Insektenköchin im Gespräch: „Die erste Heuschrecke war schwierig“
Nicole Sartirani kocht mit Insekten – und kämpft dafür, dass diese weniger harten lebensmittelrechtlichen Beschränkungen als bisher unterworfen werden.
Frau Sartirani, wann haben Sie zum ersten Mal Insekten gegessen?
Mein Vater hat mir erzählt, ich hätte als Kind im Thailandurlaub Heuschrecken und Skorpione gegessen, aber daran habe ich keine Erinnerung. Bewusst habe ich das erste Mal vor zwei Jahren Insekten gegessen.
Wie kam es dazu?
Ich habe im Service in einem Restaurant gearbeitet. Zusammen mit dem Koch haben wir überlegt, was man Neues machen könnte. Und mein Vater, der übrigens als Kammerjäger arbeitete, hat mich an unsere Urlaube in Thailand erinnert und gesagt: Man kann Insekten auch essen, probiert das doch mal aus. Also haben wir uns Heuschrecken, Mehlwürmer und Grillen bestellt und experimentiert.
Und, wie war es?
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Nicole Sartirani
Die erste Heuschrecke war schwierig. Die Gedanken sind stark, die Bilder, die man im Kopf hat. Ich habe mich immer vor allem vor glitschigen Sachen geekelt. Ich konnte Würmer nicht einmal anschauen. Aber die Insekten waren ja getrocknet, gar nicht glitschig. Eine Überwindung war es natürlich trotzdem. Wir haben gewettet, wer sich traut, die Heuschrecke zu essen. Nach dem ersten Bissen war die Angst schon weg. Denn es ist gar nicht eklig, sondern crunchy, ein bisschen mehlig vielleicht.
Nach was schmecken Insekten?
Ein wenig nussig. Die Heuschrecken schmecken tatsächlich nach Heu.
Also eher fade?
Zugegeben, Insekten schmecken nicht sehr intensiv. Aber fade natürlich nicht.
Die Insektenköchin Nicole Sartirani ist 1983 auf dem Land in der Nähe von Bergamo geboren. Die Familie hatte eine kleine Landwirtschaft, eine Zeitlang auch einen Weinberg. Später studierte Sartirani Kommunikation und Sprachen in Rom, sie beherrscht fünf Sprachen. Seit 1999 kam sie immer wieder nach Berlin, seit sechs Jahren lebt sie hier und arbeitete in verschiedenen Restaurants im Service. Seit zwei Jahren kocht sie ernsthaft mit Insekten und präsentiert ihre Kreationen z. B. bei „Streetfood auf Achse“ in der Kulturbrauerei oder beim „Street Food Thursday“ in der Markthalle Neun. Dort ist sie jeden zweiten Donnerstag, immer in ungeraden Kalenderwochen.
Die Schauspielerin Sartirani versuchte sich schon in Italien als Schauspielerin. Ihren größten Auftritt in Berlin hatte sie bislang in „Bloody, medium oder durch“. In dem Doku-Theaterstück, das 2016 im Ballhaus Naunynstraße Premiere hatte und bis heute im Repertoire ist, erzählen Migranten, die in der Berliner Gastronomie arbeiten, unter der Regie von Anestis Azas ihre Geschichte: die Japanerin Kaoru Iriyama, der Grieche Michail Fotopoulos, der Syrer Nizar Basal und eben Nicole Sartirani.
Die Insekten Zwei Milliarden Menschen weltweit essen zumindest gelegentlich Insekten. Nur bei uns gelten die Proteinbomben als eklig. Das will Sartirani ändern mit ihrer Initiative „Mikrokosmos“. Mit der Website informiert sie vor allem über die Vorteile der Ernährung mit Insekten. Sie gibt Workshops, organisiert Events und schreibt den Blog Mikromagazine. www.mikrokosmosberlin.com.
Kochen Sie auch privat mit Insekten?
Nicht jeden Tag, aber schon ein paar Mal pro Woche. Ich sehe sie als eine Alternative zu Fleisch. Aber ich bin die erste, die zugibt, dass Fisch und Fleisch leckerer sind. Ein Steak oder eine Grillen-Boulette – das ist kein Vergleich.
Was bringt ausgerechnet eine Italienerin dazu, die so stolz sind auf ihre Küche, sich mit solch nicht allzu schmackhaften Zutaten abzugeben?
Man braucht Kreativität. Man kann kulinarisch schon etwas aus Insekten machen, sie frittieren, rösten, karamellisieren. Ich habe Sushi mit Insekten gemacht. Aber tatsächlich hatte ich zuerst denselben Gedanken: Warum sollte sich ein Land mit so einer reichen Esskultur für Insekten interessieren?
