Internationaler Strafgerichtshof: Weltgericht unter Beschuss
Ein Land Afrikas nach dem anderen verkündet den Rückzug aus dem Internationalen Strafgerichtshof. Sie werfen dem Organ Einseitigkeit vor.
Was haben sie alle gegen das weltweit höchste Gericht zur Ahndung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Verbreitet ist das Gefühl, in Den Haag werde mit zweierlei Maß gemessen: „EU und USA töten in Pakistan, Jemen, Irak, Gaza, Syrien, Palästina und Libyen, aber der Gerichtshof nimmt sich Afrika vor“, schreibt eine Twitterin aus Burundi und veröffentlicht die Fotos aller bisher vom IStGH angeklagten Personen – ausnahmslos schwarze Afrikaner.
Gambias Regierung erklärte am Dienstag, der IStGH – auf englisch ICC (International Criminal Court) – sei ein „International Caucasian Court“, ein Gericht der Weißen also „zur Verfolgung und Erniedrigung von People of Colour“. Gambias Regime ist eines der repressivsten des Kontinents, aber Präsident Yahya Jammeh sieht sich als Verteidiger Afrikas auf der Weltbühne. Dass der IStGH eine Anzeige Jammehs gegen die EU wegen Mordes an afrikanischen Flüchtlingen nicht aufnahm, hat der Autokrat nicht verziehen. „Viele westliche Länder, mindestens 30, haben fürchterliche Verbrechen gegen unabhängige souveräne Staaten und ihre Bürger begangen, und kein einziger westlicher Kriegsverbrecher wurde angeklagt“, so die Regierung.
Dabei kommt die Chefanklägerin des IStGH aus Gambia: die ehemalige Justizministerin Fatou Bensouda. Der Vorsitzende der Versammlung der Vertragsstaaten, die Führungsbehörde des Gerichtshofs, ist Senegals Justizminister Sidiki Kaba. Er kritisierte die afrikanischen Rückzüge scharf und sagte, man müsse den IStGH stärken und nicht schwächen.
Gambias Regierung
Kein Prozess vor dem IStGH hätte jemals stattgefunden, wenn nicht das Herkunftsland das Angeklagten es gewünscht hätte. Aber je aktiver das Weltgericht wird, desto höher ist das Risiko, dass nicht nur Gegner afrikanischer Regierungen dort vor Gericht kommen, sondern auch Regierende selbst – und das wollen sie verhindern.
Zum Symbol dafür ist der Haftbefehl geworden, der im Jahr 2009 auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats gegen Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir ausgestellt wurde. Der Vorwurf: Völkermord in Sudans Westregion Darfur. Bashir ist seitdem unter Afrikas Diktatoren zum Helden geworden, Symbol des Widerstands gegen westliche Willkürjustiz.
Weltgericht in Den Haag: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) geht auf den Wunsch zurück, ein weltweit tätiges Gericht für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord einzurichten. 1998 verabschiedete eine von der UN-Generalversammlung einberufene Versammlung im Rom das Statut des Gerichtshofs; am 1. Juli 2002, nachdem 60 Staaten das Statut ratifiziert hatten, trat es in Kraft und das Gericht nahm in Den Haag seine Arbeit auf. Inzwischen gibt es 124 Mitgliedstaaten.
Nur Afrikaner angeklagt: Bislang hat der Strafgerichtshof 39 Anklagen erhoben und 31 Haftbefehle ausgestellt, alle gegen Afrikaner. Prozesse laufen oder liefen wegen Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, Kenia, Mali, dem Sudan, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik. Ermittlungen gibt es außerdem wegen Georgien und Libyen. Vorermittlungen laufen wegen Afghanistan, Burundi, Kolumbien, Gabun, Guinea, Irak, Nigeria, Palästina und die Ukraine.
Zwei aktuelle Prozesse: Derzeit laufen Prozesse gegen den Expräsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, und den kongolesischen Warlord Bosco Ntaganda.
Auf dem letzten Staatengipfel der Afrikanischen Union (AU) im Juli in Ruanda – ebenso wenig Mitglied des Gerichtshofs wie Äthiopien, Südsudan oder Somalia, wo es überall reichlich Arbeit für internationale Ermittler gäbe – wurde Bashir gefeiert. Kenia brachte eine Beschlussvorlage zum kollektiven Rückzug Afrikas aus dem IStGH-Statut ein, unterstützt vom Tschad, der aktuell den AU-Vorsitz innehat. Sie wurde nicht angenommen – aus formalen Gründen: Weil die AU nicht kollektiv dem Statut beigetreten ist, kann sie nicht kollektiv austreten, die Staaten müssten dies einzeln tun, hieß es. Genau das tun sie jetzt.
In der Demokratischen Republik Kongo prüft Präsident Joseph Kabila – der reihenweise selbst Warlords an das Weltgericht überstellt hat – Berichten zufolge einen Rückzug. Kenias Parlament hat schon zweimal für den Rückzug gestimmt, die Regierung – die selbst einmal in Den Haag vor Gericht gestanden hat – muss nur noch Folge leisten. Ugandas Regierung – auf deren Wunsch der IStGH gegen die Rebellenmiliz LRA (Widerstandsarmee des Herrn) vorgeht – kündigte bereits Anfang Oktober an, sie habe entsprechende Schritte eingeleitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht