piwik no script img

Internationaler StrafgerichtshofWeltgericht unter Beschuss

Ein Land Afrikas nach dem anderen verkündet den Rückzug aus dem Internationalen Strafgerichtshof. Sie werfen dem Organ Einseitigkeit vor.

Angehörige von Opfern in der Elfenbeinküste verfolgen die Berichtersattung aus Den Haag Foto: afp

Berlin taz | Erst Burundi. Dann Südafrika. Jetzt Gambia. Die Liste afrikanischer Staaten, die ihren Rückzug aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verkünden, wird immer länger, ein Ende ist nicht absehbar.

Was haben sie alle gegen das weltweit höchste Gericht zur Ahndung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Verbreitet ist das Gefühl, in Den Haag werde mit zweierlei Maß gemessen: „EU und USA töten in Pakistan, Jemen, Irak, Gaza, Syrien, Palästina und Libyen, aber der Gerichtshof nimmt sich Afrika vor“, schreibt eine Twitterin aus Burundi und veröffentlicht die Fotos aller bisher vom IStGH angeklagten Personen – ausnahmslos schwarze Afrikaner.

Gambias Regierung erklärte am Dienstag, der IStGH – auf englisch ICC (International Criminal Court) – sei ein „International Caucasian Court“, ein Gericht der Weißen also „zur Verfolgung und Erniedrigung von People of Colour“. Gambias Regime ist eines der repressivsten des Kontinents, aber Präsident Yahya Jammeh sieht sich als Verteidiger Afrikas auf der Weltbühne. Dass der IStGH eine Anzeige Jammehs gegen die EU wegen Mordes an afrikanischen Flüchtlingen nicht aufnahm, hat der Autokrat nicht verziehen. „Viele westliche Länder, mindestens 30, haben fürchterliche Verbrechen gegen unabhängige souveräne Staaten und ihre Bürger begangen, und kein einziger westlicher Kriegsverbrecher wurde angeklagt“, so die Regierung.

Dabei kommt die Chefanklägerin des IStGH aus Gambia: die ehemalige Justizministerin Fatou Bensouda. Der Vorsitzende der Versammlung der Vertragsstaaten, die Führungsbehörde des Gerichtshofs, ist Senegals Justizminister Sidiki Kaba. Er kritisierte die afrikanischen Rückzüge scharf und sagte, man müsse den IStGH stärken und nicht schwächen.

Kein westlicher Kriegsverbrecher wurde angeklagt

Gambias Regierung

Kein Prozess vor dem IStGH hätte jemals stattgefunden, wenn nicht das Herkunftsland das Angeklagten es gewünscht hätte. Aber je aktiver das Weltgericht wird, desto höher ist das Risiko, dass nicht nur Gegner afrikanischer Regierungen dort vor Gericht kommen, sondern auch Regierende selbst – und das wollen sie verhindern.

Zum Symbol dafür ist der Haftbefehl geworden, der im Jahr 2009 auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats gegen Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir ausgestellt wurde. Der Vorwurf: Völkermord in Sudans Westregion Darfur. Bashir ist seitdem unter Afrikas Diktatoren zum Helden geworden, Symbol des Widerstands gegen westliche Willkürjustiz.

Das macht der Internationale Strafgerichtshof

Weltgericht in Den Haag: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) geht auf den Wunsch zurück, ein weltweit tätiges Gericht für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord einzurichten. 1998 verabschiedete eine von der UN-Generalversammlung einberufene Versammlung im Rom das Statut des Gerichtshofs; am 1. Juli 2002, nachdem 60 Staaten das Statut ratifiziert hatten, trat es in Kraft und das Gericht nahm in Den Haag seine Arbeit auf. Inzwischen gibt es 124 Mitgliedstaaten.

Nur Afrikaner angeklagt: Bislang hat der Strafgerichtshof 39 Anklagen erhoben und 31 Haftbefehle ausgestellt, alle gegen Afrikaner. Prozesse laufen oder liefen wegen Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, Kenia, Mali, dem Sudan, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik. Ermittlungen gibt es außerdem wegen Georgien und Libyen. Vorermittlungen laufen wegen Afghanistan, Burundi, Kolumbien, Gabun, Guinea, Irak, Nigeria, Palästina und die Ukraine.

Zwei aktuelle Prozesse: Derzeit laufen Prozesse gegen den Expräsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, und den kongolesischen Warlord Bosco Ntaganda.

Auf dem letzten Staatengipfel der Afrikanischen Union (AU) im Juli in Ruanda – ebenso wenig Mitglied des Gerichtshofs wie Äthiopien, Südsudan oder Somalia, wo es überall reichlich Arbeit für internationale Ermittler gäbe – wurde Bashir gefeiert. Kenia brachte eine Beschlussvorlage zum kollektiven Rückzug Afrikas aus dem IStGH-Statut ein, unterstützt vom Tschad, der aktuell den AU-Vorsitz innehat. Sie wurde nicht angenommen – aus formalen Gründen: Weil die AU nicht kollektiv dem Statut beigetreten ist, kann sie nicht kollektiv austreten, die Staaten müssten dies einzeln tun, hieß es. Genau das tun sie jetzt.

In der Demokratischen Republik Kongo prüft Präsident Joseph Kabila – der reihenweise selbst Warlords an das Weltgericht überstellt hat – Berichten zufolge einen Rückzug. Kenias Parlament hat schon zweimal für den Rückzug gestimmt, die Regierung – die selbst einmal in Den Haag vor Gericht gestanden hat – muss nur noch Folge leisten. Ugandas Regierung – auf deren Wunsch der IStGH gegen die Rebellenmiliz LRA (Widerstandsarmee des Herrn) vorgeht – kündigte bereits Anfang Oktober an, sie habe entsprechende Schritte eingeleitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Schlechte Nachrichten für Afrikaner. Die Opfer der Kriegsverbrechen durch Afrikaner sind ja zumeist ebenfalls Afrikaner. Und wenn die Täter Europäer oder Amerikaner sind, dann hilft es nicht wenn Gambia austritt. Der Effekt ist einfach nur, dass wenn ein gambianischer (Sagt man so?) General Kriegsverbrechen im Nachbarland begeht, er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.

     

    Und das nur Afrikaner nicht als Kriegsverbrecher angeklagt werden ist auch ein Gerücht. Die ersten internationalen Kriegsverbrechertribonale wurden gegen Europäer geführt (Nürnberger Prozesse) und die Prozesse im "Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien " sind immer noch nicht abgeschlossen.

     

    btw: Die Länder die in Syrien kämpfen haben fast alle den ICC nicht ratifiziert:

     

    "USA, Volksrepublik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Kuba, Nordkorea, Pakistan, Russland, Syrien, Saudi-Arabien, Sudan und die Türkei."

    • @Generator:

      Es ist ein "nicht" zuviel im zweiten Absatz. Es soll natürlich:

       

      "Und das nur Afrikaner als Kriegsverbrecher angeklagt werden ist ein Gerücht."

       

      heißen.

  • @MARKSTEIN: Mit dem ICC-Bashing machen Sie es sich doch etwas zu einfach.

    Es gibt natürlich einen Grund, warum bisher nur Afrikaner verurteilt wurden, oder besser ein ganzes Bündel Gründe:

    1. finden in Afrika sehr viele Kriegsverbrechen und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Völkermord statt.

    2. sind dabei Täter, Opfer und Tathergang in der Regel wesentlich klarer als bei den Vergehen, die westlichen Regierungen vorgeworfen werden. Das erleichtert Ermittlungen.

    3. gibt es auch, aber nicht nur deshalb eben keine formellen Anklagen gegen westliche Regierungschefs.

    4. sind erst seit 2013 Verfahren gegen Angeklagte in Abwesenheit vor dem ICC möglich. Die bis dahin Verurteilten waren überwiegend von ihren Heimatstaaten ausgeliefert worden - meist keine Regierungschefs, sondern Milizenführer.

    5. kommt hinzu, dass weder USA noch Russland bisher Mitglied geworden sind, ebenso wenig die Staaten Nordafrikas oder des Nahen und Mittleren Ostens (außer Palästina, Tunesien und Afghanistan). Angeklagt werden können aber nur Täter aus Mitgliedsstaaten oder Täter von in Mitgliedsstaaten begangenen Taten (oder auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats). Opfer sind übrigens nicht klageberechtigt.

     

    In der Liste der Richter und Ankläger sind afrikanische Staaten sehr gut repräsentiert. Daher ist der Vorwurf der afrikanischen Regierenden nicht legitim, sondern populistisch und vorgeschoben.

    • @mecker-rv:

      Zu 2. Sind die Ermittlungen bei Kriegsverbrechen so schwer, dass da nichts herauskommen kann oder tut sich der ICC nur so schwer ? Eine Entschuldigung ist das möglicherweise nicht.

      • @lions:

        Es gibt klare juristische Definitionen für Kriegsverbrechen. Massaker, Angriffe auf Krankenhäuser und Schulen etc. lassen sich da leicht einordnen und die Verantwortlichen ermitteln. Was europäischen Regierungen vorgeworfen wird, ist aber meist zu vage für dieses Raster. Die US-Drohnenangriffe auf Zivilisten kann der ICC nicht verfolgen, da die USA dem ICC nicht angehören. Man könnte höchstens Beihilfe europäischer ICC-Mitglieder konstruieren, das ist aber juristisch und ermittlungstechnisch auf wackligem Boden.

        Natürlich kommt da hinzu, dass seitens des ICC wohl immer noch auf einen Beitritt der USA gehofft wird, und da will man vermutlich nicht mit solchen Ermittlungen abschrecken...

    • @mecker-rv:

      Der ICC ist bis jetzt aber nicht durch besonderen Ermittlungseifer in Sachen Blair & Co. aufgefallen. Man müsste ja auch nicht in Abwesenheit verhandeln. Man könnte ja die Überstellung beantragen.

       

      Aber auch die afrikanischen Richter scheinen hier eher sehr zurückhaltend zu sein. Deshalb genießen sie wohl auch kein großes Vertrauen in Afrika.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Angeklagt wurden bisher nur direkte Beteiligungen an Verbrechen.

        Blair mag irgendwie moralisch schuldig sein, es dürfte aber sehr schwer sein, ihm juristisch die Beteiligung an Kriegsverbrechen nachzuweisen. Und für eine Anklage wegen Angriffskrieg wäre der ICC ohnehin (noch) nicht zuständig.

         

        Wenn die afrikanischen Regierenden ehrlich wären, würden sie eher darauf bestehen, die Kompetenzen des ICC entsprechend zu erweitern...

        • @mecker-rv:

          Die Afrikaner sollen also bis zum St. Nimmerleinstag warten, bis sich die "Weltgemeinschaft" dazu bequemt, die Kompetenzen des ICC zu erweitern. Ziemlich naiv, oder?

           

          Wenn dieses Gericht , wie Sie schreiben, für Verbrecher wie Bush und Blair nicht zuständig ist, dann ist es eine Fehlkonstruktion. Diese Herren sind nicht nur "irgendwie moralisch" schuldig. Ich frage mich was Sie dazu bewegt, dies zu verharmlosen. Die beiden tragen die konkrete Verantwortung massenhaften Tod und Elend. Das wissen Sie ganz genau.

           

          Die Amis waren so schlau und haben gar nicht erst mitgemacht. Die Afrikaner werden langsam schlau und steigen wieder aus.

           

          Wenn die "westlichen" Regierenden ehrlich wären und ihre eigenen "Werte" ernst nehmen würden, dann würden SIE darauf drängen, die Kompetenzen des ICC so zu erweitern, dass ALLEN Menschenrechtsverletzern der Prozeß gemacht werden kann. Dann würde es sich so mancher überlegen, ob er an einem sonnigen Nachmittag mal eben 100 afghanische Frauen und Kinder lebendig verbrennen läßt. Opfer, Täter und Tathergang sind in diesem Fall seit langem bekannt.

          • @markstein:

            -?- "Wenn die westlichen Regierenden ehrlich wären und ihre eigenen "Werte" ernst nehmen würden..." -?-

             

            Genau darum solls ja nicht gehen! Es geht in solchen Fällen um Internationale Politik- Disziplin innerhalb der westlichen Staatengemeinschaft. Das hat mit Ehrlichkeit und Werte-Treue wenig zutun. Man sehe nurmal auf den unverdrossenen Dauerlächler Tony Blair.

  • Klar, der Vorwurf der afrikanischen Regierenden ist legitim. Wieso ist jemand wie Tony Blair (hat einen rechtswidrigen Angriffskrieg, auf eine Lüge basiert, in Irak unterstützt) niemals angeklagt worden, obwohl Großbritannien die Statuten des IStGHs unterliegen??

    Aber sollen ernsthaft die Verbrecher, die in manchen Gegenden in Afrika stattgefunden haben oder immer noch stattfinden, unversühnt bleiben, nur weil die möglichen Angeklagten Afrikaner wären?

    Die Verbliebenen der Opfer wollen Gerechtigkeit erfahren, entweder vor der eigenen Gerichtsbarkeit oder eben vorm IStGH, wenn es dafür zuständig ist! Aber klar, ein Georges W. Bush hätte ich auch sehr gern vor einem Gericht gesehen, EGAL WO!!

    • @Be different:

      "Aber sollen ernsthaft die Verbrecher, die in manchen Gegenden in Afrika stattgefunden haben oder immer noch stattfinden, unversühnt bleiben, nur weil die möglichen Angeklagten Afrikaner wären?"

       

      Prinzipiell haben Sie natürlich Recht. Wenn der Gerichtshof aber die Verbrechen außerhalb Afrikas weitgehend ignoriert, erfüllt er nicht seinen Zweck. Dann wirkt er wie ein Mittel neokolonialer Politik.

  • Das Handeln der Afrikaner ist zwar nicht schön, aber konsequent. Sie dauerhaft für blöd verkaufen zu wollen, muss halt irgendwann schief gehen.

    Statt nun über die Austritte zu lamentieren, wäre doch ausnahmsweise mal ein wenig Kritik an diesem hohen Gericht angebracht. Wie kann es denn sein, dass noch kein westlicher Kriegsverbrecher angeklagt wurde? Man kann es nicht anders als mit Doppelmoral begründen - dem westlichsten aller Werte.

    • @markstein:

      Das haben Sie schön ausgedrückt.