piwik no script img

Internet-Radiomacherin im Interview„Monokulturalität sehe ich als Strafe“

Als der Sender Multikulti vor zehn Jahren eingestellt wurde, ging Brigitta Gabrin mit dem Nachfolger multicult.fm auf Sendung. Sie leitet ihn bis heute.

Brigitta Gabrin ist Vollblut-Radiomacherin – erst bei Radio Multikulti, dann bei multicul.fm Foto: Piero Chiussi
Interview von Alke Wierth

taz: Frau Gabrin, was ist multicult.fm eigentlich genau?

Brigitta Gabrin: Auf jeden Fall mehr als ein Radio. Es sollte ursprünglich einfach nur ein Radio werden, so ähnlich wie unser Vorgänger Radio Multikulti …

… die mehrsprachige interkulturelle RBB-Welle, die Ende 2008 eingestellt wurde …

… mit Weltmusik und Fremdsprachenprogrammen. Aber mittlerweile ist multicult.fm eine Art Social Enterprise für mediale Vielfalt und Integration geworden, eine Talentwerkstatt für crossmedialen Journalimus, ein Ort, wo sich Menschen treffen, geflüchtete und nicht geflüchtete, eingewanderte und nicht eingewanderte. Ich sehe das so: Wir sind das Radio von morgen. Nämlich mit ganz viel Partizipation. Eine Mischung aus Social Media und einem ganz normalen Radio.

Ziemlich exakt vor zehn Jahren, am 31. 12. 2008, wurde Radio Multikulti abgeschaltet, wo Sie bis dahin Moderatorin waren. Sie haben dann multicult.fm gegründet und sind noch in derselben Nacht auf Sendung gegangen. Warum?

Radio Multikulti war der Grund dafür, dass ich heute nicht als Psychologin arbeite – was ich vom Studium her eigentlich bin –, sondern als Journalistin. Ich war fasziniert von dieser Art von Radio, mehrsprachig, mit Berichten und Berichterstattern aus aller Welt. Ich bin selbst dreisprachig aufgewachsen und habe Monokulturalität und Einsprachigkeit immer eher als Strafe betrachtet. Deshalb konnte ich die Abwicklung von Radio Multikulti einfach nicht hinnehmen. Ich bin jemand, der gegen Ungerechtigkeit kämpft.

Und da haben Sie sich gedacht: Wenn die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt des Landes das nicht mehr stemmen will, dann stemme ich das?

Im Interview: Brigitta Gabrin

Der Mensch Brigitta Gabrin wächst als Tochter eines ungarisch-deutschen Paars dreisprachig im sozialistischen Rumänien auf. Nach ihrem Abitur in Sibiu/Hermannstadt zieht sie in den 1980er Jahren nach Deutschland und studiert Psychologie in Westberlin. In der wilden Punker- und Politszene holt sie alles nach, was ihr als brave Pionierin verwehrt wurde, und erlebt als junge Mutter eines Sohnes die Hochs und Tiefs der Kinderladen-Ära.

Die Journalistin Brigitta Gabrin absolviert nach Abschluss ihres Psychologiestudiums ein Spezialvolontariat zur Ausbildung als Hörfunk- und Fernsehredakteurin am Grimme-Institut unter dem Titel „More colour in the media“. Sie arbeitet zehn Jahre als Moderatorin bei Radio Multikulti, das seit September 1994 zunächst vom Sender Freies Berlin (SFB), dann vom Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) ausgestrahlt wird und Programme in deutscher und 17 weiteren Sprachen anbietet. Als Radio Multikulti trotz breiten öffentlichen Protests Ende 2008 eingestellt wird, gründet sie mit viel Verstärkung das unabhängige Nachfolgeprojekt multicult.fm. Seither leitet sie ein Team internationaler Journalisten, Produzenten und Unterstützern innerhalb des nichtkommerziellen Senders multicult.fm, der aus einem gläsernen Studio in der Marheineke-Markthalle in Kreuzberg sendet.

