Integrationsdebakel in der Provinz: Der Traum vom Ziegenhof
Bis zu ihrer Flucht produzierte Familie Aliadeh in Syrien Ziegenkäse. Auch in Deutschland bauen sie einen Betrieb auf. Bis alles schiefgeht.
Y azid Aliadeh hat einen Traum: Er will Ziegenkäse produzieren. So wie es seine Familie in Syrien schon immer gemacht hat. 2015 war Aliadeh nach Deutschland geflohen. 2019 pachtete er einen Hof in Randegg, einem Dorf in der Nähe von Konstanz. Er sanierte ihn, kaufte 170 Ziegen und baute das Erdgeschoss um in eine Käserei. Dann zog er mit seiner Frau und den drei Kindern ein in den Landgasthof Adler – so heißt der Hof. Er liegt inmitten breiter Weiden und Felder.
22 Zimmer, ein großer Stall, drei Hektar Boden. Kinder spielen auf dem Hof, Ziegen laufen hinterher, sie wissen: Wenn die Kinder auf Apfelbäume klettern, fallen Früchte herab.
Hier sollte das neue Leben von Yazid Aliadeh und seiner Familie beginnen. Doch dann ging alles schief. Im Oktober schon soll die Familie ausziehen. Scheitert der Traum vom Ziegenkäse, scheitert auch der Versuch der Aliadehs, in Deutschland Fuß zu fassen. Aus einem Traum wird ein Albtraum, für den die Behörden, der Eigentümer, die Nachbarn und die Aliadehs die Schuld jeweils beim anderen suchen.
Die Familie, das sind inzwischen 24 Menschen: Yazid Aliadehs Eltern, Geschwister und deren Kinder. Sie haben auch in Syrien zusammengelebt, bevor alle Familienmitglieder nach Deutschland flüchteten. „Es ist ein Wunder, dass wir wieder zusammen sind“, sagt Yazid Aliadeh. „Nach langer Flucht und Trennung war es eine Wiedervereinigung“. Er versucht, einen Strohballen auseinanderzupflücken. Doch die Ziegen haben einen engen Kreis darum gebildet und lassen ihn nicht ran. Er hat keine Chance, er lässt die Ziegen seine Arbeit machen.
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Yazid Aliadehs Farbe ist Schwarz. Er trägt schwarze Jeans und eine abgenutzte schwarze Lederjacke. Seine Haare sind schwarz, seine Augenbrauen, der Bart. Die Hände sind von der Erde geschwärzt, und die Zähne sind graubraun vom Rauchen. Wer bei ihm zu Gast ist, darf das Haus nicht verlassen, bevor er nicht gegessen hat. Eine Sache versteht er in Deutschland nicht: Wann die Menschen jemanden anlachen und wann sie ihn auslachen.
Es hat vier Jahre gedauert, bis die Aliadehs in Deutschland wieder zusammenfanden. Erst suchten die älteren Brüder den Weg nach Deutschland, dann die jüngeren, als Letzte kamen die Eltern, Frauen und Kinder. Yazid Aliadeh ist 38. Er war längst weg von zu Hause, verdiente sein Geld als Baggerfahrer in Dubai. Als der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, kehrte er kurz dorthin zurück, dann flüchtete er. Ende 2014 kam er nach Singen in Baden-Württemberg. Dorthin hatte es auch sein jüngerer Bruder Obada über Griechenland und den Balkan geschafft, nachdem er zwei Jahre lang in einem Zelt in einem Flüchtlingslager in der Türkei ausgeharrt hatte. In der Nähe von Singen wohnte ihre Schwester Asma; seit 14 Jahren schon ist sie in Deutschland. Sie war mit einem Deutsch-Iraker verheiratet, der 2016 bei einem Autounfall starb. Lebte die Großfamilie anfangs über ganz Baden-Württemberg verteilt, fand sie im Landgasthof Adler in Randegg wieder zusammen.
„Al-Hamdu li-Llāh“, sagt der Vater, „Gott sein Dank.“ Jassim Aliadeh ist 61. Er versteht kein Deutsch, fühlt sich schon lange müde und erschöpft. „Wir haben hier nicht den gleichen Lebensrhythmus wie in Syrien“, sagt er. Sein Sohn übersetzt. Mit unsicheren Schritten geht er in Richtung Haustür und setzt sich auf einen Stuhl in die Sonne. Mehr reden möchte er nicht; auch die Frauen des Hauses schweigen. Erst wenn ihre Männer es erlauben, sprechen sie.
