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Inklusives Ensemble Minotaurus-KompanieVeränderung ist möglich

Die inklusive Hamburger Minotaurus-Kompanie probt derzeit das Theaterstück „Mr. Pilks Irrenhaus“. Es ist ihre bislang größte Produktion.

Professionelles Theater gibts nicht für lau: Szene von den Proben zu „Pilks Irrenhaus“ Foto: Minotaurus Kompanie

Hamburg taz | In einem lichtdurchfluteten Raum stehen drei miteinander verbundene und mit Tüchern bespannte Holzrahmen. Von hinten mit Scheinwerfern beleuchtet, wird darauf der Schatten von Cordelia Demant sichtbar. Anfangs groß und vage, dann zeichnet sich mit zunehmend klaren Linien ihre Silhouette ab. Sie reicht sich selbst die Hand, wird von einem riesigen Finger angetippt und durch den Raum gezogen.

„Gebt’s doch zu, ihr wollt sehen, wie ich ein Ei lege“, ruft René Halberstadt und verwandelt sich flügelschwenkend in den Umriss eines Huhns. Schon betritt Jascha T. die Bühne und wird im Dialog mit seiner fiktiven Ehefrau zum Schatten seiner selbst.

So lernen sich das Regie-Team und die 12 Dar­stel­le­r*in­nen der Minotauros-Kompanie (schau-)spielerisch besser kennen. Hier in Hamburg-Barmbek proben und arbeiten sie am Bühnenbild für das bisher größte Projekt des Ensembles: „Mr. Pilks Irrenhaus“ von Ken Campbell aus dem Jahr 1973.

Der als Einzelgänger bekannte britische Schauspieler und Regisseur lässt unter dem Pseudonym Henry Pilk scheinbar normale Alltagsszenen ins Surreale abgleiten, kombiniert unangepasstes und experimentelles Theater mit britischem Humor. Ein Junge, der sich in ein Huhn verwandelt und ein Ei legt oder die rohen Seiten ehelicher Partnerschaft: Die Lächerlichkeiten des Alltags und bizarren Facetten des Gewöhnlichen werden hinterfragt und bloßgestellt. Die Frage ist: Was ist eigentlich normal?

Selbstermächtigung und Empowerment

Diese Frage beschäftigt auch die Minotauren. Sie sind Teil des Arbeitsangebots „Schauspiel“ der Elbe-Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Mit 3.000 Beschäftigten sind sie einer der großen Anbieter von Arbeit außerhalb des regulären Arbeitsmarkts in Norddeutschland. Ziel des Unternehmens ist es, Menschen mit Behinderung in den Arbeitsalltag einzubinden und an reguläre Arbeitsstellen zu vermitteln. Kritisiert wird seit Langem die niedrige Bezahlung der Beschäftigten in solchen Arbeitsverhältnissen.

Teil des Werkstatt-Ensembles kann werden, wer aufgrund von psychischen, geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen vom allgemeinen Arbeitsmarkt abgelehnt wird. Anders sein und Sehgewohnheiten verändern, Selbstermächtigung und Empowerment durch künstlerische Selbstentfaltung, das sind die Motive der Kompanie.

Ins Leben gerufen wurde sie 1999, seit 2022 leitet Moritz Schilk die Kompanie. Mit ihm veränderte sich die Arbeitsweise: Schilk arbeitet mit dem „Theatre for Living“-Ansatz des Kanadiers David Diamond: eine Methode, die kein Stück vorgibt, sondern von den Problemen der jeweiligen Gemeinschaft ausgeht.

Über das Theater sollen die Per­for­me­r:in­nen ihre alltäglichen Erfahrungen darstellen, hinterfragen und gemeinsam neue Wege ausprobieren. Durch das Erleben und Mitgestalten auf der Bühne soll spürbar werden, dass Veränderung möglich ist. „Schauspiel macht uns nicht nur Spaß“, berichten die Minotaurus-Spre­che­r*in­nen Natalie Pieper und Reinhard Lagrain, „es hilft uns auch in unserer persönlichen Entwicklung.“

Aktuell bespielt das Ensemble mit „Revue à la carte“ private und öffentliche Bühnen. Das Programm aus Comedy, Chansons, Kabarett, literarischen Texten und Travestie kann individuell auf jeden Auftritt angepasst werden. Auch hier trifft Ernst auf Humor, der Irrwitz alltäglicher Momente zieht sich durch die ganze Arbeit – und findet sich auch im neuesten Projekt wieder.

Für die aktuelle Produktion des Stücks von Ken Campbell gab es aber auch pragmatische Gründe. Es besteht aus in sich geschlossenen Minidramen, die dem Ensemble viel Flexibilität ermöglichen und den Stress einer Produktion reduzieren. So müssen sie ihre Rollen nicht über die Dauer eines Stücks aufrechterhalten.

Aktuell proben die Minotauren in den Räumen der Wiese eG in Hamburg-Barmbek. Der ehemalige Industriekomplex beheimatet seit 2020 ein „Theatrales Produktions- und Bildungszentrum“, das Proberäume an darstellende Künst­le­r*in­nen vermietet. Von dort aus will das Ensemble eine professionelle Produktion auf die Beine stellen. Unterstützt wird es von zwei Regie-Personen, einem Dramaturgen, einer Kostümbildnerin und einer Produktionsassistentin.

Trotz fehlender Schauspielausbildung und ihren Einschränkungen wollen sie neue Erfahrungen sammeln und aus der Isolation des Werkstättenbetriebs treten. Einige Dar­stel­le­r*in­nen können sich vorstellen, zukünftig auch in einem Theater außerhalb der Sonderstrukturen der Werkstätten zu arbeiten.

Das Stück

„Pilks Irrenhaus“: 25. 9. bis 27. 9., 19 Uhr, Hochschule für Musik und Theater/Campus Barmbek, Wiesendamm 26, Hamburg; 24. 10. bis 26. 10., Hamburger Sprechwerk

Infos: www.minotauros-kompanie.de

Crowdfunding: www.startnext.com/minotauros-kompanie

Am 25. September wollen die Minotauren aber erst mal die Premiere von „Mr. Pilks Irrenhaus“ feiern. Sie wird auf der Bühne der Hochschule für Musik und Theater stattfinden, genauer: deren Außenstelle in der „Wiese“-Nachbarschaft. Die Hochschule stellt das technische Personal und kümmert sich um den Ticketverkauf. Nächstes Jahr will die Kompanie dann auf Tournee durch Norddeutschland gehen.

Der grundsätzliche Betrieb ist dabei vom Budget der Elbe-Werkstätten gedeckt. Für die anstehende Produktion braucht es nun aber Geld von außerhalb. 20.000 Euro konnte die Kompanie an Fördergeldern akquirieren, weitere 20.000 Euro sollen über eine Crowdfunding-Kampagne zusammenkommen, bislang sind etwas über 5.000 Euro zusammengekommen.

Mit weniger ließe sich die Professionalität der Produktion nicht gewährleisten. „Die Menschen sollen nicht kommen und sagen: Das war ja süß, das haben die ‚Behinderten‘ ja gut gemacht“, sagt Schilk. „Wir wollen ernst genommen werden.“ Wirkliche Inklusion bedeute auch ausreichend finanzielle Mittel.

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