Internet in Russland: Russlands digitale Entkopplung
Wladimir Putin plant eine digitale Mauer zum Blocken von Tech-Firmen wie Facebook. Sein Vorbild: die „große Firewall“, die China abschirmt.
Doch seit Russlands Truppen in die Ukraine einmarschiert sind, werden wohl all diese Bastionen des zivilen Ungehorsams der Vergangenheit angehören. Die Regierung hat, angelehnt am Vorbild China, eine digitale Mauer über Russlands Internet gezogen und damit auch den Informationsfluss systematisch kontrolliert.
Der Zugang zu Facebook und Twitter scheint derzeit blockiert zu sein, Tiktok und Netflix haben ihre Dienste in Russland offenbar aus eigenen Stücken suspendiert, und ein neues Gesetz bestraft Journalisten mit bis zu 15 Jahren Gefängnis, wenn sie „Falschinformationen“ über den Krieg in der Ukraine publizieren.
„Vielleicht ist es Zeit, mir eine VPN-Software zu besorgen. Bislang habe ich sie noch nie benutzt“, schreibt Artyom Lukin, ein in Wladiwostok lebender Forscher der internationalen Beziehungen, auf Twitter. VPN-Dienste bezeichnen geschützte Netzwerkverbindungen, mit derer man seine Identität verschleiern und auch einen anderen Standort vortäuschen kann.
In den letzten Tagen ist in Russland die Nachfrage nach VPN-Anbietern astronomisch gestiegen. Doch ausgerechnet die westlichen Sanktionen erschweren es den Russen, die Hilfsmittel zu besorgen – oftmals lassen sich diese nur per Visa bezahlen, dessen Betrieb in Russland mittlerweile gesperrt ist.
In China ist dieser Ausnahmezustand seit Jahren bereits Normalität. Die digitale „Mauer“, die Putin derzeit um das russische Internet hochzieht, hat die Parteiführung in Peking bereits seit über einem Jahrzehnt errichtet. Mehr noch: Die Überwachung und Abschirmung gehen in China weit über das hinaus, wozu das technologisch rückständige Russland überhaupt in der Lage wäre. Dass eine solche Parallelwelt auch für Wladimir Putin attraktiv erscheint, steht außer Zweifel. Dennoch ist fraglich, ob das Vorhaben langfristig gelingen kann.
Der Fotograf einer US-amerikanischen Nachrichtenagentur, der in Moskau und Peking gearbeitet hat, sieht einen Unterschied: „In Russland war der Spalt zur Freiheit – im Gegensatz zu China – bereits relativ weit offen. Diese Tür wieder zu schließen ist nahezu unmöglich“, sagt er mit Bitte um Anonymität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner