Nacht der Liebe

Das inklusive Theater Hora aus Zürich und das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen bringen „Tristan und Isolde“ in den Sophiensälen auf die Bühne – stark sind das kollektive Agieren, das energetische Wuseln der Darsteller

Das Hora-Ensemble mit den Sängern Vera Maria Kremers und Armands Silins am Zürichsee Foto: M.Buzhor

Von Katrin Bettina Müller

Ein Wal, sehr groß und grau. Er muss gerettet werden. Er klemmt in eine Ecke zwischen Bühne und Zuschauer-Tribüne in den Sophiensälen. Schauspieler und Sänger stürzen auf ihn zu, ziehen ihn in die Bühnenmitte, werfen feuchten Tücher über ihn. Ganz kleine Lappen klatscht ihm die große Sängerin Vera Maria Kremers auf den Leib, neben ihr wirken Gianni Blumer oder Julia Häusermann, die mit großen Tüchern besorgt hantieren, nur kindergroß.

Was groß und was klein ist, das wird gewitzt genutzt in der Inszenierung von „Tristan und Isolde“, die das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen zusammen mit dem Theater Hora aus Zürich inszeniert hat. Das Theater Hora arbeitet seit 1993 mit Darstellern, denen eine geistige Behinderung zertifiziert wurde; sie sind aber längst auch für ihre Professionalität bekannt. Ihr Anarchismus, das Moment der Störung und der Hemmnis werden in „Tristan und Isolde“ gegen den Hang zum Monumentalen in Stellung gebracht, der bei Wagner immer naheliegt.

Warum ein Wal auf die Bühne kommt? Weil in dessen Bauch am Ende alle verschwinden können, Tristans Todessehnsucht folgend, ein Zurückkriechen in den Mutterleib? Das ist ein schönes Bild für den Wunsch nach Auflösung und Aufgehen in einem größeren Ganzen. Oder weil die Oper auf einem Schiff spielt? Im Video sieht man die Schauspielmannschaft in großer Betrübnis in Booten über den Züricher See paddeln, den verletzten Tristan an Bord, den nur noch Isolde heilen kann. Später bringt er sie auf einem Schiff zu König Marke als Braut, obwohl er selbst sie liebt. Das Meer und die maritimen Metaphern sind nie weit. Oder weil die Schauspieler „die Nachrichten gesehen haben“, wie im Programmheft steht, und eine Mission mitbringen?

Alle spielen Isolde, und alle spielen Tristan. Auch Julia Häusermann ist Isolde im blauen Samtkleid und Tristan im Kettenhemd. Sie stirbt sehr berührend im Schoss eines Freundes, da achtet man auf jeden Seufzer. Die Handlung ist vielleicht nicht immer ganz klar, das geht bei Wagner eh schwer, aber der emotionale Kern der Konflikte in der Oper ist sehr wohl erkenntlich. Und obwohl die Musik nur in Auszügen für Klavier und Synthesizer gespielt wird, entfaltet sich das Ekstatische und Orgastische der Komposition äußerst deutlich und mit Lust am Expliziten im körperbetonten Spiel der Horas.

Vielleicht haben die Regisseurin Julia Lwowski und die Dramaturgin Maria Buzhor etwas zu viel gewollt, wenn sie auch noch Rezeptionsgeschichte von Wagner, seine Beliebtheit bei den Nazis sowie viel Dostojewski in die Inszenierung packen. Hakenkreuzwäsche wird gewaschen und den Zuschauern vor die Nase gehängt. Später kriecht Cosima Wagner aus der Waschmaschine. Schöner sind die Abweichungen, in denen das Hora-Ensemble sich plötzlich in Punk-Hymnen findet, die musikalisch aus Wagner kriechen, als hätten sie dort schon immer gewohnt und für Gesten der Selbstermächtigung Raum bieten.

Und kurz darauf kriecht Cosima Wagner aus der Waschmaschine

Vera Maria Kremers und Armands Silins unterstützen die Produktion als Sänger und bringen mit ihren schönen Stimmen die Höhepunkte der Wagneroper, ihr Herbeisingen einer Nacht der Liebe, die alle Regeln des vernünftigen und politischen Handelns außer Kraft setzt als Geschenk für das Hora-Ensemble. Dieses versinkt in Anbetung vor dieser Musik. Selten wird dem Wunsch nach Erhabenheit und dem Überschreiten aller Grenzen ins Maßlose so unerschrocken begegnet. Das Hauen und Stechen Musiktheaterkollektiv wurde 2012 in Berlin gegründet von den Opernregisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski. Ihre Koproduktion mit dem Theater Hora wurde von der Roten Fabrik Zürich und den Sophiensälen produziert, gefördert vom Hauptstadtkulturfonds und der Stadt Zürich. Der Berliner Premiere folgt eine in Zürich im Mai.

Was die beiden Ensembles aus „Tristan und Isolde“ gemacht haben, ist oft auch komisch. Eine gespenstische Gestalt, die sich später als der Pianist Roman Lemberg erweisen wird, hantiert anfangs wie besessen mit Kanistern, gefüllt mit verdächtiger blauer Flüssigkeit. „Enteiser“ oder „Blue Curacao“ steht darauf, das Publikum soll kosten und ist nicht ohne Grund skeptisch. Denn schließlich werden in Wagners Libretto Liebes- und Todestränke vertauscht.

Der Tod überhaupt, man liebt seine Darstellung mindestens so wie den Kuss, und für beides bietet die Vorlage viele Gelegenheiten. Als Tristan sich in das Schwert seines Gegners stürzt, lässt man ihn nicht alleine sterben. Das ganze Ensemble stellt sich an, um einer nach dem anderen den Stoß mit einem Bühnendolch zu empfangen und in den Arme eines Freundes zu sinken. Es ist ihr Agieren als Kollektiv, das energiegeladene Wuseln der Darsteller, ihre offenbare Lust am Gesehenwerden und Sichentäußern, die dem Abend seine Stärke gibt. Da darf es ruhig auch Wagner sein.

Wieder am 29. + 30. April, 19.30 Uhr, in den Sophiensälen