Initiatorin über Pflegebudget-Petition: „Immerhin keinen Schritt zurück“
Der Bundestag hätte beinahe die Hebammen aus dem Pflegebudget gestrichen. Michelle Franco konnte das durch eine Petition in letzter Minute verhindern.
taz: Frau Franco, der Bundestag wollte vergangene Woche ein umstrittenes Gesetzesvorhaben durchbringen. Darin war vorgesehen, dass Hebammen ab 2025 nicht mehr aus dem Pflegebudget der Kliniken bezahlt werden sollen. Was hätte das konkret bedeutet?
Michelle Franco: Ende Oktober wurde das gesetzliche Krankenversicherungs-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet, in dem festgelegt wurde, dass Hebammen auf den Klinikstationen nicht mehr über das Pflegebudget refinanziert werden. Die Kliniken müssten dann praktisch selbst überlegen, wie sie die Hebammenstationen finanzieren. Die Befürchtung war, dass Krankenhäuser schlussendlich den Hebammen kündigen, beziehungsweise langfristig ihre Geburtshilfe ganz schließen.
Aus finanzieller Sicht war die Geburtshilfe schon immer ein unrentabler Bereich des Krankenhauses. Mit der Streichung der Hebammen aus dem Pflegebudget wäre die Geburtshilfe ein Profitgeschäft geworden und eine angemessene Betreuung durch Hebammen ein Luxusgut. Außerdem hätte das ohnehin schon überlastete Pflegepersonal im Krankenhaus dann zusätzlich noch die Wochenbettstation betreuen müssen, was im Angesicht des Fachkräftemangels mehr als fatal wäre.
Sie haben daraufhin eine Petition gestartet und konnten innerhalb von einer Woche mehr als 1,5 Millionen Menschen für Ihr Anliegen gewinnen. Die Bundesregierung hat die Hebammen nun wieder ins Pflegebudget mit aufgenommen. Wie erklären Sie sich den Erfolg?
ist 28 Jahre alt und studiert in Karlsruhe Jura.
Das Thema Geburtshilfe betrifft eine große Bevölkerungsgruppe. Neben den Hebammen haben sich vor allem Mütter zu Wort gemeldet, die selbst wissen, wie wichtig Geburtshilfe und Betreuung am Wochenbett ist. Dadurch hatte das Thema eine sehr große Präsenz, einerseits durch die Petition, aber auch in der Öffentlichkeit und in der Presse. Doch mit diesem Erfolg habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet und vor allem nicht damit, dass es auf politischer Ebene so schnell Wirkung zeigt.
Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Ihnen auf Ihre Petition geantwortet und Ihnen in großen Teilen Recht gegeben. Wie ordnen Sie seine Aussagen ein?
Zunächst einmal war es schier unmöglich, eine Aussage von Herrn Lauterbach zu bekommen. Auf mehrere unserer Anfragen hat er nicht reagiert und wir haben erst eine Antwort bekommen, als die Petition nicht mehr zu ignorieren war. Grundsätzlich bin ich jedoch sehr froh, dass er seine Zusagen, die er in dem Statement gab, eingehalten hat. Einerseits, indem die Hebammen wieder ins Pflegebudget aufgenommen wurden, und andererseits mit einer finanziellen Unterstützung der Geburtshilfe für 2023 und 2024 von jeweils 120 Millionen Euro.
Die Zahl der Kliniken, die Geburtshilfe anbieten, sinkt drastisch. In Ihrer Petition schreiben Sie, dass es seit 1991 einen Rückgang von mehr als 40% gab. Hat das Gesetz die Situation der Hebammen nun verbessert?
Die Situation der Hebammen bleibt weiterhin schwierig. Es wurde im Koalitionsvertrag zugesagt, dass eine Eins-zu-Eins-Betreuung in Zukunft gewährleistet sein soll. An dem Punkt ist man noch lange nicht. Auch bezüglich des finanziellen Zuschlags bleiben offene Fragen. Denn die 120 Millionen Euro werden auf die Bundesländer verteilt, die selbst entscheiden, in welche Kliniken sie investieren.
Daher ist es schwer, eine generelle Aussage für die Geburtskliniken zu treffen, weil noch gar nicht klar ist, wo das Geld schlussendlich eingesetzt wird. Doch dadurch, dass wir die Streichung aus dem Pflegebudget abwenden konnten, geht es immerhin keinen Schritt zurück für Hebammen. Jetzt liegt es an der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die Geburtshilfe nachhaltig gestärkt wird und nicht unter dem wirtschaftlichen Druck der Krankenhäuser leidet.
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