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Internationale Grundschulstudie TimssMittelmäßig in Mathe

Das deutsche Bildungssystem fällt zurück. Jedes vierte Schulkind hat keine ausreichenden Kenntnisse in Mathe oder Naturwissenschaften.

Foto: Tim Wegner/laif

Berlin taz | Die Leistungen deutscher Grundschüler:innen in Mathe und Naturwissenschaften fallen im internationalen Vergleich weiter ab. Das ist das Ergebnis der Timss-Studie, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

In Mathe erreichten die Schüler:innen mit 521 Punkten nicht mal das Niveau der ersten deutschen Timss-Beteiligung im Jahr 2007. Damit liegt Deutschland sowohl unter dem Schnitt der 24 EU-Staaten (527), die an der Studie teilgenommen haben, als auch unter dem der beteiligten 29 OECD-Staaten (529). Spitzenreiter Singapur kommt auf 625 Punkte.

In den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie, Physik, Geographie und Biologie, die ebenfalls geprüft wurden, ist die Leistung der deutschen Schüler:innen sogar um zehn Punkte auf 518 eingebrochen. Knut Schwippert, der Nationaler Studienleiter von Timss und Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg, hat dafür keine Erklärung.

„In den Studien von 2007, 2011 und 2015 haben wir sehr stabile Ergebnisse erzielt“, sagte Schwippert, der bei der Vorstellung der Ergebnisse aus Hamburg zugeschaltet war. Den jüngsten Rückgang bei der Punktzahl müsse man „im Auge behalten.“ Auch bei den Naturwissenschaften liegt Deutschland deutlich unter dem Schnitt von OECD (526) und EU (522). Die Bestmarke bei den Naturwissenschaften hält ebenfalls Singapur mit 595 Punkten. Insgesamt nahmen weltweit 58 Länder und 300.000 Schüler:innen an der Timss-Studie 2019 teil, darunter 4.900 aus Deutschland.

Gruppe der Leistungsschwachen wächst

„Der Abstand zu den Spitzenländern ist sehr weit“, stellt Studienleiter Schwippert fest. Was ihn „beunruhigt“, ist der hohe Anteil leistungsschwacher Schüler:innen in Deutschland. In Mathe liegt er bei 25,4 Prozent, in den Naturwissenschaften bei 27,6 Prozent.

Damit verfügt mehr als jedes vierte Kind vor der weiterführenden Schule über kein ausreichendes mathematisches oder naturwissenschaftliches Wissen. Die Gruppe der leistungsschwachen Schüler:innen hat sich im Vergleich zu 2015 in beiden Bereichen vergrößert, in den Naturwissenschaften sogar um knapp 6 Prozentpunkte.

Zum Vergleich: In den drei asiatischen Top-Ländern Taiwan, Hongkong und Singapur liegt der Anteil der schwachen Schüler:innen in Mathe bei unter 5 Prozent. Umgekehrt fällt der Anteil der deutschen Schüler:innen mit Spitzenleistungen im Vergleich zu anderen Ländern gering aus. In Mathe sind es lediglich 6 Prozent, in Naturwissenschaften 6,9 Prozent.

Stefanie Hubig, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), spricht dennoch von einem „ordentlichen Ergebnis“. Man müsse die Leistungen vor dem Hintergrund der zunehmenden Heterogenität in deutschen Klassenzimmern bewerten, sagte Hubig.

Kein Grund, auszuruhen

Laut der Timss-Studie ist sowohl der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund, als auch der Anteil der Kinder mit Förderbedarf an den Grundschulen gestiegen. Den Lehrkräften sprach sie an dieser Stelle Dank für das Engagement aus. Klar sei aber auch, dass sich Deutschland in den Bemühungen, die sozialen Disparitäten zu verringern, nicht ausruhen dürfe. Hubig verwies auf die Ergebnisse des Nationalen Bildungsberichts 2020.

Der warnte einerseits, dass der Bildungserfolg von Kindern nach wie vor von der sozioökonomischen Situation der Familie abhänge, lobte aber auch die gestiegene Durchlässigkeit im Bildungssystem. „Klar ist, die Leistungsdisparitäten müssen geringer werden“, sagte Hubig. Am Donnerstag will die KMK darüber beraten, inwieweit bestehende Bund-Länder-Programme wie „Leistung macht stark“ oder „Mathe macht stark“ intensiviert werden könnten.

Auch Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger lobte die Arbeit der Lehrkräfte, mahnte aber an, neben den schwachen auch die besonders guten Schüler:innen zu fördern: „Zur begabungsgerechten individuellen Förderung gehören Zusatzangebote für beide Schülergruppen.“

Was jedoch überwiegend positiv aufgefasst wurde: Dass Mathe und Naturwissenschaften von Grundschüler:innen offenbar gerne gemocht werden. So sei die Zustimmung zu den Naturwissenschaften laut Timss-Studie mit drei Viertel der Befragten sehr hoch gewesen.

