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Internet-Abschaltung in AfghanistanKatastrophal für die Frauen

Thomas Ruttig
Kommentar von Thomas Ruttig

Die Taliban schalten das Netz ab. Damit machen sie die letzte Chance von Afghaninnen auf Bildung zunichte.

Besonders junge Frauen leiden unter den wenigen Bildungsmöglichkeiten unter den Taliban in Afghanistan Foto: Ali Omid Tagdisyan/imago

E in deutlicheres Zeichen ihrer Antimodernität konnten die herrschenden Taliban in Afghanistan kaum setzen: Seit Montag erzwingen sie landesweit ein fast totales Internetverbot (Alternativen sind für viele zu kostspielig), und zwar nach dem Prinzip „Koste es, was es wolle“.

Die Kosten verteilen sich allerdings sehr ungleichmäßig. Die Behörden der Taliban selbst, Banken, Flughäfen, alle, die es sich leisten können – die gibt es weiterhin etwa unter der afghanischen Businesselite, die mit und unter den Taliban weiter Geschäfte machen –, werden bald auf Internet per Satellit umgeschaltet haben.

Die wirtschaftlichen Kosten des Blackouts sind ärgerlich für sie, aber Störungen werden bald behoben sein – wie nach der Cyberattacke gegen europäische Flughäfen.

Ungleich härter trifft es die breite Bevölkerung, die zu 90 Prozent unter der Armutsgrenze lebt und buchstäblich ums tägliche Brot ringt. Und wie immer trifft es überproportional Frauen und Mädchen.

Afghanistan

Nach zwei Jahrzehnten Militäreinsatz der US-geführten Nato-Truppen gewann die islamistische Terrorgruppe der Taliban im August 2021 die Kontrolle im Land zurück. Die afghanische Bevölkerung leistet trotz Repressionen Widerstand.

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Das Emirat der Taliban ist ein ideologisches Projekt, eine beispiellos rückwärtsgewandte Erziehungsdiktatur. Erzogen und von „Fasad“ – was finanzielle wie moralische Korruption meint – befreit werden müssen in ihren Augen jene, die während der US-geführten Intervention von 2001 bis 2021 eben „moralisch kontaminiert“ wurden: Frauen, die auf Selbstbestimmung, Minderheiten, die auf Gleichberechtigung pochen, Menschen aller Geschlechter, die sich bilden oder auch nur unterhalten wollen.

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Längerfristig belasten die wirtschaftlichen Verluste vor allem die Opfer der Taliban-Erziehungsdiktatur. UN und Weltbank haben vorgerechnet, dass der Ausschluss der Frauen aus weiten Teilen des Erwerbslebens das Land pro Jahr 1 Milliarde Dollar an Wirtschaftskraft kostet, das geltende Bildungsverbot für ältere Mädchen 1,4 Milliarden.

Aber vor allem menschlich ist es katastrophal. Wenn jetzt Afghaninnen die Chance verlieren, sich wenigstens online zu bilden oder die Produkte ihrer Arbeit zu vermarkten, treibt es viele weiter in Isolation und Traumata und zerstört Zukunftsaussichten und ­Leben.

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Thomas Ruttig
Autor:in
Mitbegründer des unabhängigen Think Tanks Afghanistan Analysts Network Kabul/Berlin (https://www.afghanistan-analysts.org/en/). Abschluss als Diplom-Afghanist, Humboldt-Univ. Berlin 1985. Erster Afghanistan-Aufenthalt 1983/84, lebte und arbeitete seither insgesamt mehr als 13 Jahre dort, u.a. als Mitarbeiter der DDR-, der deutschen Botschaft, der UNO und als stellv. EU-Sondergesandter. Seit 2006 freischaffend. Bloggt auf: https://thruttig.wordpress.com zu Afghanistan und Asylfragen. Dort auch oft längere Fassungen der taz-Beiträge.
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1 Kommentar

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  • Vor nichts haben die Taliban mehr Angst als vor gebildeten klugen modernen selbstbewussten Frauen.