Intelligenz bei Raben: Protestantische Gesinnungskräher
Raben sind noch klüger als gedacht. Sie können planen und verzichten – und zwar mit einer Leichtigkeit, die einer schwedischen Kleinfamilie abgeht.
Dass Rabenvögel ziemlich intelligent sind, weiß man schon lange. Dass sie sich auch von einer protestantischen Gesinnungsethik leiten lassen, ist eine neue Erkenntnis. Es geht um die Bereitschaft zum Bedürfnisaufschub, das heißt: um Verzicht zugunsten einer späteren – besseren – Befriedigung. Entdeckt haben das schwedische Kolkrabenforscher an der protestantischen Universität Lund.
Raben und Krähen sind „Allesfresser“, im Gegensatz zu den meisten Tieren sind sie also nicht auf ein bestimmtes Nahrungsspektrum festgelegt, sondern allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, zudem werden sie sehr alt und leben in sozialen Verbänden, daraus resultiert ihre verblüffende Intelligenz.
Speziell bei den neukaledonischen Krähen kommt noch ein besonders geschickter Umgang mit Werkzeug hinzu. Sie können mittels verschiedener Stöcker und Drähte, die sie zum Teil umbiegen, Futterstücke aus kompliziert verschachtelten Gefäßen angeln. Sie lernen dies bereits in ihren heimatlichen Wäldern, wo sie mit ähnlichen Werkzeugen Nahrung unter Rinden und in Erdlöchern finden.
Die schwedischen Zoologen Can Kabadayi und Mathias Osvath fügten nun bei ihren Experimenten noch den Faktor Zeit hinzu. Die gefangenen Kolkraben mussten einen Stein bestimmter Größe in ein Rohr fallen lassen, woraufhin unten ein Stück Fleisch herauskam. Die Vögel mussten den passenden Stein allerdings bereits 15 Minuten vor dem Versuch aus mehreren Steinen auswählen – und diese Zeit des Bedürfnisaufschubs wurde von den Forschern dann noch auf 17 Stunden erweitert.
Vorteil klar erkannt
Als wäre das noch nicht protestantisch genug, bekamen die Kolkraben neben Steinen auch noch Futterstücke zur Auswahl, die weniger begehrenswert für sie waren als die Fleischbrocken, die sie später zur Belohnung für den richtigen Gebrauch der Steine erhielten. „Die Vögel mussten also Selbstkontrolle beweisen“, schreibt die Welt, „und das schafften sie auch. In drei Vierteln der Versuche verschmähten die Tiere den Schnellimbiss und warteten lieber geduldig auf den Festschmaus.“
Der Protestantismus der Kolkraben, auch wenn er dabei nur zu 75 Prozent in Erscheinung trat, unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den schwedischen Kleinfamilienmenschen. Diese müssen ihrer Brut den Bedürfnisaufschub mühsam über Jahrzehnte hinweg und das täglich mehrmals anerziehen (wobei über 50 Prozent an der Konsumgesellschaft scheitern) und dürfen dabei auch vor einem gewissen Zwang nicht zurückschrecken, um protestantisches Langzeitdenken in ihren Kindern zu versenken („Iss nicht schon wieder ein Nutellabrot, Mutter kocht uns was Gutes!“ „Erst wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast, darfst du raus!“ „Wenn du jetzt die Zähne zusammenbeißt und bis zum Abi durchhältst, hast du später weitaus bessere Chancen!“ und so weiter).
Die Zoologen hatten es mit ihren Kolkraben, besonders mit Juno, weitaus leichter: Die Vögel kapierten quasi sofort, worin der Vorteil vorausplanenden Verhaltens bestand und dass sie damit ihre forschenden Gefangenschaftswärter glücklich machten, so dass diese ihre Versuchsergebnisse, als wären es ihre eigenen, sofort in alle Science-Welten hinausposaunen.
Den wirklich ernsthaften Rabenforschern, wie dem Deutschen Josef Reichholf oder dem Amerikaner Bernd Heinrich (beide katholisch!), imponierten die Experimente in Lund jedoch nicht: „Ich finde es merkwürdig, dass das Leben an sich nicht allen Leuten beeindruckend erscheint“, meinte Letzterer. „Aber aus irgendeinem Grund beeindruckt sie das ‚intelligente‘ Leben. Wenn man das Leben insgesamt betrachtet, ist Intelligenz nur eine Borste am Schwein.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München