„Den Kindern machen Mathe und Naturwissenschaften Spaß“, sagte KMK-Präsidentin Hubig. Es sei Aufgabe der Politik, das Interesse an den naturwissenschaftlichen Fächern aufrecht zu erhalten und zu fördern. Wie wichtig es sei, dass junge Menschen sich für diese Fächer interessieren und in die Wissenschaft gingen, zeige die aktuelle Coronakrise.

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7 Kommentare

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  • Was für ein Geschwätz. Wenn 24 Wettbewerber antreten wird es immer einen 1. und einen Letzten geben. Ist 518 tatsächlich zu schlecht? Was ist hier der absolute Massstab? Wollen wir unsere Kinder wirklich so behandeln wie in Singapur oder Taiwan? In meiner Schulzeit gab es Physik ab der 7. und Chemie ab der 8. Klasse. In der Grundschule gab es nur Mathe und Geografie (Heimatkunde). Ein Bericht über die Testkriterien wäre mal ein interessanter Artikel, aber so ist das nur ein Rezitieren aus einer Pressemitteilung der Organisation, deren Existenz durch diese Tests gerechtfertigt wird.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @Adele Walter:

      Na dann sind Sie nicht in Bayern zur Schule gegangen. Ihre Aufzählung veranschaulicht auch schön das die Bildungsabschlüsse der Bundesländer einfach nicht vergleichbar sind. Schule in Bayern in den 70ern: Sachkunde in der Grundschule, Physik/Chemie und Biologie ab der 5. Klasse (und ich rede nicht vom "Gymi"!).

      Zu Taiwan: Die chinesische Schrift (und in Taiwan benutzt man nicht das vereinfachte System wie in der VR) lässt sich für die Kids nur mit krasser Paukerei erlernen. Ohne Beherrschung der Schriftzeichen keine Kommunikation. Und darauf ist das ganze Schulsystem ausgerichtet. Auch in Singapur ist die chinesische Schrift nicht unwichtig...

  • "Stefanie Hubig, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), spricht dennoch von einem „ordentlichen Ergebnis“. Man müsse die Leistungen vor dem Hintergrund der zunehmenden Heterogenität in deutschen Klassenzimmern bewerten, sagte Hubig." Diese Aussage ist gleichermaßen irritierend wie bezeichnend für das deutsche Schulsystem.

    Angemessen wäre doch, nicht über die "zunehmende(n) Heterogenität in deutschen Klassenzimmern" zu jammern, sondern die pädagogischen Konzepte darauf abzustimmen. Dafür gibt es eine wissenschaftsbasierte Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer und eben auch die entsprechenden universitären Forschungseinrichtungen. Auch für Lehrer und Lehrerinnen gilt lebenslanges Lernen.

  • Haben Grundschüler schon "Fächern Chemie, Physik, Geographie"? Dann läuft etwas schief im Bildungsplan.

    Sollte man das Punktesystem nachjustieren? Irgendwie erscheint es immer nicht so dramatisch, wenn 521 anstelle von 527 (Durchschnitt EU) erreicht werden. Es ist dann offensichtlich unter dem Durchschnitt, aber das ist nur eine Abweichung von 1,5%. Ist das "signifikant"?

    In dem Prozentbereich liegt wahrscheinlich wirklich dass, was Frau Hubig als "zunehmenden Heterogenität" bezeichnet. Gibt es die auch in Singapur oder Taiwan?



    Wenn nicht, muss man den Vergleich nicht anstellen, aber trotzdem an einer Verbessung der Grundlagen hier arbeiten.

    • @fly:

      "Haben Grundschüler schon "Fächern Chemie, Physik, Geographie"?"

      Nein, die haben "Sachkunde" o.ä., das ist ein wenig von allem. Vor allem aber "Biologie", die fehlt in der Aufzählung interessanterweise, aber wie man unter so ziemlich jedem Corona-Artikel sehen kann, sind dort die Defizite vielleicht sogar am schlimmsten. Ein nicht gerade geringer Teil der Deutschen scheitert schon beim Versuch, zu verstehen, was "ansteckend" bedeutet, und/oder kennt den Unterschied zwischen Epi- und Endothel (bzw Ekto- und Mesoderm) nicht.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Schlecht in Mathe und in Naturwissenschaften.

    Und glänzen dafür unsere Schüler bei Fremdsprachen oder in den musischen Fächern? Oder bei Medienkompetenz und sozialer Kompetenz? Glaube eher nicht.

    Die Vergleiche mit den drei asiatischen Ländern sind aber schief. Die didaktischen Konzepte dort sind ganz andere...und wären in Deutschland gar nicht durchsetzbar.

  • "Stefanie Hubig, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), spricht dennoch von einem „ordentlichen Ergebnis“"

    Ordentlich?!? Was sind hier nur für Leute am Werk?

    Interessant wäre zu wissen, wieviel Geld Singapur, Taiwan und co in ihr Bildungssystem stecken. Ich fürchte das ist am Ende auch noch billiger als unseres.