Integrationsgesetz in Bayern: Watschn für die CSU
Das bayerische Integrationsgesetz ist teilweise verfassungswidrig. Für die CSU ist die Entscheidung der Verfassungsrichter eine Niederlage.
Mit der Aktion protestiert der Künstler Günter Wangerin gegen ein Gesetz, dessen Verfassungsmäßigkeit drinnen im Sitzungssaal 270 gerade unter die Lupe genommen wird: das bayerische Integrationsgesetz. Auch mit dem Saal hat es eine traurige historische Bewandtnis: Am 22. Februar 1943 wurden hier Mitglieder der Weißen Rosen vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.
An diesem Dienstagvormittag nun ist es der Bayerische Verfassungsgerichtshof, der hier seine Entscheidung bekannt gibt. Eine Entscheidung, die der CSU nicht gefallen kann, auch wenn sie es kurz darauf herunterspielen wird. Peter Küspert, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, verkündet sie: Das von der CSU im Jahr 2016 mit ihrer damaligen absoluten Mehrheit erlassene Integrationsgesetz ist in Teilen verfassungswidrig. Grüne und SPD hatten das Gericht angerufen.
Für verfassungswidrig erklärte das Gericht unter anderem eine zentrale Bestimmung des Gesetzes, wonach Sicherheitsbehörden Personen allein aufgrund von Zweifeln an ihrer Einstellung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu einem Grundkurs über deren Werte verpflichtet können. Das sei ein unzulässiger Eingriff in die Meinungsfreiheit. Darüber hinaus verletze die Verpflichtung von Rundfunkanstalten, die in der Präambel des Gesetzes skizzierte „Leitkultur“ in ihrem Programm zu vermitteln, das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Zwang zum Mia san mia?
Es war diese „Leitkultur“, ein Begriff, den Friedrich Merz vor zwei Jahrzehnten in den politischen Diskurs eingebracht hatte, die vor vier Jahren vor allem in den Reihen der CSU ein bemerkenswertes Revival erlebte. Obwohl mittlerweile nicht weniger umstritten, trug man das Konzept eines verbindlichen deutschen Wertekanons vor allem in den Reihen der CSU monstranzartig vor sich her. Im Blick hatte man dabei vornehmlich muslimische Zuwanderer und Flüchtlinge. 2016 dann goss der Landtag, in dem die CSU damals noch über eine absolute Mehrheit verfügte, die Leitkultur in Gesetzesform.
Besonders an der Schwammigkeit des Begriffs stießen sich die Oppositionsparteien. Was, bitte, ist bayerisch, was deutsch? Gibt es im Freistaat eine einheitliche Identität, der man sich zu unterwerfen hat? Und wenn, ja, wie sieht die aus? Muss, wer hier lebt, in das verbreitete Mia-san-Mia-Mantra einfallen?
Nein, natürlich nicht, entgegnet die CSU. „Es geht beim Thema Integration nicht darum, jemanden zu bajuwarisieren“, versuchte etwa Generalsekretär Markus Blume zu beruhigen. Es müsse nicht jeder Dirndl und Lederhosen tragen. „Es geht darum, sich auf dieses Land einzulassen, zu wissen, welche Werte uns hier wichtig sind, die Gepflogenheiten des Alltags zu verstehen. Für uns ist die Leitkultur nichts Verordnetes vom Staat, sondern etwas, was gelebt wird in unserem Land und was zur Identitätsbildung beigetragen hat.“ Was die Definition freilich nicht leichter macht.
Bayern ist nicht das einzige Bundesland, das in den vergangenen Jahren ein Integrationsgesetz erlassen hat. Auch Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin haben die Bundesgesetzgebung durch eigene Gesetze ergänzt. Nur: Anders als in Bayern gehe man dort nicht von einem einseitigen Integrationsverständnis aus, erklärten Kritiker des Gesetzes. Was das bayerische Gesetz von Migranten einfordere, sei nichts anderes als Assimilation.
„Schallendste Ohrfeige“
Obwohl der Verfassungsgerichtshof den Begriff der Leitkultur als solches nicht beanstandete, sahen sich Grüne und SPD von der Entscheidung bestätigt. Das Entscheidende, so SPD-Fraktionschef Horst Arnold, sei, dass das Gericht den Eingriff in die Meinungsfreiheit erkannt habe. Das sei eine der „schallendsten Ohrfeigen“, die ein Gericht verteilen könne. Das Gesetz sei von Anfang an rein parteipolitisch motiviert gewesen und habe Ressentiments gegenüber Migranten geschürt.
Gülseren Demirel, integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, bezeichnete die Entscheidung als „Erfolg für die Betroffenen“. Die Staatsregierung habe an diesem Tag „ganz viele Hausaufgaben“ aufbekommen. „Es war die sprichwörtliche Arroganz der Macht, die Horst Seehofer und die stramm konservative CSU-Landtagsfraktion dazu verleitet hat, ihre Freiheiten bei der Gesetzgebung deutlich überzustrapazieren.“
Von gerade einmal zweieinhalb beanstandeten Artikeln des Gesetzes sprach dagegen der parlamentarische Geschäftsführer der Landtags-CSU, Tobias Reiß, und wertete die Gerichtsentscheidung als Erfolg für seine Partei. Mit den Beanstandungen könne man leben. Auf Nachfrage räumte er zwar ein, dass es Anspruch des Gesetzgebers sein müsse, rundum verfassungskonforme Gesetze zu erlassen. Trotzdem resümierte er: „Insgesamt ein erfolgreicher Tag für die bayerische Integrationspolitik.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär