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Integration von Flüchtlingen in MarzahnEin Glücksfall

Martin Zoonobi ist aus dem Iran geflüchtet und spielt nun Fußball beim 1. FC Marzahn. Das ist dort keine große Sache: „Fußball für alle“ lautet der Slogan des Clubs.

Martin Zoonobi vor dem Logo des Marzahner Clubs Foto: Sebastian Wells

Martin Zoonobi wartet, bis er an der Reihe ist. Sein Fuß ruht auf dem Ball, die Hände hat der schmale Mann mit den kurzen Haaren in die Hüften gestemmt. Dann dribbelt er los, läuft auf das Tor zu, schießt – und der Ball geht in der unteren linken Ecke ins Tor. Seit etwa einem Jahr trainiert Martin Zoonobi beim 1. FC Marzahn 94: Seit er mit seiner Familie aus einer Flüchtlingsunterkunft in Köpenick ausgezogen ist und in der Nähe des S-Bahnhofs Ahrensfelde eine Wohnung gefunden hat.

Eine Stunde vorher. Zoonobi betritt die Terrasse des Vereinsheims. „Die Jungs haben gesagt, ich soll nächste Woche beim Turnier spielen“, ruft er Tino Streuffert zu, dem zweiten Vorsitzenden des Vereins. „Klar“, antwortet dieser. „Da gibt es das ganze Programm: spielen, grillen, trinken!“ Die beiden lachen.

Zoonobi stammt aus der Stadt Schiras im Süden Irans. „Da habe ich auch schon Fußball gespielt“, berichtet er. Vor zwei Jahren floh er mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Deutschland. In Berlin ließ er sich taufen – im Iran hätten darauf Folter oder sogar die Todesstrafe gestanden. Nur historisch verwurzelte Gruppen wie etwa die armenischen Gemeinden haben dort gewisse Rechte. Konvertiten sowie deren Nachfahren hingegen werden verfolgt und sind gezwungen, ihren Glauben im Geheimen auszuführen.

Beim 1. FC Marzahn 94 nennen ihn viele der Jungs, mit denen Zoonobi jede Woche kickt, „Momo“. Das ist die Kurzform des Vornamens, den er bei seiner Taufe abgelegt hat: Mohammed Ali. Jetzt heißt er Martin. Auf seiner Brust baumelt im Ausschnitt des geöffneten Hemds eine Kette mit einem Kreuzanhänger. Zoonobi strahlt. „Mein Deutsch ist noch nicht so gut“, sagt er, „aber es wird besser. Und notfalls mit Pantomime.“ Dann verschwindet er Richtung Umkleidekabine.

„Der Momo ist für uns ein Glücksfall, sowohl fußballerisch als auch menschlich“, sagt André Krause-Hofses, dritter Vorsitzender des Vereins und Trainer der Zweiten Herrenmannschaft. „Der ist inzwischen fester Bestandteil der Mannschaft.“ Am Anfang habe Zoonobi auch als Freiwilliger bei der Bewirtschaftung des Platzes geholfen: „Rasen gemäht, sich um die Bälle gekümmert, so was“, sagt Krause-Hofses. „Da war sein Asylverfahren noch nicht durch. Er durfte nicht arbeiten und hatte den ganzen Tag nichts zu tun. Da hat er gefragt, ob er hier helfen kann“, ergänzt Streuffert.

Jetzt ist Zoonobi auf Jobsuche. Beim Grillen nach dem Heimspiel oder beim Zusammensitzen nach dem Training ist er trotzdem immer dabei. „Momo ist beliebt in der Mannschaft“, sagt Streuffert.

Alle spielen eben Fußball

Besonderen Wirbel macht der Verein um sein Engagement nicht. Nirgends ein Refugees Welcome-Banner, keine Einträge auf der Webseite.

Der Fußballverein, in dem auch Geflüchtete spielen – es ist eins der fast schon zu klischeehaften Idealbilder funktionierender Willkommenskultur. Besonderen Wirbel macht der 1. FC Marzahn 94 um sein Engagement aber nicht. Nirgends ein „Refugees Welcome“-Banner, keine Einträge auf der Webseite oder große Medienberichterstattung, keine Anträge auf Fördergelder. „Der Slogan unseres Vereins lautet schon von jeher: ‚Fußball für alle‘“, betont Streuffert. Und so spielen sie halt Fußball.

Geflüchtete mit solch einer fast schon banalen Selbstverständlichkeit in den Spielalltag zu integrieren, das ist kein Regelfall in einem Bezirk wie Marzahn-Hellersdorf. 13,9 Prozent der AnwohnerInnen haben hier einen Migrationshintergrund, der Ausländeranteil liegt bei 5,9 Prozent – mit beiden Werten belegt der Bezirk berlinweit den vorletzten Platz.

Was hingegen hoch ist, ist die Zahl rechtsextremer und rassistischer Aktivitäten. „Ich erinnere mich noch gut an die Montagsmahnwachen“, sagt Krause-Hofses. Auch bei ihnen zu Hause seien diese von Neonazis initiierten Protestmärsche gegen Flüchtlingsheime vorbeigelaufen. Der Verein sei von Anfeindungen aber verschont geblieben.

