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Inklusion in DeutschlandKulturkampf um Henri

Ein Junge mit Downsyndrom soll nach dem Willen seiner Eltern aufs Gymnasium statt zur Sonderschule gehen. Die Lehrer wehren sich dagegen.

Henri schaut mit seiner Mutter und einem Mitschüler Fotos an Bild: dpa

TÜBINGEN taz | Henri gehört dieser Tage zu den bekanntesten Kindern Deutschlands. Der Elfjährige mit Downsyndrom sorgt bundesweit für Diskussionen, weil ihn seine Eltern nicht auf die Sonderschule, sondern mit seinen Grundschulfreunden auf das Gymnasium in Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis) schicken wollen. Doch die Elternschaft und die Lehrer des Gymnasiums haben es abgelehnt, Henri aufzunehmen.

Eine Internet-Petition, die bereits gut 24.000 Menschen unterzeichnet haben, fordert den baden-württembergischen Kultusminister Andreas Stoch (SPD) auf, eine Entscheidung zugunsten von Henri zu treffen. Theoretisch könnte der den Schulversuch anordnen. Stoch betont aber, ihm sei wichtig, dass die betroffene Schule eine Lösung mittrage.

Nun erarbeitet das Schulamt in Mannheim Angebote für Henri und seine Eltern, um eine wohnortnahe inklusive Beschulung anzubieten. Noch im Mai soll es einen Kompromiss geben. Der kommt für Henris Eltern aber kaum infrage. Denn sie wollen, dass ihr Sohn aufs Gymnasium geht, weil die Mehrheit seiner Freunde dorthin wechselt.

Dass Henri von der Schule abgelehnt wurde, ist für Gerd Weimer „ein trauriger Vorgang“. Weimer ist Beauftragter der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. „Für die Schule beschämend“ findet er, dass nur ein Lehrer aus dem Kollegium bereit gewesen wäre, mit der Inklusionsklasse zu arbeiten.

Lehrerverbände äußern Zweifel

Das Gymnasium liegt in einer Modellregion, in der Inklusion vorangetrieben wird. Henri hat einen sonderpädagogischen Betreuer an seiner Seite, der ihn auch auf die weiterführende Schule begleiten würde. „Dieses Ressourcenangebot war sehr gut“, sagt Weimer. Deshalb habe er kein Verständnis für die Ablehnung der Lehrer.

Mehrere Lehrerverbände hatten ihre Zweifel daran geäußert, ob es Henris Wohl diene, wenn er am Gymnasium unterrichtet werde. Schließlich werde der Junge merken, dass er nicht mithalten kann. Seinen Eltern ist durchaus bewusst, dass Henri nie einen Schulabschluss schaffen wird. Darum gehe es auch gar nicht, sagen sie, sondern um den Erhalt seines sozialen Umfelds.

Der Landesschülerbeirat hat sich für Henris Inklusion ausgesprochen. Dadurch könnten Toleranz und gesellschaftlicher Zusammenhalt am Gymnasium besser vermittelt werden.

Unterstützung erhalten Henris Eltern auch von der Elterninitiative mittendrin e. V. aus Nordrhein-Westfalen, die sich „fassungslos“ über den angezettelten „Kulturkampf“ in Baden-Württemberg zeigte. Eva-Maria Thoms von mittendrin e. V. sagt: „Es ist schon erschütternd, dass selbst hoch gebildete Menschen sich Schulunterricht offenbar nur als Veranstaltung vorstellen können, in der alle Schüler im Gleichschritt einen Durchschnittslernstoff pauken.“

Lehrer gegen Schulämter

Sie kritisiert außerdem die Landesregierung. Es könne nicht sein, dass man zusehe, wie Lehrer vor Ort Entscheidungen der Schulämter kippen, „um einen einzelnen Schüler loszuwerden“. Das Schulamt hatte die Eltern in ihrem Wunsch, Henri aufs Gymnasium zu schicken, unterstützt.

Weimer tritt wie Stoch einer Pauschalisierung entgegen. „Man kann nicht sagen, dass alle Gymnasien in Baden-Württemberg so ticken“, sagt der Behindertenbeauftragte. An drei Gymnasien im Land werden bereits geistig behinderte Kinder unterrichtet – allerdings in eigenen Klassen für Sonderschüler.

Der Behindertenbeauftragte rät davon ab, dass Kultusminister Stoch die Sache selbst entscheidet: „Ich würde das Gymnasium an seiner Stelle nicht anweisen, das Kind aufzunehmen, wenn es dort so unwillkommen ist.“

Bei verordneter Inklusion gebe es nur Verlierer. Stattdessen möchte er, dass das Walldorfer Gymnasium vom Minister Hausaufgaben aufbekommt. „Die Schule soll ihre Fortbildung intensivieren und in zwei Jahren ein Konzept vorlegen, wie sie künftig mit so einem Fall umgehen will.“

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36 Kommentare

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  • Mögliche Konsequenz - lokale Schulvereine oder Kirchen werden Schulträger - machen eigene Privat-GY auf - die sind nach GG geschützt - und da redet auch keiner rein, solange die Leistung stimmt und keine GG-widrigen Spinner auftauchen. Mit der Brechstange wird man leistungsbewußte Eltern und ihre Kinder nur vertreiben. Das wäre die Liquidierung der öffentlichen Schulen durch ihre angeblichen Befürwortenden. Es bleibt eine plitisch korrekte Restschule und die anderen, privaten Einrichtungen, die dann allerdings teurer sind und sich ihre Schüler/innen aussuchen. Hallo GEW - diese Entwicklung schwächt euch! Denn an privaten Schule kriegt ihr kein Bein auf den Boden! An kirchlichen erst recht nicht! Was für ein ideologischer Irrsinn.

  • Polemisch: Vielleicht entscheidet er für 25-28 andere - die zwangsweisen Klasseninsassen des juristischen Kriegsschauplatzes.

    Meines Wissens muß der Minister erstmal das Schulgesetz BW ändern - damit die überhaupt Kinder ohne GY-Empfehlung nehmen dürfen. Dann kommen eh alle. Gleichbehandlung. Hauptschüler haben auch Gefühle und Freunde. Also Einheitsschule. Deshalb zögert Storch - GY als Einheitsschule (in BaWü!!) und er ist so gut wie abgewählt. Der Storch verheizt hier eines seiner Gymnasien - die Vorbereitung müßte er anordnen. Weil die GY-Lehrkräfte keine Ausbildung für Sonderpädagogik haben, müßte er eine/n Sonderpädagog/inn/en (deren/dessen Deputat würde allerdings nicht für alle Stunden reichen) abordnen, um Henri zu beschulen - dessen Förderbedarf wird ja nicht weniger, wenn GY auf seiner Schule steht. Ebenso wird die Arbeit der anderen Schüler/innen und Lehrkräfte nicht einfacher. Es geht nicht um "Vorbereitung", sondern um Fachlehrkräfte, die für Sonderpädagogik ausgebildet sind. Sonst machen Sie beim Qualifikations-Abwerte-Spiel mit. Deutschland ist aber schon doof genug. Wir leben davon, dass möglichst viel möglichst qualifiziert sind. ---Sagen Sie das den BaWü-Bürger/innen bitte ganz klar - wenn Henri aufs GY geht, haben die juristisch die Einheitsschule. Kann man gut finden. Kostet Rot-Grün aber die Wahl. Deshalb wohl der Eiertanz des Ministers. Ein Minister, der die nächsten Jahre tausende von Stellen streichen will. Da passt was nicht zusammen. Und eine Edel-"Inklusion" für Anwaltskinder und schlechteres Lernen für den Rest wird zu harten Konflikten führen. Zu Recht.-----In der Folge werden viele Eltern die Kinder auf Privatschulen schicken, oder wenn möglich, in andere Bundesländer. Tschüss,GY-BaWü

  • Minister Stoch entscheidet gegen DREI Kinder!

     

    Nicht nur die Kommentare und die Presse, nein auch das Ministerium selbst vergisst, dass es um eine inklusive Gruppenlösung geht, und verweigert der Gruppe die Synergieeffekte der Gruppenlösung. Die beiden anderen Kinder (eins doppelt sinnesgeschädigt, das andere chronisch krank und körperlich eingeschränkt) benötigen trotz Gymnasialempfehlung sonderpädagogische Unterstützung. Durch die Exklusion von Henri werden die beiden anderen Kinder auch auseinander gerissen und ihnen entstehen massive Nachteile.