Obada Aliadeh, 25, erklärt: Die Frauen wachen über die Kinder, die Männer wachen über die Frauen, der Vater kontrolliert die ganze Familie. In Deutschland allerdings ändere sich das: Wer besser Deutsch kann und mehr deutsche Regeln versteht, hat mehr Macht.
Die Aliadehs wollen in Deutschland ankommen, arbeiten, Geld verdienen. 2017 gründeten sie deshalb eine Reinigungsfirma. Alle Familienmitglieder arbeiteten mit, Männer und Frauen. „Wir haben Tag und Nacht gearbeitet und alles gespart“, sagt Obada Aliadeh. Sie putzten die Gebäude der Universität Konstanz, Fabriken, öffentliche Toiletten am Bodensee – als Subunternehmer bekamen sie dafür kaum Geld. 2019 entschied die Familie, es solle Schluss sein mit dem Toilettenputzen. Sie wollte ihre Kraft, Zeit und ihr Wissen in die Landwirtschaft stecken – so wie sie es aus Syrien kannten.
Obada Aliadeh spricht bedacht, erzählt nichts Unnötiges. Er distanziert sich von den anderen Familienmitgliedern und lässt sich nicht mit seiner Familie fotografieren. Zumindest nicht für Bilder, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Obada Aliadeh hört zu, egal was man ihm erzählt und wie lange. Er widerspricht nicht. Doch er setzt seine Meinung in der Familie durch. Auch in der Frage, wie weit ein Gast in den Wohnbereich der Familie blicken darf: nicht sehr weit. Barack Obama – so könne man sich seinen Namen merken, sagt er.
Obada Aliadeh hat einen gepflegten Bart und gestylte Haare. Er trägt eine leicht zerrissene Jeans und Turnschuhe, beim Sprechen verschränkt er gern die Arme. „In Syrien haben wir seit mehreren Generationen Ziegen und Schafe gehalten, mindestens 400 Tiere.“ In Deutschland wollten er und seine Familie Käse aus eigener Produktion auf den Markt bringen: arabischen salzigen Käse, aber auch europäischen, der Mozzarella ähnelt.
Ziegenhaltung ist in Deutschland nicht so stark verbreitet, knapp 140.000 Ziegen sind es laut Statistischem Bundesamt insgesamt. Sie werden in Herden von meist weniger als 10 Tieren gehalten. Und dann erwerben die Aliadehs gleich 170 Ziegen in kurzer Zeit.
Andererseits: Den Käsemarkt hatten sie gründlich studiert. Nicht nur Deutsche würden ihre Käsesorten kaufen, sondern auch die benachbarten Schweizer, die Ziegenkäse schätzen und gern in grenznahen deutschen Supermärkten einkaufen. Die Hauptabnehmer allerdings sollten arabische Großhändler in Mannheim und Stuttgart sein.
Obada Aliadeh führt durch die Produktionsräume auf dem Adlerhof, sie sind saniert, frisch gefliest, mit Käsekesseln, Messgeräten und einer Dampfheizung ausgestattet. „Alles ist da, und es wurde noch nie benutzt“, sagt er.
Im Sommer 2019 kamen die Ziegen auf den Hof. „In Deutschland gibt es keinen Tiermarkt so wie in Syrien, wo man Ziegen und Schafe einfach kaufen kann“, sagt Obada Aliadeh. Ihre ersten Ziegen kauften die Brüder über Ebay-Kleinanzeigen. Tier für Tier, bis ein Bauer aus der Nähe von Leipzig alle seine Ziegen auf einen Schlag loswerden wollte. 144 Tiere. „Entweder alle oder keine“ war seine Bedingung. Die Familie entschied sich für den Kauf. Das Fiasko begann.
„Schlachten, ältere Tiere verkaufen, Zicklein nach und nach auch schlachten“ – das ist der Plan des Veterinäramts in Konstanz für die Ziegen vom Adlerhof. Nach ihrem Besuch Ende Juli waren die Veterinäre alarmiert: „Viele Ziegen zeigen reduzierten Ernährungszustand. Zurzeit [ist] nur ein großer Ballen Heu da. Keine Futtervorräte“, heißt es in einem aktuellen Bericht des Veterinäramts, der auch die dringenden Forderungen enthält, bei den Tieren eine Klauenkorrektur durchzuführen, Einstreu im Stallbereich auszulegen und für die Tiere gefährliche Gegenstände wie Blech und Draht von den Weiden zu entfernen sowie tote Ziegen zu entsorgen. „Wenn kein positiver Bescheid vom Baurechtsamt kommt, wird der Ziegenbestand abgebaut“, protokollieren die Veterinäre.