Das Radio kann man auf http://multicult.fm hören, sowie einige Stunden täglich auf UKW 91,0 in Berlin. (taz)

Zufällig war mir damals zu Ohren gekommen, dass die Abschaltung nicht im Sinne der Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb) war …

… die für den privaten Rundfunk im Land zuständig ist und dort vor allem die Vielfalt fördern soll ...

… und dass die mabb gewillt wäre, eine Viertel- bis eine halbe Million für einen Nachfolgesender bereitzustellen. Und das habe ich auch geglaubt. Außerdem hatte ich kurz vorher sozusagen die Schwelle zum Status der Gründerin überschritten: Als meine Heimatstadt Sibiu in Rumänien – Hermannstadt – 2007 europäische Kulturhauptstadt war, da hatte ich die Idee, dort ein digitales deutsch-rumänisches Radio aufzubauen. Das hat leider nicht geklappt – aber damit war die Grundlage gelegt, es hier anzuschieben.

Sie sind dreisprachig aufgewachsen, erst in Michelsdorf/Boarta in Rumänien und ab Ihrem 14. Lebensjahr in Sibiu/Hermannstadt – einer ziemlich multikulturellen Gegend. Dort lebte unter anderen die deutsche Minderheit der sogenannten Siebenbürger Sachsen.

Meine Familie war komplex: Meine Mutter ist gebürtige Westfälin und wurde 1933 als Dreijährige von einer Siebenbürger Sächsin nach Sibiu mitgenommen, die unbedingt ein „reichsdeutsches Kind“ adoptieren wollte. Meine Mutter wuchs also unter der deutschen Minderheit in Rumänien auf und heiratete später einen Mann aus der ungarischen Minderheit in Rumänien. So wuchs ich dreisprachig auf: zu Hause mit Ungarisch und Deutsch und draußen, auf der Straße, in der Schule mit Rumänisch. Deutsch ist meine Muttersprache, Rumänisch meine Heimatsprache. Und Ungarisch spreche ich auch, aber da mache ich unheimlich viele Rechtschreibfehler.

Wie lief das, so aufzuwachsen?

Wir haben als Kinder immer die Worte benutzt, die uns am passendsten zu dem, was sie bezeichnen sollten, erschienen. Also haben wir lieber rumänisch „Luna“ als deutsch „Mond“ gesagt. Wir haben ein unglaubliches Kauderwelsch gesprochen, uns aber immer verständigen können, denn in unserem Dorf wurden diese drei Sprachen tatsächlich gesprochen. Die Schule hat uns dann dazu diszipliniert, jeweils nur eine Sprache zu benutzen. Man hat ein anderes Gefühl für Sprache und ein anderes Verhältnis zu ihr, wenn man so aufwächst. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand Worte aus einer anderen Sprache ins Deutsche mischt. Das erscheint mir nicht als Fehler. Und monokulturelles Denken ist mir nicht nur fern, sondern zuwider. Weil es nichts mit der Realität des 21. Jahrhunderts zu tun hat.

Lebten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen freundlich miteinander?

Eigentlich wollte ich immer nur den Sozialismus weiter aufbauen.

Es gab kaum Streit, aber man lebte bei genauerem Hinsehen vielleicht doch eher nebeneinander. Am schwersten hatten es die Roma. Aber dass meine Schwester einen Rumänen heiratete, war auch nicht gern gesehen. Obwohl die besten Familienfreunde Rumänen waren. Vielleicht kommt daher auch mein Gefühl, dass man sich für Minderheiten einsetzen muss.

Wie und wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Eigentlich wollte ich immer nur den Sozialismus weiter aufbauen. Ich war eine sehr brave Pionierin. Und habe mich in meiner Verehrung für Nicolae Ceaușescu …

… 1965 bis 1989 Staatspräsident der Sozialistischen Republik Rumänien ...

… sehr gut mit meiner Adoptivoma verstanden, die tatsächlich den Wandel von einer reichstreuen Nationalsozialistin zu einer glühenden Marxistin geschafft hatte. Gemeinsam liebten wir Ceaușescu, weil er Partisan und Sohn einer armen Familie war. Als in den siebziger, achtziger Jahren die deutsche Minderheit von der Bundesrepu­blik quasi aus Rumänien herausgekauft wurde, lag es mir noch sehr fern, Rumänien zu verlassen. Später belehrte mich das Regime aber eines Besseren.

