Wissenschaftlerin über Insektenzählung: „Machen Sie ein Event daraus!“

Was hat es mit dem Insektensterben auf sich? BürgerInnen sind aufgerufen, sich an der Forschung zu beteiligen. Wie das geht, erklärt Anett Richter.

Ein Schmetterling hockt auf einer Sonnenblume

Sie brauchen nur Muße und irgendwas mit Natur. Dann zählen Sie, was kreucht und fleucht Foto: dpa

taz: Der Umweltverband Nabu ruft dazu auf, Käfer, Schmetterlinge, Libellen, Wanzen und so fort zu zählen. Kann jeder Insektenforscher werden?

Anett Richter: Auf alle Fälle – Insekten beobachten und zählen kann jeder. Sie müssen nur gerne draußen sein. Suchen Sie sich an einem möglichst sonnig, windstillen Tag einen schönen Platz, von dem Sie einen guten Blick in die Natur oder den eigenen Garten haben. Und dann notieren Sie die Exemplare, die Sie innerhalb einer Stunde im Umkreis von zehn Metern entdecken. Sie können auch in Blumentöpfen, an Bäumen oder unter Steinen nachgucken.

In Deutschland gibt es 33.000 Insektenarten. Wer kann die schon unterscheiden?

Das ist gar nicht nötig. Sie können natürlich alles zählen, was krabbelt und sechs Beine hat. Sie dürfen sich aber auch auf leicht zu erkennende Arten konzentrieren, im Juni etwa auf den Admiralsschmetterling.

Wie sieht der aus?

Die Flügel sind dunkelbraun, an den Rändern hat er orange und weiße Zeichnungen. Er sitzt gerne auf violetten Blüten. Unter www.insektensommer.de kann man ihn sich im Vorfeld angucken. Da sehen Sie dann auch das Tagpfauenauge, den Asiatischen Marienkäfer, die Hainschwebfliege, die Steinhummel, die Lederwanze, die Blutzikade und die Gemeine Florfliege – bei denen vertut man sich eigentlich nicht.

Und wenn doch – wie werden Fehler aufgedeckt?

Selbst wenn sich jemand mal verzählt, statt der fünf umherfliegenden nur vier Admirale notiert, ist das nicht schlimm. Das geht in der Vielzahl der Daten unter. Außerdem geht es um das große Bild. Insekten bestäuben Obstbäume und Gemüsepflanzen, sie zersetzen Aas, Kot oder Totholz. Und die Mücke und viele andere sind wichtige Nahrungsquelle etwa für Vögel. Aber sie schwinden. Die Frage ist darum zunächst, wo bestimmte Arten besonders oft auftauchen: In der Stadt? Im Umland? Daraus lassen sich dann auch Empfehlungen ableiten. Reicht es beispielsweise, wenn Gärten ökologischer gestaltet werden oder was muss sich politisch ändern, damit es Insekten besser geht?

Ist das nicht Aufgabe von Wissenschaftlern?

Wenn viele Bürgerinnen und Bürger mitmachen, kommt ein großer Datenschatz zusammen. Den schaffen Wissenschaftler nicht alleine. Aber sie können sich dann zum Beispiel um die ganz exakten Zahlen an bestimmten Orten kümmern.

Insekten zählen, Vögel beobachten, Mücken fangen: Was sollen die Bürger denn noch alles machen?

Das Beobachten und Mitteilen von Fundorten gibt es ja schon sehr lange. Unser Wissen zum Vorkommen von Insekten in Deutschland ist zu mehr als 80 Prozent von Ehrenamtlichen geschaffen worden. Das sind allerdings oft Experten. Neu ist nur, dass jetzt auch Laien aufgerufen werden mitzuhelfen. Das ist toll. Und wichtig. Man forscht an der großen Frage mit, wie dramatisch das Artensterben ist – und wo es aufgehalten werden kann. Der eigene Beitrag findet sich am Ende auch im Internet wieder. Denn die gesammelten Daten werden ausgewertet und in Karten eingetragen, die sich im Netz abrufen lassen.

42, ist Expertin für Bürgerforschung, sogenannte Citizen-Science-Projekte, am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ. Sie arbeitet zudem am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung, iDiv. Beide Institute sind in Leipzig angesiedelt. Richter hat einen Doktor in der Biodiversitätsforschung gemacht.

Wer hat die naturkundliche Mitmachaktion erfunden?

Die Idee kommt aus Nordamerika. Der Vogelkundler Frank Chapman rief im Jahr 1900 erstmals zu einem „Christmas Bird Count“ auf. Bis dahin wetteiferten Jagdgesellschaften zu Weihnachten, wer die meisten Vögel und anderen Tiere erlegt. Chapman schlug vor, statt mit dem Gewehr mit Fernglas und Notizblock loszuziehen.

Was nehme ich mit zur Beobachtung?

Sie brauchen nicht viel. Wer will, packt ein Bestimmungsbuch und eine Lupe ein. Am besten drucken Sie sich die Zählhilfe bei den Basisinfos unter www.insektensommer.de aus. Sie können sich auch die Nabu-App Insektenwelt runterladen. Und vielleicht nehmen Sie auch ihre Familie mit oder Nachbarn, Freunde und machen ein Event daraus. Insekten zählen macht Spaß, man lernt die Natur anders kennen und schätzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.