Integration statt Isolation

Beim SC Blau-Weiß 06 im Kölner Süden spielen behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam Fußball. Die Zugehörigkeit zu einer Liga ist ihnen verwehrt, Gegner gibt es aber genug

aus Köln CHRISTOPH BERTLING

Seit Jahren hegt der elfjährige Simon einen Traum: Fußballprofi werden. So steht er jeden Mittwoch auf dem Aschenplatz des SC Blau-Weiß 06 im Grüngürtel des Kölner Südens. Ob brütende Hitze oder Schmuddelwetter, Simon ist es egal – er arbeitet unentwegt, um das Unmögliche möglich zu machen. Denn obwohl er ackert wie ein Besessener, kommt er nur selten an den Ball. Immer ist er einen Schritt zu spät. Doch der Blondschopf gibt nicht auf, auch wenn er unter einer Spastik leidet. Einer Krankheit, die seine Beine stark nach innen stellt und seine Körperbewegungen erheblich einschränkt.

Simons Profitraum ist nicht neu; dass er ihn leben darf, schon. Noch Anfang des Jahres kannte er nur den Sport in der „Rheinischen Schule für Körperbehinderung“ in Köln. Nichts Spektakuläres, eher Lästiges: Dehnübungen, Massagen, Bewegungstherapien.

Doch dann hörten seine Eltern von einem Projekt in Köln, das bis heute bundesweit einmalig ist. Der kleine Verein Blau-Weiß 06 bot an, körperbehinderten und nichtbehinderten Kindern das Fußballspielen in einer Mannschaft zu ermöglichen, ohne die körperbehinderten Kids – die vornehmlich an Spastiken und Wahrnehmungsstörungen leiden – in eine Sonderabteilung innerhalb des Vereins zu stecken, wie es andere praktizieren. Auch wenn der Verein somit auf Subventionsmittel verzichten muss, die ihm zuständen, wenn er eine gesonderte Abteilung aufgemacht hätte.

„Uns lag am Herzen, dass die Kinder sich bei uns wohl fühlen und nicht innerhalb des Vereins isoliert sind“, meint Jugendgeschäftsführer Rudlaf Gomm, der das Projekt mit aufbaute. Auf die eigentliche Idee gekommen war ein Lehrer an der Rheinischen Schule. Oliver Dyck-Brünagel wusste vom Traum seiner Schüler, einmal das Trikot eines Fußballvereins zu tragen und als Mitglied akzeptiert zu sein. So organisierte er mit den Vereinsfunktionären eine „Körperbehindertenmannschaft“.

Der Verband stimmte nur unter der Prämisse zu, dass diese so genannten Kb-Mannschaften nicht am normalen Ligabetrieb teilnehmen. „Das stört uns nicht. Wir sind ein Familienbetrieb, der den Kindern kein Leistungsprinzip aufdrücken will“, meint Gomm.

Auch ohne Liga haben die Kids genügend Spiele zu bestreiten. Immer mehr Mannschaften fragen an, ob sie nicht gegen das Kb-Team spielen dürfen. „Wir können uns vor Anfragen kaum noch retten“, meint Gomm, der das Projekt ehrenamtlich betreut. Aber nicht nur gegnerische Mannschaften sind interessiert, sondern auch immer mehr Eltern schicken ihre körperbehinderten Kinder in den Kölner Grüngürtel, da sie wissen, dass sogar die psychischen Beschwerden, die manche wegen ihrer Behinderung plagen, bei der Jagd nach dem Ball verschwinden. Mittlerweile schauen sich Gomm und Dyck-Brünagel, die die Mannschaft betreuen, nach weiteren Übungsleitern um, denn aus einem Umkreis von fünfzig bis hundert Kilometern kommen immer mehr Eltern mit ihren Kindern gefahren.

Und die Kinder fühlen sich wohl. Von weitem kann man nicht einmal erkennen, welches Kind mit erheblichen körperlichen Einschränkungen zu kämpfen hat und welches nicht. Nur bei näherer Beobachtung fallen die nach innen gedrehten Beine von Simon auf oder der behäbige Gang von Claudia, dem einzigen Mädchen. Ob Behinderung oder nicht, die Kinder tollen umher, sprinten und fighten um den Ball. Stolz tragen sie ihre neuen Trikots. „Ich gehe damit schlafen“, erklärt Simon. Er hat eben einen Traum, und den kann er endlich leben.