Arlt: Verbieten hilft nicht wirklich, aber ich denke, dass eines der großen Probleme tatsächlich die Industrie ist, die hinter den Geschlechterrollen steckt. Die Kosmetika verkaufen will und chirurgische Eingriffe und Kleidung. Das ließe sich alles nicht mehr verkaufen, wenn allen vermittelt würde, dass sie so in Ordnung sind, wie sie sind. Das ganze System basiert darauf, Komplexe aufzubauen mit Normen, in die kein Mensch jemals passen wird.
Zinn: Das ist die kapitalistische Logik. Sie zielt nicht auf Humanismus und Gleichberechtigung ab.
Das heißt, ohne grundsätzlichen Systemwechsel keine Gleichberechtigung?
Arlt: Ein Anfang wären neben Bildung auch Strukturen, die es ermöglichen, dass Frauen Karriere machen, wenn sie das wollen. Betriebskindergärten zum Beispiel.
Glauben Sie, wenn die Piraten bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl in fünf Jahren antreten, haben sie mehr als eine Frau auf ihrer Landesliste?
Zinn: Es werden mehr sein. Bislang wurden wir vor allem als Nerdpartei wahrgenommen. Es gab eine Menge Vorurteile in Richtung Internet- oder Männerpartei. Mittlerweile kommen auch Frauen zu uns, die uns zum Beispiel wegen unseres Sozial- oder Bildungsprogramms gut finden.
Arlt: Ich würde mir wünschen, dass die Frauen sehen, dass man bei uns was machen kann. Das haben wir wohl bislang nicht so gut kommuniziert. Und die Nerds sind eigentlich ganz handzahm. Neulich wurde ich gefragt, wie das mit den Frauen bei uns aussieht und ich sagte, wir hätten sogar Männer in Kleidern.
Zinn: Trotzdem finde ich es albern, reine Frauentreffen zu machen.
Arlt: Das finde ich auch. Reine Frauentreffen sind auch den Männern gegenüber diskriminierend.
Sollte denn die Hälfte der Piraten-Abgeordneten weiblich sein?
Arlt: Ja.
Zinn: Ich finde das nicht wichtig. Ich will jemanden, der ordentlich arbeitet und Ahnung hat. Wir werden nie das Ziel erreichen, die Gesellschaft abzubilden. Ziel muss es sein, dass jeder frei entscheiden kann, was er machen will.
Arlt: Das wird aber noch eine ganze Zeit dauern, bis man von wirklicher Gleichberechtigung sprechen kann. Die Gesellschaft muss aufhören, Frauen zu benachteiligen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga