piwik no script img

Inklusives NetzwerkErfolgreich auf den Weg gebracht

Seit 2018 hat „Making a difference“ Per­for­me­r*in­nen mit Behinderungen auf ihrem Weg unterstützt. Die weitere Finanzierung des Projekts ist ungewiss.

Wie wird man Superheldin? Eine Szene aus Camilla Pölzers „I need a hero“ Foto: Mayra Wallraff

Glückshormone. Am Ende des Tanztheaterstücks für junges Publikum „I need a hero“ meint man, sie fliegen zu sehen. Da hat die junge Frau, die sich am Anfang aufgemacht hat, ihren Traum zu leben und Superheldin zu werden, ihren Traum verändert. Superheldinnen sind einsam, ihr Leben ist anstrengend, Pausen fehlen. Jetzt bildet sie ein Team mit ihrer früheren Lehrerin: Sie halten und berühren sich, stützen und tragen sich, lassen sich fallen und fangen sich. Zunehmend spielerischer wird ihr Duo.

Das tanzen Camilla Przystawski als Lehrerin der Schule „Mut und Muskeln“ und Camilla Pölzer als Suchende. Es ist das erste eigene Stück der jungen Schauspielerin Camilla Pölzer, in dem sie auch Regie führt und eine Geschichte für Tanztheater entwickelt hat.

Sich selbst als Tänzerin zu sehen, ist für sie mit einer leichten Körperbehinderung weder einfach noch selbstverständlich. Unterstützt hat sie dabei das Förderprogramm „Making a difference“ mit Workshops, mit Coachings, mit der Produktionsleiterin Agnieszka Habraschka, mit Hilfe bei der Antragstellung. Und mit einem Netzwerk von Künstler*innen, die in der Zusammenarbeit gelernt haben, den nötigen Raum zu lassen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse, zum Beispiel von Künst­le­r*in­nen mit Körper- oder Sehbehinderungen.

Vom Körper ausgehend erzählen

Mit dieser Hilfe, erzählt Camilla Pölzer, konnte sie lernen, wie man ein Team bildet. Weg vom Einzelkämpfertum. Wie sie ihren Körper einbringen kann und von ihm ausgehend erzählt. Die Reflexionen in ihrem Stück über Träume, die Suche nach Vorbildern, die Kritik an den Heldenfiguren, der Weg in die Gemeinschaft des Teams spiegeln dabei auch ihre Erfahrungen in diesem Prozess. 2022 hatte Camilla Pölzer eine Forschungsresidenz bei „Making a difference“, im Februar 2023 Premiere im Podewil, koproduziert von den Tanzkomplizen, einer der acht Partner von „Making a difference“. Demnächst folgt eine Wiederaufnahme.

„I need a hero“

Wiederaufnahme im Podewil, 29. 2. + 1. 3., 10 Uhr, 2. 3., 16 Uhr

Jedes Jahr seit der Gründung des Netzwerks 2018 hat „Making a difference“ ein*e Künst­le­r*in mit einer Residenz unterstützt. Was dieses Netzwerk von anderen inklusiven Projekten etwa wie den Theatern Thikwa und Rambazamba unterscheidet, ist nicht nur der Schwerpunkt auf Tanz und Performance, sondern dass sie die Künst­le­r*in­nen ermächtigen wollen, selbst in Leitungspositionen als Choreografin, Regisseurin, Autorin zu arbeiten, selbst zu bestimmen. Zudem haben sie viele Workshops gemacht.

An den bestehenden Ausbildungsstätten für Tanz, erzählt Anne Rieger, die das Netzwerk mit Noa Winter leitet, fehlt es oft an Sensibilität und Wissen, wie man mit tauben, seh- oder körperbehinderten Menschen umgeht. Dafür überhaupt Workshop-Leiter zu finden, war nicht einfach.

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Tanzpreis

Sophia Neises ist eine der über 40 Künstler*innen, die regelmäßig Workshops gegeben hat. In einem Interview mit Britta Bürger im Deutschlandfunk Kultur erzählt sie über die unterschiedlichen Wege, wie sehbehinderte Tänzer über Geräusche, Berührungen, Begleitungen Orientierung im Raum finden können und mit welchen Instrumenten einem sehbehinderten Publikum eine bessere Teilhabe ermöglicht wird. Sie wurde im letzten Herbst mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt für die Entwicklung dieser Interaktionsformen der Künst­le­r*in­nen untereinander und mit dem Publikum.

In ihrem Stück „With or without you“, entwickelt im Rahmen einer „Making a difference“-Residenz, geht sie Aspekten der Assistenz nach, die eben nicht nur eine instrumentelle Hilfeleistung ist, sondern auch viele emotionale, freundschaftliche, kreative und erotische Komponenten haben kann.

Auf Kampnagel Hamburg wird das Stück von Sophia Neises im Februar wieder aufgeführt. Es verdeutlicht ebenso wie die Stücke der Performerin Rita Mazza, wie die Künstlerinnen aus der eigenen Welterfahrung eigene Themen und Ästhetiken generieren. Ihre Geschichten sind weit weg von der Beschreibung der Behinderung als einem Mangel. Es geht nicht darum, Defizite auszugleichen. Sondern mit ihren Möglichkeiten etwas Neues zu erschließen.

Rita Mazza beschäftigt sich aus der Perspektive Tauber mit Performance und Tanz und verfolgte diese Spur bei „Making a difference“ 2020 mit einer Forschungsresidenz. Im letzten Mai brachte sie in den Uferstudios, eine der acht Berliner Organisationen, die Partner von „Making a difference“ sind, „Matters of rhythm“ heraus und ist mit diesem außerordentlichen Stück für die Tanzplattform Deutschland 2024 (eine Art Theatertreffen der Freien Tanzszene) nominiert.

Sound wird visuell

Ich habe das Stück nur in einer Aufzeichnung gesehen. Das Solo zeichnet sich durch die unterschiedlichsten Rhythmen aus, die ohne Musik, allein durch den Körper, klopfende Finger, Haltung des Kopfes, Schritte, das Spiel mit Licht und Schatten, mit Wechseln zwischen Anspannung und Loslassen gezeichnet werden. Sound wird visuell. Zudem ist Mazza eine sehr expressive Performerin, die aus der Gebärdensprache tänzerische Bewegungen entwickelt hat. „Making a difference“ ist also eine Erfolgsgeschichte. Aber das ist leider nur eine Seite der Geschichte. Denn die Förderung läuft aus.

Als das Netzwerk 2018 gegründet wurde, unterstützt vom Tanzpakt, kam die Finanzierung anteilig vom Land Berlin und vom Bund. Für fünf Jahre hatten sie eine knappe Million zur Verfügung. Die Tanzpakt-Projekte verstehen sich als Anschubfinanzierung, nach fünf Jahren soll das Land den Etat ganz übernehmen. Doch bisher hat der Berliner Senat dafür nur 70.000 Euro in Aussicht gestellt – noch nicht bestätigt – statt des veranschlagten Volumens von 220.000 Euro im Jahr. Die finanzielle Situation bleibe damit für das Jahr 2024 prekär und für das Jahr 2025 ungewiss, erläutert Anne Rieger. Bisher arbeitet „Making a difference“ mit vier Teilzeitstellen, drei davon würden dann wegfallen.

Zum Ende der bisherigen Förderung aber wird erst einmal gefeiert, was bisher erreicht wurde, am 20. Januar in den Uferstudios (Veranstaltung ist ausverkauft). Denn eins ist klar: Ihr Netzwerk hat einen deutlichen Unterschied gemacht. Er sollte ein Anfang sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen