Internet-Abschaltung in Afghanistan: Katastrophal für die Frauen
Die Taliban schalten das Netz ab. Damit machen sie die letzte Chance von Afghaninnen auf Bildung zunichte.

E in deutlicheres Zeichen ihrer Antimodernität konnten die herrschenden Taliban in Afghanistan kaum setzen: Seit Montag erzwingen sie landesweit ein fast totales Internetverbot (Alternativen sind für viele zu kostspielig), und zwar nach dem Prinzip „Koste es, was es wolle“.
Die Kosten verteilen sich allerdings sehr ungleichmäßig. Die Behörden der Taliban selbst, Banken, Flughäfen, alle, die es sich leisten können – die gibt es weiterhin etwa unter der afghanischen Businesselite, die mit und unter den Taliban weiter Geschäfte machen –, werden bald auf Internet per Satellit umgeschaltet haben.
Die wirtschaftlichen Kosten des Blackouts sind ärgerlich für sie, aber Störungen werden bald behoben sein – wie nach der Cyberattacke gegen europäische Flughäfen.
Ungleich härter trifft es die breite Bevölkerung, die zu 90 Prozent unter der Armutsgrenze lebt und buchstäblich ums tägliche Brot ringt. Und wie immer trifft es überproportional Frauen und Mädchen.
Nach zwei Jahrzehnten Militäreinsatz der US-geführten Nato-Truppen gewann die islamistische Terrorgruppe der Taliban im August 2021 die Kontrolle im Land zurück. Die afghanische Bevölkerung leistet trotz Repressionen Widerstand.
Das Emirat der Taliban ist ein ideologisches Projekt, eine beispiellos rückwärtsgewandte Erziehungsdiktatur. Erzogen und von „Fasad“ – was finanzielle wie moralische Korruption meint – befreit werden müssen in ihren Augen jene, die während der US-geführten Intervention von 2001 bis 2021 eben „moralisch kontaminiert“ wurden: Frauen, die auf Selbstbestimmung, Minderheiten, die auf Gleichberechtigung pochen, Menschen aller Geschlechter, die sich bilden oder auch nur unterhalten wollen.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Längerfristig belasten die wirtschaftlichen Verluste vor allem die Opfer der Taliban-Erziehungsdiktatur. UN und Weltbank haben vorgerechnet, dass der Ausschluss der Frauen aus weiten Teilen des Erwerbslebens das Land pro Jahr 1 Milliarde Dollar an Wirtschaftskraft kostet, das geltende Bildungsverbot für ältere Mädchen 1,4 Milliarden.
Aber vor allem menschlich ist es katastrophal. Wenn jetzt Afghaninnen die Chance verlieren, sich wenigstens online zu bilden oder die Produkte ihrer Arbeit zu vermarkten, treibt es viele weiter in Isolation und Traumata und zerstört Zukunftsaussichten und Leben.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert