Integrationsdebatte nach Silvester: Wir müssen uns damit beschäftigen

Nach der Silvesternacht herrschen in Deutschland Rassismuswochen. Die Debatten sind reine Provokation, doch man kann sich nicht raushalten.

Eine rote Raketenfontäne

Kaum einer hinterfragte, was Silvester wirklich passiert ist Foto: Marius Schwarz/imago

In Deutschland sind mal wieder Rassismuswochen. Mit Berlin-Special, weil dort Wahlkampf ist: Im Wahlkampf gegen Ausländer hetzen ist ein bewährtes Konzept. Man fängt Stimmen, indem man Ängste schürt und all denen die Schuld gibt, „die nicht deutsch genug sind“ (was auch immer das sein soll). Dabei holt man auch Leute in ihrem Rassismus ab, den sie ohnehin mal wieder gerne ausleben wollten. Viele von denen, auf deren Kosten das alles passiert, können eh nicht wählen.

So also stecken wir seit der Silvesternacht, in der es Angriffe auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte gab, in einer unangenehmen Integrationsdebatte: Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen oder Medienschaffende of Color sahen sich gezwungen, Stellung zu beziehen, zu erklären, zu rechtfertigen. In diesen schnellen, unter Reaktionsdruck entstandenen Aussagen sieht man gut, wie das Framing funktioniert und die Debatte verschoben wird.

Viele verurteilten die Gewalt an Silvester und baten um eine differenzierte Betrachtung. Einige listeten auf, wie viele nützliche gesellschaftliche Beiträge von Mi­gran­t*in­nen und PoC geleistet werden. Ich nahm kaum Stimmen wahr, die die Beschreibung der Silvesternacht an sich hinterfragten und die daran erinnern, dass die Polizei keine neutrale Quelle ist, sondern auch eigene Interessen verfolgt.

Es geht um Ablenkung

Toni Morrison beschrieb Rassismus einmal als eine Ablenkungstaktik: „Die Funktion, die sehr ernste Funktion von Rassismus ist die Ablenkung. Er hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Er lässt dich immer wieder erklären.“ In den letzten Wochen ließen selbst erfahrene Journalist*innen, Po­li­ti­ke­r*in­nen und viele Menschen, deren Berufsbezeichnung irgendwas mit Diversität ist, ihre eigentliche Arbeit liegen, um sich und uns alle zu verteidigen.

Mit „uns“ meine ich in diesem Fall nicht nur: Mi­gran­t*in­nen mit und ohne deutschen Pass, Schwarze Menschen und andere Poc, sondern alle, die antifaschistisch aktiv sind oder einfach keinen Bock auf eine rassistische Gesellschaft haben. Sicher: Wir können rassistische Behauptungen nicht unwidersprochen lassen – doch wir müssen auch nicht über jedes Stöckchen springen. Integrationsdebatten sind Schrott. Es kommt nie irgendetwas Gutes dabei rum. Es ist reine Provokation, die von Leuten ausgeht, die keine Ideen oder kein Interesse daran haben, große Fragen anzugehen. Also soziale Probleme zu lösen und die Umwelt zu schützen.

Trotzdem können wir rassistische Aussagen nicht ignorieren. Wir können uns oft nicht entscheiden, uns nicht ablenken zu lassen und entspannt unseren Dingen nachgehen. Wir müssen uns damit beschäftigen, weil diese Aussagen gefährlich sind. Denn sie bereiten das politische Klima, das zu rassistischer Gewalt, Übergriffen und Terroranschlägen führt.

Wenn sich wieder wer fragt, ob sich PoC zu wenig für das Klima engagieren: Hätte ich nicht das Gefühl gehabt, dass dieser Text heute sein muss, hätte ich über Lützerath geschrieben.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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