Und warum?
Gerade wegen dieser Kultur verstehen die Italiener sofort, wenn etwas nützlich sein kann. In Italien wird schon viel mit Insekten experimentiert: Es gibt Leute, die haben vor Weihnachten den ersten Panettone aus Insektenmehl gemacht. Pasta und Pizza aus Insektenmehl, Tiramisu und Kuchen – wird alles ausprobiert. Offiziell gibt es diese Sachen – wie in Deutschland – zwar noch nicht zu kaufen, aber es gibt Menschen, die daran arbeiten. In einer Pizzabäckerschule gab es einen Innovationswettbewerb, den hat vor ein paar Jahren jemand gewonnen mit Pizza aus Grillenmehl.
Aber hier in Berlin scheinen Sie mit dieser Leidenschaft ziemlich allein zu sein.
Ja, wenn es um die Gastronomie geht. Es gibt Leute, die machen Schoko- und Früchteriegel mit Insekten, und in Potsdam eine kleine Firma, zwei Frauen, die Insekten züchten und Tierfutter herstellen. Aber mehr als diese beiden Initiativen und meine gibt es aktuell nicht in Berlin.
Was muss ich beachten, wenn ich mit Insekten koche?
Eigentlich nicht viel. Man sollte wissen, dass Insekten Probleme hervorrufen können bei Menschen, die gegen Krustentiere allergisch sind. Und obwohl die Insekten gefriergetrocknet sind, sollte man sie lieber nicht in Flüssigkeiten einlegen oder zu lange dämpfen, weil ihre Konsistenz dann zu weich wird. Bei den Heuschrecken muss man auf die Beine und die Flügel achten. Besonders für Kinder ist es besser, wenn sie entfernt sind, sonst könnten sie sich verletzen. Aber ansonsten kann man mit Insekten genauso kochen wie man mit Kernen kocht: geröstet, frittiert oder kandiert auf die Lieblingsgerichte.
Auch mit Fisch oder Fleisch?
Damit sollte man vielleicht aufpassen, um nicht zu viele Proteine zu sich zu nehmen. Und man muss wissen, dass man gewerblich nur gefriergetrocknete Insekten kaufen und verarbeiten kann. Und auch nur vier verschiedene Sorten: Grillen, Heuschrecken, Mehlwürmer und Buffalowürmer, also die Larven des Mehlkäfers und des Getreideschimmelkäfers.
Nur diese vier erlaubt das Lebensmittelrecht?
Wirklich erlaubt ist das alles nicht, sondern eine große Grauzone. Diese vier werden toleriert über die Novel-Food-Verordnung, die die Hygieneparameter regelt. Offiziell sind Handel und Verzehr von Insekten in der EU immer noch illegal. Aber er wird in Deutschland in der Praxis toleriert, wenn die Insekten im Ganzen verwendet werden und man sie erkennen kann. In Frankreich, Holland und Belgien ist schon mehr möglich. Dort dürfen bestimmte Insekten offiziell gezüchtet und verkauft werden. Deswegen beziehen auch wir unsere Produkte von dort.
Ist es nicht seltsam, dass Insekten so streng reguliert sind, während man problemlos Fisch kaufen kann, der vom Aussterben bedroht ist?
Doch, das ist total verrückt. Deshalb kämpfe ich auch für die Legalisierung, wegen der Nachhaltigkeit. Prinzipiell finde ich es richtig, dass es ein europäisches Lebensmittelrecht gibt und dass Qualitäts- und Gesundheitsstandards gesetzt und überprüft werden. Aber das Beispiel Sushi macht mir Hoffnung: Auch da gab es anfangs große rechtliche Bedenken und Schwierigkeiten, aber die Nachfrage war dermaßen hoch, dass die abgebaut wurden. Und roher Fisch ist gesundheitlich viel gefährlicher als Insekten.
Wenn es möglich wäre, würden Sie auch andere Insekten verarbeiten?
Ja, unbedingt, eine größere Auswahl wäre natürlich toll. Schließlich werden in Asien, Lateinamerika und Afrika traditionell alle möglichen Insekten gegessen. Ich war gerade in Kambodscha und habe da bei ein paar Köchen Kurse gemacht. Da haben wir mit Waterbugs gekocht.
Was ist das?
Auf Deutsch heißen sie Riesenwanzen. Sie schmecken toll nach Zitrone. Die öffnet man wie eine Garnele, den Panzer isst man nicht mit. Die habe ich auch schon mal im Thaipark gesehen – keine Ahnung, wo die die her bekommen. Ich habe auch Spinnen und Skorpione probiert, aber die würde ich nicht in Europa anbieten.