Was da schiefgelaufen ist? Alles. „Wir haben unser ganzes Geld investiert und noch Geld von unseren Verwandten geliehen. Wir dachten, dass wir schon bald Käse herstellen könnten. Und dass das unser Glück sein könnte“, sagt Obada Aliadeh. Mehr als 100.000 Euro habe die Familie insgesamt in den Landgasthof Adler investiert.
Doch die Beamten stoppten die Bauarbeiten und verhinderten die Käseproduktion. „Der Stress beginnt mit dem Briefkasten. Jeden Tag bekommen wir neue Rechnungen, größere Zahlen, längere Texte, die wir nicht verstehen“, sagt Obada Aliadeh. Er betritt ein Empfangszimmer, in dem eine orientalische Sitzecke ist. Vorher zieht er seine Schuhe aus. Vor der Tür stehen Schuhe in jeder Größe, drinnen riecht es nach Kardamom. Es gibt arabischen Mokka und Datteln.
Von 170 Ziegen sind im August 120 geblieben. Die Brüder haben schon viele Tiere verkauft, damit die anderen satt werden. Doch das Geld reicht immer noch nicht. Viele Tiere sehen tatsächlich abgemagert aus. Zicklein laufen hinter ihren Müttern her und versuchen, aus trockenen Eutern zu saugen. Es gibt kaum Milch, weder für die Zicklein noch für die Familie. Und die, die da ist, müssen die Aliadehs wegschütten. Sie dürfen sie nicht verkaufen.
Eine Bäuerin ist heute extra zum Hof gefahren, 20 Kilometer weit, und hat zwei riesige Behälter mit Ziegenfutter mitgebracht: Kohlblätter, Salatköpfe, Brot. Sie will ihren Namen nicht nennen, „es ist ja egal, wenn man helfen will, dann hilft man“, sagt sie. Auch ein älterer Herr aus Singen ist da, weil er gehört hat, dass die syrischen Flüchtlinge in Not sind. Der Mann reicht Obada Aliadeh einen Briefumschlag, entschuldigt sich, dass er nicht mit mehr Geld helfen kann. „Ich bin nur ein Rentner“, sagt er.
Anders ist die Stimmung in der direkten Nachbarschaft des Landgasthofs Adler. Ein Nachbar knallt die Tür zu, als man ihn auf den Ziegenhof anspricht. Dieser Nachbar soll – so erzählen es die Aliadehs – auch die Polizei gerufen haben, weil die Familie zu laut gefeiert habe.
Eine Nachbarin antwortet erst nur knapp. „Mein Mann ist Beamter im Rathaus.“ Dann kommt sie doch ins Erzählen. Sie habe nichts zu beanstanden. Springe ein Zicklein in ihren Garten, helfe sie ihm, zurückzufinden. Doch beim anderen Nachbarn, auf dessen Bio-Gemüsebetrieb, da haben die Ziegen was von der Ernte gefressen. „Der ist sauer, dem sollten Sie besser nicht begegnen.“ Der Mann ist nicht zu finden, er scheint nicht zu Hause zu sein.
Tatsächlich hat Yazid Aliadeh den Zaun so gebaut, dass die Ziegen herausspringen können. Und nicht nur der Zaun ist nicht so, wie er sein sollte. Viele der Umbauten auf dem Adlerhof sind ohne Genehmigungen geschehen – und dafür muss die Familie jetzt den Preis bezahlen.
Thomas Buser leitet das Amt für Baurecht und Umwelt in Konstanz. Er überprüft, ob es baurechtlich überhaupt zulässig ist, im Landgasthof Adler zu wohnen, Ziegen zu halten und Käse zu machen. Und er sieht folgende Probleme: Brandschutz, Tierschutz, Hygieneregeln.
Es müsse geprüft werden, ob das Wohnen und die Tierhaltung auf dem Hof überhaupt zulässig seien. „Es muss gewährleistet sein, dass im Falle eines Brandereignisses in der Produktionsstätte keine Gefahr für die Bewohner besteht. Deshalb muss zwischen dem Wohnbereich und der Produktionsstätte eine brandschutztechnische Abtrennung vorhanden sein“, sagt Buser.
Auch seine Kollegen vom Denkmalamt wollen Anträge sehen. Das Gebäude aus dem Jahr 1921 steht unter Denkmalschutz. Alle Umbauten bedürften einer Erlaubnis.
Der stellvertretende Landrat und erste Landesbeamte von Konstanz Philipp Gärtner sagt: „All diese Fragen können wir nicht beantworten, weil wir bis jetzt keine Unterlagen auf dem Tisch haben.“ Im Landratsamt hätten viele Mitgefühl mit der Familie, manche würden sogar gern mal den Ziegenkäse kosten. Hier sieht man nicht die Aliadehs, sondern den Eigentümer in der Verantwortung, erforderliche Schritte einzuleiten. „Wir verlangen nach wie vor vom Eigentümer, uns Unterlagen mit Plänen vorzulegen. Es fehlt ein Bauantrag zur Prüfung“, sagt Gärtner. Seit Monaten sei der Eigentümer entsprechenden Aufforderungen nicht nachgekommen.
Doch anstatt Anträge für Genehmigungen zu stellen, kündigt er der Familie die Pacht. Bis Ende Oktober muss sie mit ihren Ziegen den Hof verlassen. Die Beamten im Landratsamt gehen davon aus, dass das Thema Landgasthof Adler dann für sie erledigt ist.
Der Eigentümer des Hofs heißt Georg Wengert. Er ist 73 Jahre alt und ein bekannter Wirtschaftsprüfer und Steuerberater im Süden Baden-Württembergs. Er wohnt dort, wo die Straße endet und das Sonnenblumenfeld beginnt. Sein Haus ist frisch gestrichen, prachtvolle Sträucher und Büsche schmücken den Garten. Wengert reicht seine Visitenkarte. „Begreifen Sie das System“, steht darauf. Die 1979 gegründete Wengert Gruppe ist ein Familienbetrieb mit 35 Rechtsanwälten und Experten für Wirtschaftsprüfung, Steuer- und Unternehmensberatung.
„Für mich gibt es nur einen wahren Wert: das Land“, sagt Wengert, auf einem Bauernhof auf der Schwäbischen Alb geboren und aufgewachsen. Deswegen habe er auch unbedingt den Bauernhof in Randegg kaufen wollen. Seit 27 Jahren gehört der Landgasthof Adler der Familie Wengert, bis 2018 war er an einen Bauern verpachtet, danach stand er leer.
„Ich wollte niemandem zumuten, dieses alte Gebäude zu nutzen. Aber die syrische Familie hat genau das gesucht und war happy damit“, sagt er. Er schlägt mit der Hand leicht auf den Tisch, so als wollte er seine Aussage damit bekräftigen. Er wolle nur helfen, etwas Gutes tun. „Ich bin gegen Wände geraten, ich habe mir alle zum Feind gemacht, weil ich davon überzeugt war, dass das ein gutes Integrationsprojekt sein kann“, sagt Wengert.
Wengert ist frisch rasiert, die grau-weißen Haare sind akkurat geschnitten, die randlose Brille sieht edel aus – doch seine Stimme passt nicht zum Look. Sie klingt unsicher, beinahe ängstlich.
Das Landratsamt Konstanz habe einen unschönen Bürokratiekrieg gegen die syrische Flüchtlingsfamilie entfacht, erzählt er. Ein Trauerspiel aus überzogener Härte, vorsätzlicher Zerstörung der neuen Heimat und der wirtschaftlichen Existenz. „Das Landratsamt Konstanz geht mit seinen radikalen, rücksichtslosen und von jeder Empathie befreiten Methoden gegen die syrischen Flüchtlinge in Randegg vor“, schreibt Wengert nach dem Treffen in einer Mail. Er wirft dem Landratsamt Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung vor. Die öffentliche Verwaltung sei geprägt „von rassistischer Abneigung gegen die muslimisch-syrische Kultur und die andere Lebensweise der syrischen Flüchtlingsfamilie auf dem Adler-Hof“.
Auf dem Hof selbst ist Wengert nicht mehr besonders gern gesehen. Die Aliadehs können nicht mehr nachvollziehen, welche Vereinbarung sie mit wem getroffen haben. Ständig kamen irgendwelche Menschen und forderten sie auf, bestimmte Bauarbeiten zu machen. Jetzt sind sie misstrauisch.
Georg Wengert appellierte an die grünen Landtagsabgeordneten vor Ort, den Ministerpräsidenten Kretschmann in Stuttgart, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin sowie die Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Überall nur Schweigen im Walde“, sagt er. „Am meisten bin ich enttäuscht von den Gutmenschen und Willkommenskulturbefürwortern bei den Grünen.“
Die Grünen vor Ort distanzieren sich von Wengert. Keine offizielle Stellungnahme, aber eine Frau sagt, dass sie sich über Wengerts Taktiererei ärgere. So ganz klar ist dessen politische Agenda nämlich nicht: Wengert gehörte 44 Jahre der CDU an, 2017 wählte er – wegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik – zum ersten Mal die FDP. So stand es in der Stuttgarter Zeitung. Er hatte Zweifel am rechtlichen Fundament von Merkels Politik. Es sei unklar, auf welcher Grundlage die „Grenzöffnung“ im Herbst 2015 erfolgt sei.
