: Warum dürfen Ärzte rauchen?
Zum zehnten Mal lädt das Festival „No Limits“ für inklusive Theatergruppen und Musikprojekte nach Berlin ein
Von Katrin Bettina Müller
Die Teller klappern leise. Ein Trampolin ist mit einem Tischtuch gedeckt und darauf arrangieren sieben Schauspieler:innen das weiße Porzellan stets neu, bauen gefährlich schwankende Türme, wirbeln und torkeln damit um den Tisch wie betrunkene Kellner mit gepflegtem Ungeschick. Bald lassen sie die Teller auf dem Boden kreiseln: Der Sturz, das Zerbrechen des Porzellans steht jeden Moment bevor. Aber das Kaputtgehen bleibt aus, die choreografischen Anordnungen kehren sich um in den Schutz des Zerbrechlichen. Leise werden schlafende Körper mit Tellern belegt, Hände und Haare auf Tellern geordnet.
„Leap, into the unknown“ ist eine Konzert-Performance des Thikwa-Theaters und ein berührendes Spiel mit dem Zarten und der Zerbrechlichkeit. Träume und Ängste werden erzählt, – Angst vor Spinnen, vor dem Tod der Eltern, vor den Blicken der anderen -, und aufgefangen in den Bildern und gemeinsamen Aktionen. Scherben kratzen in der Musik mit, andere Schauspieler beatboxen, eine Band entsteht. Das Trampolin kommt später tatsächlich in Sprüngen zum Einsatz, jede und jeder steigt in die Höhe, fliegt einen Augenblick. Bilder vom Zirkus liegen ganz nah in dem Stück, das die Choreografin Camilla Milena Fehér mit den Performern des Thikwa Theaters erarbeitet hat.
Das Thikwa Theater in Kreuzberg und das Ramba Zamba in der Kulturbrauerei arbeiten in Berlin seit vielen Jahren mit Darstellern mit den unterschiedlichsten Behinderungen. Beide Theater zeigen eigene Stücke und sind Gastgeber für weitere Gruppen auf dem Disabilty & Performing Arts Festival No Limits, das noch bis zum 19. November zum zehnten Mal in Berlin stattfindet. Auch das Hebbel Theater und das Ballhaus Ost sind mit dabei. Seit 2005, als Andreas Meder, der Leiter des Festivals, „No Limits“ das erste Mal in der Kulturbrauerei bei Ramba Zamba und in der Volksbühne organisierte, hat sich einiges geändert.
Einerseits waren damals die Räume in der Kulturbrauerei noch günstiger zu mieten und die eingeladenen Gruppen konnten mehrere Tage zu Workshops bleiben, dafür fehlt jetzt das Geld, erzählt Antje Grabenhorst, die seit Anfang an die Öffentlichkeitsarbeit für No Limits macht. Andererseits sind die Grenzen zwischen den Theaterformen fließender geworden und das Bewusstsein für die Behinderung der „behindert“ genannten ist gewachsen. Performer vom Thikwa und Ramba Zamba spielen etwa auch am Berliner Ensemble oder im Deutschen Theater mit, Häuser wie das HAU arbeiten mehr an der Barriere-Freiheit für Zuschauer:innen und Künstler:innen. Und dieses Jahr wurde das australische “Back to Back Theatre“, das in Berlin unter anderem 2011 bei No Limits zu Gast war, mit dem Ibsen Award ausgezeichnet.
Oft zu Gast in Berlin ist das Theater Hora aus Zürich, das am Dienstag und Mittwoch im Ballhaus Ost zusammen mit dem Theaterkollektiv vorschlag:hammer das lustige Stück „Das kranke Haus“ zeigen wird. Mit Witz und Leidenschaft zelebrieren die Darsteller:innen Szenen aus Arzt-TV-Serien, die mit rührseliger Musik unterlegt von schweren Entscheidungen, von Abschieden und viel von Liebe erzählen.
Die gelungen Parodien der Hora-Spieler, über die sie sich selbst gelegentlich vor Lachen ausschütten, stoßen auf sachliche Erzählungen und Erfahrungen aus Krankenhäusern. Vom Stress der Ärzte, von den müden Pflegern und den müden Farben an den Wänden ist die Erinnerung an das reale kranke Haus geprägt.
Fragen werden gestellt: Warum dürfen Patienten nicht rauchen? Warum dürfen Ärtze rauchen? Warum laden Ärzte die Pfleger nicht ein? Die Pfleger laden aber schon die Ärzte ein. So entsteht ein Bild von den wunden Punkten in den Alltagshierarchien des Krankenhauses.
Zum Ensemble des Hora gehört die Schauspielerin Julia Häusermann, die mit der Berliner Choreografin Simone Aughterlony und der Performerin Nele Jahnke „No Gambling“ entwickelt hat, das zur Eröffnung von No Limits am letzten Mittwoch im HAU lief. Thibault Vancraenenbroeck hat für die Bühne ein Mobile gebaut aus Leitern, Federn, einem Fisch und Neonlicht, das unablässig kreisend der Performance eine nimmermüde Unruhe vorgab, ein ständiges Umarrangieren der Requisiten, von Kisten und Stoffbahnen, von Warnleuchten und Möbeln: Als ob die Arbeit nie ein Ende nähme. Und mittendrin schlägt Julia Häusermann einen Tisch auf, um mit Würfeln in die Zukunft der Zuschauerinnen zu schauen – meistens erschreckend –, sich auf einem Laufsteg zu präsentieren oder verführerisch wie in einer Striptease-Show zu tanzen.
So wird „No Gambling“ zu einem Stück über das Spielen selbst, über die Lust an der Selbstermächtigung, die Attraktivität der Verwandlung und den Möglichkeitsraum des Als-ob.
No Limits, bis 19. November, Programm unter www.no-limits-festival.de
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