Warum nicht?
Weil die ein tropisches Klima brauchen, hier bei uns nicht gut zu züchten sind und am besten frisch schmecken. Sehr lecker und das teuerste in Asien sind Bamboo Worms. Die sind ungefähr wie Mehlwürmer, aber länger und haben eine andere Konsistenz. Sie werden frittiert und sind so etwas wie die Pommes Frites von Asien.
Ihr Favorit?
Mein Favorit sind die Eier der roten Ameise: Die kennt man auch in Mexiko, aber sie sind schwer zu finden und deshalb eine seltene und teure Delikatesse. Es gibt sowieso große Unterschiede zwischen Asien und Lateinamerika: In Asien sind Insekten etwas, das in der Vergangenheit eher die Armen gegessen haben. In Lateinamerika dagegen werden 500 Insektenarten gegessen, da gilt das als Essen der Götter. Und dann natürlich, eine echte Delikatesse: der Drohnen-Kaviar von der Biene. Erst einmal wäre es aber schon großartig, wenn wir frische Insekten verarbeiten dürften.
Macht das einen großen Unterschied?
Ja, einen gewaltigen. Beim Trocknen geht ein großer Teil des Geschmacks verloren, und man hat in der Küche viel mehr Möglichkeiten, mit der Konsistenz zu arbeiten. Wir dürfen ja noch nicht einmal mit weiterverarbeiteten Insekten arbeiten, also mit Insektenmehl. Wenn wir Mehl benutzen dürften, dann würden die Möglichkeiten explodieren. Die Burger-Patties aus Grillen, die ich hier im Gefrierschrank habe, die darf ich nicht verkaufen.
Ihr Traum wäre es also, dass in der Feinkostabteilung neben dem Becken mit den Fischen ein Terrarium mit frischen Riesenwanzen steht?
Nein, so wird die Zukunft nicht aussehen, weil man die allermeisten Insekten sofort verarbeiten sollte, also kochen, einfrieren oder gefriertrocknen. Gut, Grillen kann man ein paar Tage hungern lassen, bis sie sauber sind, und dann frittieren. Also wird es vermutlich keine lebenden Insekten zu kaufen geben, jedenfalls nicht bei uns. Aber ich glaube, wir werden in nicht allzu ferner Zukunft wie in Asien im Supermarkt eingefrorene Insekten kaufen können.
Insekten werden traditionell in Asien und Lateinamerika verarbeitet und gegessen. Sie orientieren sich beim Kochen aber gar nicht an diesen Küchen. Warum?
Ich glaube, der einzige Weg, den Europäern die Insekten nahe zu bringen, ist es, das Kochen mit ihnen in der europäischen Küche zu etablieren. Und wenn man mal in Asien auf der Straße Insekten probiert hat, dann sind die meist totfrittiert und überwürzt und schmecken eigentlich nicht gut – vor allem nicht mehr nach sich selbst. Ich dagegen versuche, den typischen Geschmack herauszuarbeiten. Das ist schon schwierig, weil der Geschmack viel feiner ist. Ich habe von Anfang an versucht, die Insekten in meine italienische Küche einzubauen. – Das ergab jedes Mal etwas Neues, Aufregendes.
Warum ist es Ihnen so wichtig, den Deutschen das Insektenessen beizubringen?
Ich finde das wichtig: Es geht diesem Planeten nicht gut, und es geht den Menschen nicht gut. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass wir zu viel Fleisch essen – und viel zu viel schlechtes Fleisch. Je größer die Nachfrage, desto schlechter werden die Tiere gehalten. Aber der Mensch braucht die Proteine. Und Insekten beinhalten so viele Mineralstoffe und Proteine wie kaum ein anderes Lebensmittel: Eisen, Omega 3, 6 und 12. Zink, das ist sonst super selten in Lebensmitteln. Ich habe jetzt herausgefunden, dass in Esspapier für Kinder immer ein kleiner Prozentsatz Insektenpulver ist, weil Kinder Zink brauchen.
Dann wären Insekten natürlich auch eine ideale Alternative für Vegetarier. Aber dürfen die das?
Das ist, finde ich, eine persönliche Entscheidung. Ich kenne Vegetarier, die Insekten essen. Das sind meist Ethik-Vegetarier, die aus moralischen oder politischen Gründen kein Fleisch mehr essen wollen. Es gibt auch Veganer, die Insekten essen. Weil sie sonst keine Chance haben, an Vitamine wie B12 zu kommen – außer mit Präparaten aus der Apotheke, die dann doch wieder aus Tieren hergestellt werden. Viele Ärzte empfehlen Veganern, ihre Ernährung mit Insekten zu ergänzen. Aber es bleibt eine persönliche Entscheidung. Ich finde, Insekten sind auch Tiere. Aber es gibt auch die Theorie, dass Insekten kein so entwickeltes Nervensystem wie andere Tiere haben und deshalb keinen Schmerz spüren können.
