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Internierungslager für MigrantenPakt mit Weißrusslands Diktator

Weißrussland soll Visumserleichterungen bekommen, wenn es Flüchtlinge aus der EU zurücknimmt. Dafür finanziert Europa auch „geschlossene“ Unterkünfte.

Der letzte Diktator Europas soll die Drecksarbeit machen: Alexander Lukaschenko Foto: imago/ITAR-TASS

BERLIN taz | Die EU finanziert den Bau von Internierungslagern für Migranten in Weißrussland. Laut einem internen Papier der EU-Kommission, das der taz vorliegt, sollen dafür in den nächsten Jahren 7 Millionen Euro nach Minsk überwiesen werden. Die „Migrants Accomodation Center“ genannten Zentren sollen teils offen, teils „closed type“ sein, wie es in der Projektbeschreibung heißt – eine Umschreibung dafür, dass die Insassen dort eingesperrt werden, bevor Weißrussland sie abschiebt oder sie freiwillig ausreisen.

Das Geld stammt aus dem Europäischen Nachbarschaftsprogramm (ENI) und soll von 2017 bis 2020 fließen. Die Projektabwicklung soll die International Organization for Migration (IOM) übernehmen.

Die 30 bis 50 Plätze umfassenden Zentren sollen „besten EU- und internationalen Standards“ genügen, heißt es in dem Papier. Damit sind etwa separate Trakte für Frauen, Mädchen oder Familien und psychologische und ärztliche Betreuung gemeint, was es derzeit in Weißrussland nicht gibt. Gedacht sind die Zentren vor allem für Flüchtlinge und Migranten, die entweder an den EU-Grenzen abgewiesen oder künftig aus der EU in das Land abgeschoben werden.

Drei Gruppen der Migranten, die in den Einrichtungen untergebracht werden sollen, werden in den EU-Plänen genannt: Flüchtlinge aus der Ukraine, Syrien und solche, die vor der „wirtschaftlichen Krise in Russland fliehen und Arbeit in der EU suchen“. Tatsächlich dürften vor allem tschetschenische Flüchtlinge dort landen. Wie groß der Anteil der „geschlossenen“ Plätze sein wird, geht aus dem Papier nicht hervor. Ebenso wenig ist beschrieben, welche Flüchtlinge interniert werden und welche sich frei bewegen dürfen sollen.

In den Zentren sollen Informationen über die Flüchtlinge gesammelt und der EU-Grenzschutzagentur Frontex für die Erstellung von Lagebildern zur Verfügung gestellt werden. Ähnliche Einrichtungen hat die EU bereits in der Türkei und der Kaukasusregion finanziert.

Verhandlungen über drei Migrationsabkommen

Hintergrund des Projekts sind die vor dem Abschluss stehenden Verhandlungen zwischen der EU und Weißrussland über drei Migrationsabkommen: Eines sieht vor, die Einreisebedingungen für Weißrussen in den Schengenraum zu erleichtern. Das zweite ist eine sogenannte Mobilitätspartnerschaft, etwa für leichteren Zugang zu Arbeits- und Studentenvisa. Das dritte Abkommen, das Brüssel mit dem Diktator Lukaschenko aushandelt hat, ist die Gegenleistung für die ersten beiden: Ein Rücknahmeabkommen, das Weißrussland verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die über das Land in die EU kommen.

An diesem Punkt stockten die Verhandlungen. Erst am Dienstag meldete sich das Außenministerium in Minsk in der Sache zu Wort. Sein Land sei derzeit nicht imstande, das Rücknahmeabkommen, wie es sich die EU vorstellt, umzusetzen, sagte der Abteilungsleiter Igor Fissenko.

Er kritisierte, dass die EU die Visaerleichterungen aber nur gewähren will, wenn Minsk es unterschreibt. „Nach der jüngsten Migrationskrise in Europa hat eine gewisse Neuordnung der Werte stattgefunden“, sagte Fissenko. „Wir können die Umsetzung des Rücknahmeabkommens einfach nicht bewerkstelligen. Uns fehlt dafür die entsprechende Infrastruktur.“

Im Februar 2016 hatte die EU ein Ende der Sanktionen gegen Weißrussland beschlossen. Die Opposition in dem Land hatte dies heftig kritisiert.

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13 Kommentare

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  • Pervers.

  • 7G
    74450 (Profil gelöscht)

    Es ist schon zynisch, Menschen, die vor dem Willkürstaat in Tschetschenien fliehen als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen. Widerliche EU!

  • "Den OSZE-Standards nicht entsprechenden Präsidentschaftswahlen am 19.12.2010 folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte noch am Wahlabend gegen Demonstranten mit über 700 Festnahmen, was eine Repressionswelle gegen Opposition, unabhängige Medien und Zivilgesellschaft einleitete. Die EU reagierte mit Sanktionen gegen Belarus.

    [...]

    Die EU und die Bundesregierung verbinden jedoch die weitgehende Aufhebung der Sanktionen weiterhin mit Erwartungen bezüglich Verbesserungen bei der Menschenrechtslage, Demokratieentwicklung und den Arbeitsbedingungen für Nicht-Regierungsorganisationen, Oppositionsvertreter und unabhängige Medien.

     

    Belarus ist der einzige europäische Staat, in dem noch die Todesstrafe vollstreckt wird. Die Bundesregierung und die EU rufen Belarus weiterhin zur Abschaffung der Todesstrafe auf."

     

    "Landesspezifische Besonderheiten

     

    Gesetzliche Vorschriften können sich durch Präsidialerlasse (Dekrete) schnell ändern.

     

    Es gibt in Belarus keine öffentlichen oder privaten Stellen, die ausländischen Touristen zur Behebung einer vorübergehenden Notlage, z.B. finanzieller Art, Hilfe gewähren."

     

    "Die medizinische Versorgung entspricht oft nicht westeuropäischem Standard. Die medizinische Versorgung außerhalb der großen Städte ist meist unzureichend, die rasche und zuverlässige Versorgung von Verletzten oder schwer Erkrankten (Transport, Erste-Hilfe) nicht immer gewährleistet. Nur wenige Ärzte und Krankenschwestern sprechen mitteleuropäische Fremdsprachen."

     

    Einige Auszüge aus den Länderinformationen des Auswärtigen Amtes. Sollen ja nicht wieder alle behaupten können, von den Vorgängen in den Lagern im Osten nichts gewußt zu haben.

  • Immerhin ist die EU logisch konsequent. Alles fürs Image und's Image ist für die Katz.

  • Menschenrechtsaffine Politik kann man der EU nicht unbedingt nachsagen. Auch früher nicht. Aber, und das ist der Unterschied zu heute, sie halten es nicht mal mehr für nötig zu heucheln.

     

    Was einerseits gut ist, obskure Dinge lassen sich immer schlecht beim Namen nennen, ist andererseits schlecht. Denn die Heuchelei hat immer auch eine Erwartungshaltung geweckt, der in irgendeiner Art entsprochen werden musste. Und sei es nur verbal, womit sie allerdings die Erwartungshaltung vertieft. Das ist das Problem der öffentlichen Kommunikation von Sachverhalten, sie schafft ihre eigene Wahrheit bzw. den Anspruch, dieser gerecht zu werden.

     

    Dann wiederum - wen interessierts? Und hat es je interessiert. Die Flüchtlingskrise wird schließlich auch als eine der Bevölkerungen der EU-Länder verstanden. Was so falsch wie es richtig ist. Nicht mehr die Flucht und die -gründe sind die Krise, sondern *der Flüchtling* in Europa. Richtig aber ist, dass die Flüchtlingskrise die Krise der liberalen Gesellschaften reflektiert und ihren Ausdruck u.a. im Deal mit Lukaschenko findet. Der Zuspruch zum FN&Co manifestiert nicht etwa eine paternalistische und rassistische Grundhaltung der Bevölkerung, die ist nur Teil davon und es ist keineswegs klar, wie groß der ist. Wäre es so, bleibt unerklärlich, warum die Parteien rechtsaußen erst seit relativ kurzer Zeit so viel Zuspruch erfahren.

  • Nichts Neues also.

  • Ein Europa, das mit Diktatoren paktiert und Internierungslager für Flüchtlinge in Weißrußland betreibt, damit solch arme Länder wie Polen, Österreich und Tschechien keine Migranten aufnehmen müssen, ist nicht mein Europa.

     

    Zum Kotzen!

    • @kditd:

      Billige Produkte (z.B. Möbel) oder Arbeitskräfte (IT Outsourcing) aus Weißrußland stören uns auch nicht. Könnte dauernd Kotzen, aber so viel Mageninhalt habe ich gar nicht.

  • Und schon wird aus dem gemeinen Diktator ein netter Nachbar. Ist doch schön, eine elastische Moral zu haben...

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Bei den Verhandlungen zur Urkaine war er ja auch schon gern gesehener Partner. So neu ist die Wandlung also nicht.

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Wie heißt es so schon? Wenn Zwei sich streiten, freut sich der Dritte.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      ... warten Sie mal den Deal mit Assad ab.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Elastische Moral :) sehr schön