Geht es Wengert nur ums Geld? Nutzt er aus, dass die Aliadehs nicht alle hierzulande geltenden Regeln und Rechte kennen? Wengert ließ sich mit der Familie fotografieren, er sagt, er setze sich für Integration ein und habe dafür Drohbriefe aus der Nachbarschaft bekommen. Hat er Belege? „Habe ich sofort gelöscht. Scheißdreck. Weil ich das nicht ernst nehme.“
Als der Schornsteinfeger ihm alarmiert berichtet habe, die Syrer hätten eine Maschine gekauft, die nicht in Deutschland zugelassen sei und wegen der das ganze Haus hätte in die Luft gehen können, sei ihm schwindlig geworden, sagt Wengert und nimmt die Hände vors Gesicht. Dann sagt er: „Die Syrer haben den ganzen Müll im Keller aufbewahrt. Es hat fürchterlich gestunken. Eine Katastrophe. Sie arbeiten nicht, bekommen Geld vom Jobcenter, Kindergeld, die Miete wird von der Gemeinde gezahlt, und nun lassen sie die armen Tiere verhungern“.
Es scheint, als ginge es ihm jetzt, da er womöglich von den Behörden auch zur Verantwortung gezogen werden könnte, weniger um die Familie und deren Integration. „Jeder Nagel, den die Familie in die Wand schlägt, muss vom Denkmalschutz genehmigt werden“, sagt Wengert noch. Er sieht es aber nicht als sein Problem an.
Im Pachtvertrag hat Wengert geregelt, dass er oder Annemarie Wengert, eine Familienangehörige von ihm und juristisch die Eigentümerin, nicht verpflichtet werden können, für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften ihrer Pächter Sorge zu tragen. „Wenn ich das nicht gemacht hätte, hätte die Miete 5.000 Euro statt 1.600 kosten müssen. Ich will meine Ruhe haben“, sagt Wengert.
In einem kann man ihm recht geben. Warum fielen dem Landratsamt die erforderlichen Genehmigungen so plötzlich wieder ein? Vor der syrischen Familie wohnten auf dem Hof auch schon Menschen, seit 1970 ist dort ein Gasthaus mit landwirtschaftlicher Nutzung dokumentiert. Ein deutscher Bauer hatte den Hof gepachtet für seine irischen Pferde, die Kühe, Schafe und Ziegen. Die Räumlichkeiten des Gasthauses wurden immer wieder vermietet. Nachbarn, die seit mehr als 13 Jahre dort wohnen, besuchten oft die Dorfkneipe im Hof. Auch der seit 16 Jahren amtierende Bürgermeister von Gottmadingen erinnert sich, wie die Pferde des Landgasthofs Adler ab und zu ausbrachen und auf der Straße trotteten.
„Es war uns schlichtweg so nicht bekannt“, gibt das Landratsamt zur Antwort. „Und jetzt ist es bekannt.“
Mit der Kündigung lösen Wengert und das Landratsamt ihre Probleme. Und was passiert mit Familie Aliadeh? Yesid Aliadeh findet klare Worte. Seine Familie wurde von Wengert ausgenutzt, weil sie die deutschen Gesetze und Vorschriften nicht so gut kenne. „Ich schlachte meine Tiere nicht“, sagt er.
Vielleicht muss er das auch nicht. Arthur Müller, ein Pharmaunternehmer aus der Region, will juristisch gegen das Landratsamt und den Vermieter Wengert vorgehen. Dafür hat er vor Kurzem einen Anwalt engagiert. Müller ist 74 Jahre alt. Ein kräftiger Mann. Er ist schwerhörig und redet deswegen sehr laut. Und wenn er verärgert ist, hört man seine Stimme auf dem ganzen Hof. Müller nennt das Landratsamt und Wengert „dubios“ und „schikanös“.
Er hat einen Plan: Er will ein Start-up gründen unter dem Namen „Randegger Käserei“. 25.000 Euro Grundkapital will er investieren und andere Investoren einladen mitzumachen. „Wir lassen die Aliadehs nicht scheitern“, sagt Müller. Er ist heute hier, um sich mit der Familie fotografieren zu lassen.
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