Sind Insekten wirklich die Zukunft der Welternährung?
Zumindest ein Teil davon, wenn man der FOA, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, glaubt. Die haben schon 2013 in einer Broschüre prophezeit, dass Insekten eine Hauptrolle in der Welternährung der Zukunft spielen werden.
Und, werden sie das?
Um ehrlich zu sein, tue ich mich auch schwer mit der Vorstellung, dass wir Menschen uns eines Tages nur noch von Insekten und im Labor entwickelten Lebensmitteln ernähren werden. Denn das, fürchte ich, werden die Alternativen sein: Proteine aus Insekten oder Proteine aus dem Labor. Wenn ich die Wahl habe, dann entscheide ich mich doch lieber für die Natur, also für die Insekten, oder? Eine andere Möglichkeit wären wohl Algen, aber soviel ich weiß, ist die Aufzucht von Algen sehr teuer und wasserintensiv. Insekten sind dagegen einfach zu züchten, in Asien machen das viele in der Garage. Ich züchte für den Eigenbedarf in meinem Wohnzimmer.
Womit füttern Sie Ihre Insekten?
Mehl, Gemüse, Haferflocken, Plastik.
Plastik?
Ja, ich experimentiere damit hin und wieder. Denn Insekten können bestimmtes Plastik kompostieren. Wissenschaftler versuchen gerade herauszufinden, welche Sorten genau. Es scheint so, dass Insekten Kunststoffe auf Ölbasis verarbeiten können.
Sie machen ja auch Kurse, in denen Sie nicht nur das Kochen mit Insekten lehren, sondern auch die Aufzucht zu Hause. Gibt es viele, die sich daran versuchen?
Nein, die meisten sind vor allem am Kochen interessiert. Aber einige wenige schon. Die Haltung zu Hause, vor allem die von Heuschrecken und Grillen, ist aber auch ziemlich kompliziert, man muss eine gewisse Temperatur halten. Deshalb empfehle ich Mehlwürmer, die sind genügsam und leicht zu halten.
Wie schwierig ist es in Ihren Kursen, die Menschen zu überzeugen, ihren Ekel zu überwinden?
Das ist nicht einfach, außer bei Kindern. Die sind unglaublich aufgeschlossen und neugierig. Wenn man denen sagt: Das kannst du essen, dann sind sie überrascht, probieren und sind ganz stolz: Ich habe eine Heuschrecke gegessen! Ich schreibe gerade an einem Theaterstück über Insekten, das ich in Schulen aufführen will.
Sind Sie eine Missionarin?
Nein, ich bin keine Missionarin. Vielleicht bin ich eine Pionierin der Entomophagie.
Entomo …?
Entomophagie ist die Wissenschaft von allem, was mit dem Verzehr von Insekten zusammenhängt. Ich finde dieses Thema wichtig und habe ein gewisses Talent für Kommunikation, deshalb mache ich die Streetfood-Stände, die Workshops, manchmal auch private Abendessen und ein wenig Catering. Ich verdiene zwar nicht wirklich etwas damit. Aber das ist ja auch nicht meine einzige Beschäftigung, ich arbeite immer noch in der Gastronomie und seit 15 Jahren als Schauspielerin.
Würden Sie ein Insekten-Restaurant eröffnen wollen?
Leider geht das wegen der Gesetze noch nicht. Wir sind einfach zu eingeschränkt bei dem, was wir verarbeiten dürfen. Aber das wäre ein Traum. Ich könnte mir auch vorstellen, in den Handel einzusteigen, aber auch da steht das Gesetz davor. Das ist alles Zukunftsmusik, im Moment ist meine Rolle vor allem die der Aufklärerin, um langsam eine Nachfrage aufzubauen.
Und, kommt die?
Ich merke das bei den Streetfood-Donnerstagen in der Markthalle: Manche schleichen erst ein paar Mal um den Stand herum, bevor sie probieren. Aber wenn sie probiert haben, dann kommen sie oft wieder und wollen getrocknete Insekten kaufen, um damit zu Hause zu kochen. In der Schweiz kann man jetzt Lebensmittel mit Insekten im Supermarkt kaufen. Aber es ist nicht so, dass der Verkauf explodiert wäre, die Leute stehen nicht Schlange, um Insekten zu essen. Das ist meine Aufgabe, das zu ändern.
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