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Internationaler HurentagSchutz statt Strafe

Sex­ar­bei­te­r*in­nen stellen einen Gesetzesentwurf zur Reform des Prostitutionsschutzgesetzes vor. Dieses empfinden sie nicht als Schutz.

Der rote Regenschirm: Das Zeichen für den Widerstand gegen Diskriminierung und Kriminalisierung von Sex­ar­bei­te­r*in­nen Foto: Robert Kluba/SZ Photo/picture alliance

Berlin taz | Auf dem Kurfürstenstrich sind am Montagmorgen kaum Sex­ar­bei­te­r*in­nen anzutreffen. Viele haben sich am 50. Jahrestag des Internationalen Hurentags unweit in der Zwölf-Apostel-Kirche versammelt. Cassidy Lowery steht in rotem Lackoberteil, neonpinker Sturmhaube und Plateaupumps an der Kanzel und stellt das SexArbeitsGesetz (SAG) vor: einen Gesetzesentwurf zur Reform der Sexarbeitergesetze – entwickelt von Sex­ar­bei­te­r*in­nen für Sexarbeiter*innen. Ihre Botschaft: „Es gibt keine Gerechtigkeit ohne unsere Stimmen.“

Die Sex­ar­bei­te­r*in­nen kritisieren, von gesetzlichen Regelungen betroffen zu sein, die über ihre Köpfe hinweg entschieden würden. Das SAG ist ihr Gegenentwurf: Verfasst wurde er im Rahmen einer Workshop-Reihe, die von Organisationen wie der Sex Worker Action Group (SWAG) und Hydra e. V. organisiert wurde.

„Wir sind es leid, ausgeschlossen, kriminalisiert, pathologisiert und zum Schweigen gebracht zu werden“, sagt Kali Sudhra. Sie ist Sexarbeiterin und Vorstandsmitglied der European Sex Workers Alliance (ESWA). Die Organisation koordiniert die europaweite Aktionswoche, in deren Rahmen auch die Veranstaltung am Montag stattfindet. Anlass ist der Hurentag, der auf die achttägige Besetzung der Saint-Nizier-Kirche in Lyon durch Sex­ar­bei­te­r*in­nen zurückgeht. Sie forderten damals das Ende von Geldstrafen, Stigmatisierung und Polizeischikanen.

„50 Jahre später hat sich wenig verändert“, sagt eine Sexarbeiterin in der Schöneberger Backsteinkirche. Die holzvertäfelte Empore ist mit roten Regenschirmen geschmückt – dem Zeichen für den Widerstand gegen Diskriminierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen. Dazwischen hängen Banner, die die Entkriminalisierung von Sexarbeit fordern.

Kritik am Prostituiertenschutzgesetz

2017 wurde in Deutschland das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) eingeführt. Der Anspruch: die Sicherheit von Sex­ar­bei­te­r*in­nen erhöhen und Ausbeutung verringern. In der Praxis habe es jedoch in beiden Punkten versagt, kritisieren die Sexarbeiter*innen. „Stattdessen wurden eine verpflichtende Registrierung und Gesundheitsberatung, die Überwachung von Arbeitsplätzen und Arbeitnehmern, eine verstärkte polizeiliche Überwachung sowie eine Datenerfassung und Stigmatisierung eingeführt“, sagt Cassidy Lowery von SWAG. Viele von ihnen würden das Gesetz daher als Strafmaßnahme und nicht als Schutzmaßnahme betrachten – insbesondere Migrant*innen, Transmenschen und Straßenarbeiter*innen.

Ein Kritikpunkt ist die verpflichtende persönliche Anmeldung bei Behörden. Laut Bundesfamilienministerium sind nur rund 10 Prozent der Sex­ar­bei­te­r*in­nen unter dem ProstSchG registriert – aus Angst vor Stigmatisierung, Datenmissbrauch und polizeilicher Schikane. Eine Umfrage von Hydra e. V. ergab, dass 73 Prozent der befragten Sex­ar­bei­te­r*in­nen die Registrierung als „invasiv oder bedrohlich“ empfanden.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die verpflichtende Gesundheitsberatung, der sich Sex­ar­bei­te­r*in­nen unter dem ProstSchG einmal jährlich unterziehen müssen. Carolin Kaufmann, Rechtsberaterin für Sex­ar­bei­te­r*in­nen, kritisiert: „Es unterstellt ihnen einen laschen Umgang mit ihrer Gesundheit und Sicherheit.“ Die verpflichtende Wiederholung der Gesundheitsberatung erachtet sie als „unverhältnismäßig“, die derzeitige Gesetzgebung als „stigmatisierend und nicht zielführend“.

Mit dem SexArbeitsGesetz soll damit Schluss sein. Es fordert: die Aufhebung des ProstSchG und das Ende der Meldepflicht, die vollständige Entkriminalisierung der einvernehmlichen Sexarbeit von Erwachsenen, arbeitsrechtliche Absicherung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Rechtsschutz, Schutz vor Polizeigewalt und Razzien am Arbeitsplatz sowie Anerkennung von Sex­ar­bei­te­r*in­nen als politische Akteur*innen.

Bundestag berät über die künftige Gesetzgebung

Die Veröffentlichung des Entwurfs erfolgt bewusst zu diesem Zeitpunkt: Am 1. Juli 2025 endet die Evaluierung des ProstSchG. Anschließend wird im Bundestag über die künftige Gesetzgebung zu Sexarbeit beraten. Lowery fordert: „Die Stimmen von Sex­ar­bei­te­r*in­nen müssen in dieser Debatte gehört werden.“

Die Union hatte im Bundestag einen Vorstoß für die Einführung des „schwedischen Modells“ unternommen, dieser wurde jedoch abgelehnt. Das „schwedische Modell“ kriminalisiert den Kauf (aber nicht den Verkauf) von Sex. In Ländern wie Schweden, Norwegen, Frankreich wurde es eingeführt mit dem Anspruch, den Menschenhandel zu beenden und die Nachfrage zu verringern. Sex­ar­bei­te­r*in­nen berichten jedoch von vermehrten Repressionen, Polizeischikanen und einem gefährlicheren Arbeitsumfeld.

In der politischen Debatte über Sexarbeit nehmen repressive Tendenzen zu. „Wir beobachten mit großer Sorge, dass Evangelikale und radikal abolitionistische Organisationen ihr Missionsbedürfnis an Sex­ar­bei­te­r*in­nen auslassen – und das sogar staatlich gefördert wird“, sagt eine Mitarbeiterin von Hydra e. V. Am Vorabend der Veranstaltung sei der Instagram-Account der European Sex Workers Alliance (ESWA) mit rund 10.000 Followern nach einem organisierten Angriff durch SWERFs (Sex Worker Exclusionary Radical Feminists) gelöscht worden. Die Vorwarnung, die Instagram üblicherweise ausspricht, um Nutzern zu ermöglichen, ihr Verhalten zu ändern, blieb aus. Solche plötzlichen Sperrungen sind für Sex­ar­bei­te­r*in­nen im Netz keine Ausnahme.

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