Was passierte?

Ich bekam zum Beispiel keinen Reisepass – nicht einmal für Reisen in das sozialistische Ausland. Das war eine Willkür, die ich nicht ertragen konnte. Ich habe dann einen Berliner Hausbesetzer geheiratet, um nach Deutschland zu kommen.

Wie alt waren Sie da?

22. Und dann habe ich hier angefangen Psychologie zu studieren.

Wie sind Sie als Psychologin zum Radio gekommen?

Damals gab es Radio Multikulti noch nicht, aber es gab Radio 100 …

… den ersten privaten Westberliner Hörfunksender ...

Ich war fasziniert von Radio, von der Mehrsprachigkeit, der Idee des Transkulturellen.

… der ziemlich links war und bereits Migrantengruppen die Gelegenheit zu muttersprachlichen Sendungen, etwa in Arabisch, Türkisch, Kurdisch oder Polnisch, bot.

Ilona Marenbach, später Chefredakteurin von Radio Multikulti, war dort Moderatorin.

Ja. Und ich war fasziniert von Radio, von der Mehrsprachigkeit, der Idee des Transkulturellen. Nach Abschluss meines Psychologiestudiums habe ich ein Praktikum bei der Jungen Welt gemacht, habe auch für die taz geschrieben, und dann bekam ich die Möglichkeit, über das Grimme-Institut ein Volontariat für Hörfunk und Fernsehen zu machen, das war ein EU-gefördertes Programm namens „More colour in the media“, eine ganz tolle Ausbildung. So kam ich am Ende zum RBB-Radio Multikulti, wo ich lange die Mittagssendung „Metro“ moderiert habe …

… und wir beide, bis ich 2005 zur taz ging, Kolleginnen waren. Sie waren also 2008, als Multikulti endete und multicult anfing, eine gestandene Journalistin mit viel Erfahrung. Mal ehrlich: Was haben Sie damals für multicult.fm für eine Perspektive gesehen?

Eine ganz tolle: Damals stand ja noch diese halbe Million von der Medienanstalt im Raum.

Und kam die?

Die kam nie. Und als das so sechs Monate später endgültig klar war, habe ich wirklich Zweifel bekommen. Ich hatte ja eine ganze Mannschaft – aus den 15 Leuten der ersten Stunde waren inzwischen 80 geworden, die ­bereit waren, ehrenamtlich bei multicult.fm mitzuarbeiten. Einige davon waren von Radio Multikulti und mussten ja auch weiter irgendwo Geld verdienen. Dann hieß es aber plötzlich, wer sich bei uns ehrenamtlich engagiere, dürfe nicht mehr beim RBB arbeiten.

Warum?

Man hat uns offenbar tatsächlich als Konkurrenz gesehen. Und das war natürlich vor allem ein Problem für die KollegInnen aus den Fremdsprachen, die kaum Möglichkeiten hatten, anderswo als Journalisten Geld zu verdienen als beim RBB.

Die fremdsprachigen Sendungen gingen dort auch nach dem Ende von Multikulti teilweise weiter.

Damals habe ich wirklich Angst bekommen und mich gefragt, wie multicult.fm weitergehen kann. Woher wir Geld bekommen.

Anfangs hat multicult.fm von einem Schiff gesendet.

Ja, das gehörte einem Technikkollegen vom RBB und war eigentlich ein fantastischer Ort und passte ja irgendwie auch sehr gut zu uns, dem „Piratenradio“. Aber das ging dann – auch aus Geldgründen – nicht weiter: Die Leitungen dort waren zu schwach für den Stream. Wir hätten 5.000 Euro gebraucht, um neue Leitungen zu legen. Die hatten wir aber nicht. Dann sind wir zigmal umgezogen, wir wurden Nomaden. Und haben tatsächlich eine Zeit lang aus einem Zelt gesendet. Diese Zeit war auch psychisch sehr anstrengend für mich.

Vor allem aber finanzieren wir uns durch Projekte. Wir machen Medienkompetenzprojekte mit Schulen, mit Willkommensklassen, mit Jugendlichen.

Haben Sie nie daran gedacht, hinzuschmeißen?

Nein. Aber das lag nicht daran, dass ich dachte: Denen zeige ich es. Ich hatte eher Angst davor, all die zu enttäuschen, die multicult.fm unterstützt haben oder hören wollten. Wir hatten ja von Anfang an ein tolles Hörerfeedback. Und auch ein positives Feedback aus der Politik – auch wenn es von dort leider kein Geld gab. Ich habe mir dann überlegt: Wir müssen so cool werden und von so einem coolen Ort senden, dass die Leute gerne ehrenamtlich für uns arbeiten.

Jetzt senden Sie aus der Marheineke-Markthalle in Kreuzberg – von einem ziemlich schönen Ort. Zahlen Sie hier Miete?

Ja, aber nicht sehr viel.

Wie finanziert sich multicult.fm heute?

Es gibt nach wie vor Spenden. Vor allem aber finanzieren wir uns durch Projekte. Wir machen Medienkompetenzprojekte mit Schulen, mit Willkommensklassen, mit Jugendlichen. Daraus generieren sich oft auch ehrenamtliche junge Mitarbeiter. So hat sich zum Beispiel für unsere Sendung Culture Clash eine Gruppe von etwa 30 Leuten gebildet, die mal eine deutsch-japanische oder eine deutsch-französische Sendung machen. Seit zweieinhalb Jahren führen wir, gefördert durch das Innenministerium, über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unser Projekt multicult.plaza durch. Dabei nutzen wir den Standort hier auch als Treffpunkt und für interkulturelle Partizipation von Geflüchteten. Daraus generieren sich natürlich auch Radioinhalte.

Wie viel Geld bräuchten Sie, damit mul­ti­cult.fm über die Runden kommt?

Mindestens 150.000 Euro für die Fixkosten im Jahr. Da sind noch keine Gehälter drin. Aber wir haben seit ein paar Jahren drei, vier Stellen, die das Jobcenter finanziert. Und einen recht festen Stamm von großartigen Ehrenamtlichen, verteilt über die ganze Republik. Sogar in der Leitung werde ich von einem ehrenamtlichen EDVler und einen Justiziar unterstützt – beide Rentner, aber unverzichtbar.

Und wie viele Hörer haben Sie?

Als wir es uns zuletzt leisten konnten, das zu messen, waren es 50.000. Das war 2014.

Wie viele Stunden Wortprogramm stellt multicult.fm täglich auf die Beine?

Das sind mit Wiederholungen und ­unseren Übernahmen von ausländischen Radios täglich sechs bis zehn moderierte Stunden, in insgesamt etwa zehn Sprachen – nicht täglich, aber über den Monat verteilt. Bei vielen Musiksendungen verbinden die MusikerInnen ihren Studiobesuch mit einem spontanen Konzert auf der multicult Plaza in der Markthalle. Aber es ist schwer, das alles aufrecht­zuerhalten. Denn es gehen ja auch ­immer wieder MitarbeiterInnen weg, weil sie ­anderswo Geld verdienen ­können und auch müssen. Wir haben ein ­festes Programmschema, aber wir schaffen es nicht immer, das einzuhalten.

Was wünschen Sie sich zum 10. Geburtstag – außer 150.000 Euro Grundfinanzierung im Jahr?

Ich wünsche mir jemanden, der mich als Geschäftsführerin und Chefredakteurin entlasten kann. Und ich wünsche mir die Unterstützung der Stadt. Nicht nur der Politik, auch der Unternehmen. Diese Stadt ist so bunt, und wir geben ihr so viel.

Gibt es denn einen Hoffnungsschimmer für irgendeine Unterstützung?

Für die nächsten zwei Jahre bekommen wir eine Förderung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und des Europäischen Sozialfonds, da geht es um ein Ausbildungsprojekt für Langzeitarbeitslose im Medienbereich. Wir wollen die Zeit nutzen, um die Zertifizierung als mediales Ausbildungszentrum zu erlangen. Und wegen einer kleinen Regelfinanzierung führen wir gerade Gespräche mit Medienpolitikern auf Landesebene – dafür brauchen wir viele gedrückte Daumen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!