Insektizidproduzent als Insektenretter: Hersteller warnt vor seinen Produkten
Hans-Dietrich Reckhaus ist Pestizidhersteller – und Aktivist gegen das Insektensterben. Das führt zu einer ungewöhnlichen Kampagne.
![](https://taz.de/picture/3407225/14/22884665.jpeg)
Wie kommt ein Unternehmer darauf, vor seinen eigenen Produkten zu warnen? Für Hans-Dietrich Reckhaus, den Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens, ist das eine moralische Frage. „Mit dieser Kampagne kämpfe ich für ein neues Verständnis im Umgang mit Insekten“, sagte Reckhaus der taz.
Diese seien für die Umwelt von unschätzbarem Wert – gleichzeitig sei zu beobachten, wie das Insektensterben immer dramatischere Ausmaße annimmt. „Deshalb setzen wir uns für eine reduzierte und bewusstere Insektenbekämpfung ein“, sagt Reckhaus. „Mit dem Warnhinweis wollen wir unsere Kunden für die Problematik sensibilisieren.“
Reckhaus, der für sein Engagement für den Insektenschutz zahlreiche Preise erhielt, führte bereits zuvor das sogenannte „Insect Respect“-Siegel ein. Es verspricht, dass die entsprechenden Insektizide „bekämpfungsneutral“ sind. Das heißt: Für jeden Sechsbeiner, der durch das Mittel zu Tode kommt, wird an anderer Stelle Lebensraum für neue Insekten geschaffen; etwa indem BiologInnen des Unternehmens Flachdächer begrünen und mit Totholz versehen.
Neuer Lebensraum für Insekten
Dazu errechnen Reckhaus’ MitarbeiterInnen, wie viel Biomasse an Insekten mit jedem ihrer Produkte vernichtet wird und wie viele Insekten pro Quadratmeter erschaffenem Lebensraum ein neues Habitat finden. So soll der durch seine Biozide angerichtete Schaden kompensiert werden.
Die künstlichen Habitate allein reichen jedoch nicht, meint Reckhaus. „Wir wünschen uns, dass grundsätzlich weniger unserer Mittel eingesetzt werden. Die Kompensation für getötete Insekten kann immer nur die letzte Lösung sein – unser Insektenschutz fängt früher an.“
Zum einen versieht sein Unternehmen die entsprechenden Gifte deshalb mit Informationen, wie man Insektenbefall von vornherein verhindern kann. Zum anderen versucht Reckhaus, giftige Breitbandprodukte zu vermeiden, die alle Insekten töten, die mit ihnen in Kontakt kommen.
So locken einige seiner Produkte mit Sexualhormonen tatsächlich nur jene Tiere in die Klebefallen, die auch wirklich bekämpft werden sollen. Breitbandprodukte wie Raumsprays, bei denen noch nicht auf giftige Insektizide verzichtet werden kann, erhalten das Siegel nicht. Den Warnhinweis, dass das Biozid wertvolle Insekten töte, tragen hingegen alle Produkte.
Jürgen Gross, Insektenforscher
Zuspruch erhält Reckhaus auch aus dem Bereich der Wissenschaft. „Viele der Insekten, die im Haushalt in Fliegenfallen oder anderen Vorrichtungen verenden, wären zwei Minuten später zum Fenster wieder rausgeflogen“, sagt Jürgen Gross, Präsident der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie. Für eine reduzierte und gezielte Insektenbekämpfung zu werben sei daher richtig und wichtig.
„Der häusliche Bereich, in dem die Produkte von Reckhaus angewendet werden, mag für das Insektensterben insgesamt von marginaler Bedeutung sein. Allerdings schafft Reckhaus ein Bewusstsein bei den Verbrauchern, das über ihr Konsumverhalten auf andere Hersteller rückstrahlen kann“, sagt Gross weiter. Viele Hersteller könnten sich daran ein Beispiel nehmen. „Egal ob im häuslichen Bereich, in der Landwirtschaft oder der Kleingärtnerei – überall haben Schädlingsbekämpfungsmittel negative Folgen für Insekten.“
Fraglich bleibt, wie es wirtschaftlich weitergehen kann. Der Umsatz sei in den letzten Jahren „ganz schön zusammengefallen“, gesteht Reckhaus. „Rote Zahlen schreiben wir allerdings noch nicht.“ Der Unternehmer zeigt sich zuversichtlich, dass sich das risikoreiche Engagement in ein paar Jahren lohnen werde.
Zudem will sich Reckhaus zunehmend darauf spezialisieren, ungenutzte Flächen in insektenfreundliche Lebensräume umzuwandeln; mit Ritter Sport und Heidelberg Zement sei man bereits Kooperationen eingegangen. „Wir würden das Geschäft mit den Bioziden gern reduzieren und unsere Mitarbeiter – langfristig – zu Landschaftsgärtnern umschulen.“
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