     

    Die Rahmenbedingungen für die inklusive Gruppenlösung am Walldorfer Gymnasium sind sehr gut, materiell wie personell. Die Stadt Walldorf hat als Schulträger die erforderlichen baulichen Massnahmen zugesagt, die einen Sonderpädagoge mit all seinen Stunden und Koordinationsstunden für die Gymnasiallehrer wurden zugesagt.

     

    Minister Stoch erwartet, dass die Schulen – auch das Walldorfer Gymnasium – sich bis 2015 gut auf die Inklusion vorbereiten. Wie soll das klappen? Das Gymnasium hatte viel mehr als ein Jahr Zeit, sich auf dieses Gruppeninklusion vorzubereiten, ist aber kläglich daran gescheitert. Die vorausschauenden Gegner der Inklusion werden auch weiterhin durch Inaktivität glänzen und mit der gleichen Begründung (``Wir sind nicht ausreichend vorbereitet'') auch die nächste Inklusion verhindern mit dem Verweis auf das Wohl des Kindes, das diesen unvorbereiteten Lehrkräften nicht ausgesetzt werden darf.

  • Wenn die Politik "Inklusion" machen will, muss sie geeignete Schulen und Lehrkräfte zahlen. Sonst geht das nicht. Es geht nicht um Behinderung, sondern um (gymnasiale) Schulfähigkeit. Ein Gymnasium hat keine Lehrkräfte, die für geistig behinderte und nicht schulfähige Kinder ausgebildet sind. Das heißt, die Qualifikation muss da sein. Also muss permanent ein/e Sonderpädagog/in dabei sein, damit die Belange des nicht schulfähigen Kindes fachlich gewahrt sind. Das aber wird kein Land bezahlen. Außerdem ist ohne Fachkraft in der Klasse das Recht der anderen auf Unterricht bedroht - sie werden im Vergleich zu einer "normalen" GY-Klasse benachteiligt. Die anderen haben übrigens die gleichen Menschenrechte. Also - entweder wird das GY eine Einheitssschule für alle - oder das ganze ist rechtlich nicht haltbar. Wenn die Nachteile der "Förderklassen" nicht ausgeglichen werden, werden die anderen Eltern ihre Kinder auf Privatschulen abziehen - die suchen selbst aus. Dann gibt es wieder eine Separation. Weil die Bonzen "Inklusion" als Sparmodell fahren, wird es so kommen. Gute Idee - Die Umsetzung ohne Investitionen wird vollkommen scheitern. Und dann sind sicher die Lehrer schuld.

  • Insbesondere die Argumentation mit dem sozialen Umfeld ist doch unsinnig. Die meisten Kinder, die auf eine weiterführende Schule gehen, müssen damit klar kommen. Nicht zu vergessen, dass in ein paar Jahren, wenn sich die Schulfreunde plötzlich immer mehr für Mädchen interessieren, es zu Cliquenbildungen kommt, die ersten Diskobesuche anstehen etc. , die soziale Ausgrenzung für Henri mit Macht einsetzen wird. Da hilft dann auch der Sonderpädagoge in der Klasse nicht viel. Wie sich Henri dann wohl füllt, wenn er merkt, dass er in der Schule und auch in der Freizeit abgehängt wird und er mit den Schufreunden aus der Grundschule nicht mehr viele Gemeinsamkeiten hat. Das ist dann gelebte Ausgrenzung.

  • Das ist ja auch die Zwickmühle, in der der Kultusminister BW sitzt. Wenn er das Gymnasium schützt, steht er als SPDler als antisozial und wortbrüchig da. Wenn er hingegen das Gymnasium zwingt, Henri aufzunehmen, kann nie wieder ein anderes Gymnasium irgendeinen anderen Schüler ablehnen. Damit ist wären die staatlichen(!) Gymnasien samt Bildungsanspruch abgeschafft und in Gemeinschaftsschulen umgewandelt.

