Inklusion in der Ausbildung: „Viele fallen durchs Raster“
Das neue Ausbildungsjahr hat begonnen. Ein Gespräch über beeinträchtigte Menschen, unwissende Unternehmen und verschenkte Ressourcen.
taz: Gestern begann das neue Ausbildungsjahr. Wird in Bremen jetzt dank der Ausbildungsplatzgarantie alles gut, Herr Möller?
Torben Möller: Das will ich hoffen! Bremen tut relativ viel für jene, die keine Beeinträchtigungen haben. Wünschenswert wäre aber, dass Bremen sich stärker zu Menschen mit Lernbehinderungen, Körperbehinderungen oder psychischen Erkrankungen bekennen würde. Im Koalitionsvertrag taucht das Thema zwar auf, aber es wäre schön, wenn da jetzt auch Taten folgen würden.
Das Berufsbildungswerk (BBW) kümmert sich um rund 500 Menschen mit Beeinträchtigungen. Um wie viele können Sie sich nicht kümmern?
Wir lasten unsere Kapazitäten möglichst aus. Unser Problem ist: Wir ermöglichen jungen Menschen eine sehr gute Ausbildung, die auch für den ersten Arbeitsmarkt prädestiniert ist. Trotz der ewigen Proklamation, es herrsche Fachkräftemangel, fallen viele dieser Menschen aber durch das Raster.
Nimmt die Zahl derer, die Förderbedarfe haben, zu?
41, Steuer- und Finanzrechtler sowie Wirtschaftswissenschaftler, ist Geschäftsführer des Berufsbildungswerkes Bremen.
Tendenziell haben weniger Menschen körperliche Leiden, aber immer mehr, die psychisch beeinträchtigt sind. Das Verhältnis verschiebt sich.
Die Unternehmen klagen, es ist immer schwieriger, passende BewerberInnen zu finden. Zu Recht?
Ich habe das Gefühl, bei vielen Unternehmen herrscht eine gewisse Unwissenheit vor. Viele wissen gar nicht, dass wir auch in der in Bremen wichtigen Sparte der Logistik und Hafenwirtschaft ausbilden. Momentan bieten wir 33 Berufe an und versuchen, den bremischen Trend dabei mit aufzugreifen.
Schieben die Firmen die Inklusion an das BBW ab?
Das glaube ich nicht.
Gibt es zu viele schwache AbsolventInnen, wie gerne beklagt wird?
Das will ich nicht sagen. 2014 hat die Karl-Nix-Stiftung eine Studie gemacht, mit der Frage: Wer stellt die besten Azubis? Da kam das BBW mit auf Platz eins. Die Arbeitsqualität oder -güte hat nichts damit zu tun, dass jemand behindert ist. Es gibt viele Möglichkeiten, den Arbeitsplatz behindertengerecht anzupassen. Bremen bietet da viele Unterstützungsmöglichkeiten.
Es ist immer wieder davon die Rede, viele junge Menschen seien nicht „ausbildungsfähig“. Ist das ein Vorurteil, was gerade auf ihr Klientel zutrifft?
Da hat sich vieles zum Positiven geändert. Wenn jemand als ausbildungsunfähig galt, versuchen wir unser Bestes – und haben immer gute Erfolge erzielt. Im BBW können wir auf jeden Menschen einzeln eingehen, zudem wird die Ausbildung flankiert von sozialpädagogischen, psychologischen und medizinischen Fachdiensten. Meine Devise ist: Gib einem Menschen erst mal das richtige Handwerkszeug, lass ihn ein vernünftiges Zeugnis machen. Dann wird er sich durchsetzen. Manche brauchen einfach mehr Zeit, schaffen es erst in vier Jahren und nicht in drei – aber sie schaffen es.
Wie viele Ihrer AbsolventInnen landen auf dem 1. Arbeitsmarkt?
2014 hatten wir eine Vermittlungsquote von 60 Prozent.
Sind die Unternehmen bereit, Menschen mit Beeinträchtigungen zu akzeptieren?
Die Gespräche, die ich führe, zeigen, dass viele da aufgeschlossen sind, aber gar nicht wissen, was das alles bedeuten kann. Wer sucht, wird hier immer einen gut ausgebildeten Menschen finden. Aber man muss sich auch etwas drum kümmern. Wir haben hier ein unglaublich hohes Potenzial – da ist es einfach zu plakativ zu sagen, es gibt einen Fachkräftemangel, wenn man solche Ressourcen nicht nutzt. Das können wir uns auch gar nicht leisten.
Warum werden die Ressourcen nicht genutzt?
Ich denke: Zum größten Teil aus Unwissenheit, dass es sie gibt.
Bei Ihnen kann man etwa Tischler lernen – kein klassischer Mangelberuf. Haben die AbsolventInnen da überhaupt Chancen?
Ja! Man darf da jetzt nicht nur an den kleinen Zweimannbetrieb denken, sondern auch an Baumärkte oder andere große Spieler. Wir konnten unsere Absolventen immer gut unterbringen. Und wir haben Maschinen, die ein kleiner Betrieb nie haben wird.
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