Marzahn-Hellersdorf

Der Bezirk: Marzahn-Hellersdorf entstand 2001 durch die Fusion der Bezirke Marzahn und Hellersdorf; es hat 262.000 Einwohner. Hier befindet sich die größte Großsiedlung, die in industrieller Plattenbauweise in der DDR errichtet wurde. Nach der Wende erfuhr der Bezirk Abwanderung und Abwertung. Inzwischen sind Wohnungen hier so schwer zu finden wie in ganz Berlin.

Die Serie: Seit April bringt die Internationale Gartenausstellung (IGA) – sie läuft noch bis Oktober – viele Besucher nach Marzahn-Hellersdorf. Parallel dazu widmet sich die taz dem Wandel im Bezirk mit einer Serie. (taz)

Etwa 280 Mitglieder hat der 1. FC Marzahn 94, etwa ein Viertel davon hat Migrationshintergrund, schätzt Streuffert. „Wir haben hier viele Vietnamesen, Russen und Leute aus den baltischen Staaten.“ Der Verein will offen sein für alle und wählt seine Mitglieder nicht nach Leistung aus. „Deswegen haben wir auch gerade bei den Jugendlichen viele aus sozial schwachen Familien“, sagt Streuffert. „Die trainieren wir nicht nur, die betreuen wir bis zu einem gewissen Grad auch.“ Etwa die Hälfte der Jugendlichen begleiche die Mitgliedsbeiträge über Bildungsgutscheine vom Jobcenter.

Aktiv bei der Integration

Auch im Hellersdorfer FC spielen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung gemeinsam Fußball. Ende 2015 schauten dort ein paar Kinder mit Inter­esse am Fußballspielen aus einer nahe gelegenen Unterkunft vorbei. Anfang 2016 entschied sich der Verein dann aktiv dafür, Geflüchtete ins Training zu integrieren, beantragte Fördergelder, unter anderem beim Landessportbund. Auch der Berliner Fußballverband sei auf sie zugekommen, sagt Gabriel Preuß, Vorsitzender des Hellersdorfer FC.

„Wir sind da ein bisschen blauäugig reingeschlittert“, sagt Preuß. „Wir hatten eine Person, die das hauptamtlich gemacht hat. Aber bald war die Nachfrage so groß, dass das für einen allein nicht mehr zu schaffen war.“ Seitdem gibt es für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen einen eigenen Spieltermin. „Aber Kinder, die nicht nur Lust auf ein bisschen Kicken mit Freunden haben, sondern richtig Fußball spielen wollen, integrieren wir schrittweise in den normalen Spielbetrieb.“

Anfangs habe es durchaus Ressentiments gegeben, vor allem unter den Eltern, erzählt Preuß. „Die haben sich darüber beschwert, dass ihr Kind zahlen muss, während die geflüchteten Kinder kostenfrei spielen können.“ Einmal habe ein Jugendlicher auch „nicht so freundliche Worte“ den geflüchteten Mitspielern gegenüber in den Mund genommen. „Aber wir haben da als Verein gut drauf reagiert“, findet Preuß: Der Jugendliche sei des Platzes verwiesen und später vom Vorstand zur Rede gestellt worden.

„Ich hätte erwartet, dass gerade von der ‚Laufkundschaft‘, also von den Anwohnern, mehr über den Zaun gerufen wird“, sagt Preuß. Aber auch da habe es nur einen Fall gegeben, ganz zu Anfang. Inzwischen trainieren knapp 40 geflüchtete Kinder und 15 Erwachsene im Verein, viele davon wohnten in der gerade leergezogenen Notunterkunft Ruschestraße in Lichtenberg.

Ein Mannschaftssport

Auch beim 1. FC Marzahn 94 ist Martin Zoonobi nicht der einzige Geflüchtete, der auf dem Platz des Vereins Fußball spielt. Bei den Ersten Herren kommt einer der Spieler ursprünglich aus dem Irak. Es seien mal mehr Spieler gewesen, sagt Streuffert. Einige seien inzwischen in anderen Bundesländern, andere hätten mit dem Training aufgehört. Auch bei den Jugendlichen spielen Kinder aus geflüchteten Familien, die in der kürzlich eröffneten Unterkunft in der Wittenberger Straße wohnen.

Eine Spielzeit pro Woche hat der Verein einer Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der zwei Kilometer entfernten Notunterkunft Bitterfelder Straße überlassen. Damit habe es auch angefangen, sagt Streuffert. Die Volkssolidarität habe als Betreiber der Unterkunft damals angefragt, und montags sei noch ein Zeitfenster frei gewesen. Der Verein habe das Team dann mit aussortierten Trikots ausgestattet, und das Training konnte losgehen. „Das ist ein tolles Erlebnis für die Jugendlichen“, sagt Streuffert.

Auch für die Erwachsenen kommt beim Training mehr heraus als nur sportliche Betätigung. „Am Anfang haben Momo und ich uns noch viel über das Smartphone verständigt, da konnte er eine App zum Übersetzen benutzen“, sagt Streuffert. Heute sei das nicht mehr nötig. Und nicht nur sprachlich helfe das Training beim Ankommen: „Fußball ist ein Mannschaftssport. Einer allein kommt da nicht weit“, so Streuffert. „Man muss sich einbringen und an­ein­ander anpassen.“

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