     

    Nur: Anwaltssöhne und Zahnarzttöchter gehen dann eben stattdessen auf Privatgymnasien. Deren Existenzrecht ist im Grundgesetzt verankert, die zerstört man nicht so schnell. Im Gegenteil - die Zahl der Neugründungen steigt seit Jahren kontinuierlich. Die Folge ist also, wenn Herr Stoch diesen Unfug tatsächlich durchdrücken sollte, dass die Qualität der Bildung demnächst noch mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Herzlichen Glückwunsch. ^^

  • Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen sind, wie man anderen Interviews mit Frau Ehrhardt entnehmen kann, die beiden weiteren behinderten Kinder, die ebenfalls aufs Walldorf-Gymnasium gehen. Frau Ehrhardt hat sich ganz nüchtern ausgerechnet (sie spricht selbst von "Ressourcenverschwendung"), dass Henris Klasse bzw. Henri selbst dreimal so viel Hilfe und Sonderunterricht bekäme, wenn er von den Förderstunden der beiden anderen Schüler noch mit profitieren könnte. Diese sind nämlich "nur" körperbehindert und benötigen offenbar bei weitem nicht so viel Hilfe wie Henri. Um irgendwelche echten Freundschaften scheint es der Dame gar nicht zu gehen.

     

    Bezeichnend ist ja auch, dass von diesen angeblichen Freunden sich kein einziger je zu Wort meldet und für Henri Partei ergreift und ebenso den Wunsch äußert, mit ihm zusammen zu bleiben. Viele andere Klassenkameraden bzw. deren Eltern weigern sich sogar - wie sie in einigen Zeitungskommentaren selbst bereits schrieben - noch weiter in diesen Medienterror mit reingezogen zu werden und für und mit Familie Ehrhardt zu posieren.

     

    So richtig interessant wäre es, wenn die beiden anderen behinderten Schüler sich nachträglich doch noch für andere Schulen entscheiden würden, weil sie das Theater satt haben. Dann hätte Frau E. aber ein großes Problem...

  • D
    D.J.

    Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es den Unterstützern der Sache großeils überhaupt nicht um Henri geht. Auch nicht zuallererst um Inklusion. Es geht um Zerstörung des Gymnasiums. Oder noch weiter um Zerstörung des Leistungsprinzips überhaupt. Kann man drüber streiten, sicher. Aber ich möchte gefälligst Gegner mit offenem Visier.

    • @D.J.:

      Also, wenn man das Gymnasium zerstört hat das wenig mit Leistungsprinzipien zu tun. Das müssten Sie mal erklären, wo Sie da die Zusammenhänge sehen.

       

      Die meisten Staaten, die eine höhere Produktivität wie die BRD haben, kennen kein dreigliedriges Schulsystem.

      • D
        D.J.
        @Age Krüger:

        Ich gebe Ihnen Recht, dass die Gegnerschaft zum Gymnasium nicht zwingend das andere bedingt. Wer aber sagt "ist doch wurscht, dass er ohnehin nicht mitkommt, geschweige denn einen Abschluss macht", hat m.E. noch eine ganz andere Agenda.

  • "Seinen Eltern ist durchaus bewusst, dass Henri nie einen Schulabschluss schaffen wird. Darum gehe es auch gar nicht, sagen sie, sondern um den Erhalt seines sozialen Umfelds."

     

    Also damals, als ich noch zur Schule ging, war nach zweimal Sitzenbleiben Schluß.

     

    Wenn das auch heute noch so ist: wollen die Eltern das dem kind wirklich antun?!

    • @Spitzbube:

      Ich gehe nicht davon aus, dass er nach dem üblichen Leistungsstandard beurteilt wird. Wenn das so wäre, wäre die ganze Sache kein Problem. Dann gehört er entweder zu der Gruppe, der Menschen mit Down-Syndrom, bei der die intellektuelle Beeinträchtigung sehr gering ist oder aber er würde direkt nach dem fünften Schuljahr zweimal sitzenbleiben und danach das Gymnasium verlassen.

      Er wird wohl einen eigenen Lehrplan bekommen und mit viel Glück ein paar Stunden einen Sonderpädagogen oder wahrscheinlicher wenigstens einen Erzieher oder Heilerziehungspfleger, der ihn betreut und hoffentlich so berufserfahren ist, dass er ihm klarmachen kann, dass das, was die anderen gerade lernen müssen, sowieso im Leben niemals gebraucht wird.

      Ansonsten kann er in der Zeit nix anderes machen als sich langweilen oder dummes Zeug, (Also nix anderes, was ich in 90% meiner Gymnasialzeit auch während des Unterrichtes gemacht habe, wenn ich nicht rausflog.)

       

      Lernen, und da sehe ich das Problem, soll er nach dem Willen der Eltern nur, dass er sich nicht auf neue Situationen und Personen einstellen muss. Das ist imo ein sehr, sehr blödes Lernziel.

      • @Age Krüger:

        Haben Sie den Artikel eigentlich gelesen?

         

        "Henri hat einen sonderpädagogischen Betreuer an seiner Seite, der ihn auch auf die weiterführende Schule begleiten würde."

        • @Dhimitry:

          Haben Sie sich mal mit deutscher Sprache beschäftigt oder mit der Situation, wie Inklusion in der Realität abläuft?

          Ich gestehe, dass ich nicht für BaWü sprechen kann, aber wenn er eine 1:1-Betreuung durch einen Sonderpädagogen erhalten würde, stände das auch so da.

          IdR heißt "sonderpädagogischer Betreuer" nicht unbedingt, dass dies ein vollständig ausgebildeter Sonderpädagoge ist. Und "an seiner Seite" ist ein Euphemismus, den man in diesem Zusammenhang häufig liest. Das kann auch heißen, dass er als Ansprechpartner in bestimmten Situationen zur Verfügung steht. Nicht die gesamte Unterrichtsdauer durch.

           

          Inklusion darf sich schön anhören, aber nix kosten.

        • D
          D.J.
          @Dhimitry:

          Wir können ja gern über längeres gemeinsames Lernen diskutieren, über Inklusion ohnehin.. Aber so ist das doch widersinnig: Warum darf dann nicht überhaupt jeder/r auf das Gymnasium und alle weniger Leistungsfähigen bekommen dann eben einen Individualbetreuer an die Seite, der ihn/sie bis zum bereits erwarteten Ausstieg dauerbegleitet? Ganz böse: ich denke da auch an die irren Kosten, die - gerade für Behinderte -weit besser eingesetzt wären.

  • Armer Henry. Wie immer die Geschichte ausgeht, es wird nicht gut für ihn ausgehen. Setzen sich seine ehrgeizigen Eltern durch, muß er zu einer Schule, wo man ihn nicht will (was er spüren wird, selbst wenn die Lehrer sich bemühen, es nicht zu zeigen) oder er muß zur Sonderschule und hat das Gefühl, werden die Eltern ihn spüren lassen, daß er da nicht hin gehört, entsprechend schwer tut er sich womöglich, dort ein neues soziales Umfeld aufzubauen.

     

    Wissen die Eltern eigentlich, was sie da ihrem Kind antun?

    • @Puck:

      Die Eltern wissen es sehr genau, aber leider ist Deutschland im Gegensatz zu anderen EU-Ländern an vielen Stellen noch nicht inklusionsbereit. Die Deutschen verstehen "Inklusion" überhaupt nicht und wenn sie meinen es zu verstehen, dann wollen sie aber bitte selbst damit nicht in Berührung kommen. Deutsche Pädagogen tauschen einfach die Begriffe Integration gegen Inklusion aus und alles bleibt wie vorher auch: Aussonderung und grundsätzliche Sortierung nach (bequemer) Leistung.

      • D
        D.J.
        @Hanne:

        Gern Diskussion über längeres gemeinsames Lernen überhaupt statt Trennung bereits mit 10, 11 Jahren. Aber das Wettern gegen leistungsmäßiges Sortieren insgesamt halte ich für Unsinn: Es findet später ohnehin statt. Und ich möchte keine Gesellschaft, wo die Kinderlein erst mit 20 oder gar 26 (wenn man auch zu den Studierenden ganz doll lieb ist) merken, dass man nicht immer automatisch weiterkommt.

  • Es scheint in diesem Fall ja tatsächlich so zu sein, dass Henri sehr wahrscheinlich nicht mit der Unterrichtsgeschwindigkeit mithalten kann. Dennoch hätte ich mir gewünscht, in dem Artikel ein Verweis auf diesen älteren taz-Artikel zu finden, der das Down-Syndrom vermutlich für viele Leser in eine ganz neue Perspektive rückt: http://www.taz.de/!32196/ - denn aus der Lektüre dieses Artikels hier lässt sich nirgendwo ableiten, dass die Idee, einen geistig Behinderten aufs Gymnasium zu schicken, nicht so rundweg absurd ist, wie das (laut Anton Gorodezkys Beitrag) die Elternbeiratsvorsitzende zu finden scheint.

     

    Außerdem ist vielleicht noch dieser Bericht interessant, der aufzeigt, dass auch in einem Fall wie Henris (anscheinend keine realistische Chance auf Abitur) nicht gesagt ist, dass er am Gymnasium per se nichts verloren hätte: http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Gymnasium-trotz-Down-Syndrom - zentraler Satz vermutlich: „Auch Schüler am Gymnasium sollen lernen, mit anderen Menschen umzugehen.“

    • @et al.:

      Dazu im Focus: "Im Durchschnitt erreichen Menschen mit Down-Syndrom einen Intelligenzquotienten (IQ) von nur 57 Punkten. Manche von ihnen erzielen sogar nur 14 Punkte, andere dagegen 100 Punkte, was dem allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt entspricht."

      Quelle: http://www.focus.de/wissen/natur/bildung-die-unmoegliche-karriere_aid_198391.html

       

      Der spanische Lehrer mag Trisomie21 haben, ist aber (anscheinend) nicht geistig behindert.

       

      Die Schüler des zur Debatte stehenden Gymnasiums kommen mit "anderen Menschen" in Kontakt und lernen mit ihnen umzugehen.

      • @Anton Gorodezky:

        Zugegeben, da ist mir wohl beim Versuch, mehrfachte Wortwiederholungen zu vermeiden, eine fahrlässige Unsauberkeit unterlaufen. Geistige Behinderung im engeren Sinne (also eine Lernschwäche, üblicherweise ausgedrückt durch einen niedrigen IQ) ist natürlich ein (enormes) Hindernis beim Erreichen eines regulären Abiturs. Was aber für die meisten Menschen unter geistige Behinderung läuft, ist wohl etwas weiter gefasst (und auch der spanische Lehrer fällt in diese sprachliche Kategorie, selbst wenn sein IQ mit Sicherheit nicht bei 57 liegt).

         

        @Age Krüger: Das sehe ich nicht so. Es ist ein Aufruf zur Föderung, aber eben klar zur Förderung durch Forderung. Sofern sie nicht von rundweg anderen Einrichtungen sprechen, als dies die Föderschulen sind, welche ich gesehen habe, können sie mir nicht erzählen, dass dort eine intensive Frühförderung den Kindern den Weg zum Studium ebnet.

        • @et al.:

          Deshalb habe ich es auch als wpnschenswerte Möglichkeit genannt, nicht als bestehende Realität. Ich bin zwar da auch nicht der hundertprozentige Kenner, da ich nie mit Kindern dieser Altersklasse gearbeitet habe, aber afaik ist die Inklusion bei der Frühförderung für Kinder mit und ohne Down-Syndrom schon in der BRD erreicht: Sie findet für keine der Gruppen statt.

    • @et al.:

      Zum ersten des von Ihnen verlinkten Artikel ( http://www.taz.de/!32196/ )

      Wenn Sie so wollen, ist das ein Aufruf gegen Inklusion und für Förderschulen. Der hier angesprochene Lehrer mit Down-Syndrom hat mit 4 Jahren Lesen und Schreiben gelernt und evtl. eben dadurch auch zu lernen. Es ist so, dass es tatsächlich möglich ist, evtl. Leistungsunterschiede zwischen Menschen mit und ohne Down-Syndrom zu nivellieren, wenn die Förderung extrem früh einsetzt. Das liegt daran, dass die intellekturellen Unterschiede eben erst später deutlich werden. So gesehen müssen im Sinne der Inklusion, im Menschen mit Down-Syndrom nicht zu benachteiligen wir mit spätestens 4 Jahren mit der Schule anfangen.

      Ich weiß nicht, ob das für jeden wünschenswert ist. Für Kinder mit Down-Syndrom eröffnet diese frühe Förderung aber mehr Autarkie im Leben, wenn sie dann eben selber entscheiden können, ob sie die damals erworbenen Fähigkeiten für eine höhere Bildung nutzen wollen oder ob sie sich darauf verlassen, dass sie in einer Gesellschaft leben können, in der man auch jemanden mit oder ohne Down-Syndrom anerkennen kann ohne Hochschulabschluß.

      • @Age Krüger:

        Sorry, aber das ist meiner Meinung nach völlig falsch interpretiert.

  • Hm.

    Ist die Grundschulzeit in Baden-Württemberg eigentlich nur ein paar Wochen lang oder auch so ungefähr 4 Jahre.

    Wenn letzteres zutrifft, dann waren schon 4 Jahre Zeit, dem Jungen auch außerhalb der Schule einen Freundeskreis zu vermitteln. Als ich damals aufs Gymnasium wechselte, war das noch nicht die Regelschule, sondern außer mir waren nur 3 andere, die dorthin kamen aus meiner Klasse. Ich musste mir in der Schule tatsächlich einen neuen Freundeskreis suchen.

    Ich möchte schon fragen, was die Eltern ansonsten dagegen machen, dass dieses dämliche dreigliedrige Schulsystem weiterbesteht. Ich hatte btw durch Vereine und Kirche noch weiterhin Kontakt zu meinen Mitschülern, die auf der Haupt- oder Realschule waren. Irgendwie kommt es mir so vor, als würde durch Inklusion nun versucht, Behinderte aus allen anderen gesellschaftlichen Bereichen zu verdrängen und ihnen nur noch durch Schule und Beruf Integration zu ermöglichen.

     

    Btw ist es imo nicht im Sinne des Kindes, was da abläuft. Die Eltern haben den typischen Spleen vieler Eltern mit behinderten Kindern und wollen das Kind überbehüten und ihm jede fremde Situation ersparen. Auch ein Kind mit Down-Syndrom ist nicht so behindert, dass es keine neuen Freunschaften schließen könnte. Aber diese Fähigkeit könnte einige Eltern, die ihr Kind bis ans Ende ihres Leben an sich haften möchten, auch stören.

  • Der Spiegel schreibt dazu etwas mehr:

    "Behindertenfeindlichkeit kann man dem Gymnasium Walldorf nicht vorwerfen. Seit Jahren führt es körperbehinderte Jugendliche zum Abitur: Rollstuhlfahrer, Epileptiker, schwer Sehbehinderte. Und auch die beiden gehandicapten Kinder aus Henris Gruppe will es aufnehmen - weil diese eine Chance haben, das Schulziel zu erreichen. "Welchen Sinn ergibt es, einen geistig Behinderten in ein Gymnasium zu stecken?", fragt Regina Roll, Vorsitzende des Elternbeirats. "Das ist ein intellektueller Hochleistungsbetrieb. Wir fürchten, dass Henri von der ersten Woche an dem Lernstoff nicht folgen kann und ohne entsprechende Begleitung den Unterricht aufhält." Schließlich könne der Sonderpädagoge den Kindern nur in einem Teil der Stunden zur Seite stehen."

    Quelle: http://www.spiegel.de/schulspiegel/inklusion-kind-mit-down-syndrom-soll-aufs-gymnasium-a-965875.html

     

    Und ich neige dazu, dieser Argumentation zu folgen: was soll der Junge auf dem Gymnasium, wenn niemand davon ausgeht, dass er die Hochschulreife erreicht? - sollen sich die Lehrer an dem Gymnasium (zusätzlich, neben den anderen Schülern) um einen Schüler kümmern, der von vornherein dazu verdammt ist, das Schulziel zu verfehlen? Die einzige Begründung, die die Eltern vorbringen ist das Zusammenbleiben mit seinen Freunden - nun, was sollen dann all diejenigen sagen, die auf Haupt- und Realschulen wechseln? Wären diese Schulformen vielleicht etwas für ihn?

    • @Anton Gorodezky:

      Oh ja, ich vergaß: Es gibt Behinderte und anders Behinderte und die ersteren können eventuell mit Inklusion rechnen, die letzteren werden weiterhin ausgesondert.

       

      Und abgesehen davon würde ich mir für meine Kinder, die ebenfalls auf Gymnasien gehen, die sich "als intellektuelle Hochleistungsbetriebe" sehen, sehr gerne wünschen, dass dort auch so Kinder und Jugendliche wie Henri einen Platz finden könnten.

       

      Gerade diese Einbildung auf die Intelligenz an Gymnasien befremdet mich seit meiner eigenen Schulzeit. Ich finde das widerlich und arrogant.

      • @Hanne:

        Nun, was würden Sie denn sagen, wenn die Eltern eines Tetraplegikers oder Spastikers darauf bestünden, ihr Kind auf das Sportgymnasium Oberhof zu schicken? Weil der beste Freund ja auch. Und überhaupt: Inklusion und so!

      • @Hanne:

        Warum muss es eigentlich gleich das Gymnasium sein? Es gibt ja auch Haupt- oder Realschulen, vielleicht hat der Junge dort sogar eine Chance auf einen regulären Abschluss.

  • D
    D.J.

    "Denn sie wollen, dass ihr Sohn aufs Gymnasium geht, weil die Mehrheit seiner Freunde dorthin wechselt .... Seinen Eltern ist durchaus bewusst, dass Henri nie einen Schulabschluss schaffen wird. Darum gehe es auch gar nicht, sagen sie, sondern um den Erhalt seines sozialen Umfelds."

     

    Ich bin kurzsichtig. Ich durfte kein Pilot werden. Der Björn durfte das. Und die Antje auch. Wenigstens hätte man mich auf die Pilotenschule lassen können. Zusammen mit Björn und Antje. Wir hätten so viel Spaß gehabt. Wenigstens ein Weilchen. Menno.

  • A
    ama.dablam

    Es ist wirklich nicht zu fassen, wie da Partikularinteressen durchgepeitscht werden sollen!

     

    Soll er auf die gleiche SCHULE wie sein "soziales Umfeld" (was immer das ist)? Oder in die gleiche KLASSE?

     

    Was ist, wenn Henri das Klassenziel nicht erreicht? Dann muss er auch sein "soziales Umfeld" verlassen...oder NIEMAND fällt mehr durch, wenn er sich auf das soziale Umfeld beruft.

     

    Und was ist, wenn das "soziale Umfeld" selber durchfällt oder wegzieht?

     

    Die Rücksichtslosigkeit von Henris Eltern ist mit Händen greifbar, doch da traut sich keiner ran...

    • @ama.dablam:

      "oder NIEMAND fällt mehr durch"

       

      Ja, genau das ist das Ziel! Im übrigen geht es nicht um die Durchsetzung von Partikularinteressen sondern um die Umsetzung eines Menschenrechts.

       

      Nicht das Ansinnen, ein Kind mit Down-Syndrom auf ein Gymnasium zu schicken ist absurd, sondern das Konzept "Gymnasium" ist es.

      • @Markus:

        guter Kommentar! Der Rest ist ja wirklich gruselig...

      • A
        ama.dablam
        @Markus:

        Ich gehe mal davon aus, dass Ihnen schon klar ist, dass die Schulpflicht mit dem Recht auf Bildung korreliert.

         

        Und zwar mit angemessenen Inhalten.

         

        Von der gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung zu möglichst hohen Standards einmal abgesehen.

         

        Wofür wurden eigentlich die Pisa-Studien gemacht??

        • @ama.dablam:

          Die Pisa-Studien zeigen doch eindeutig, dass das deutsche Modell des Gymnasiums nicht wettbewerbsfähig ist. Inklusive Gesamtschulen schneiden besser ab.

          • 0G
            0981 (Profil gelöscht)
            @Dhimitry:

            1.Wenn man versucht allem und jedem

            gerecht zu werden führt das im

            Endeffekt lediglich dazu niemandem

            mehr gerecht zu werden.

             

            2. Wann beginnen wir hierzulande

            endlich damit diesen sog.

            Helikoptereltern einhalt zu gebieten

            die offensichtlich der Meinung sind

            die Welt drehe sich einzig und allein

            nur um ihr Kind während ihnen alle

            anderen egal sind.