Initiatorin über Berliner Bildungspolitik: "Kreuzberg lässt Schulen verslumen"
Angelika Klein-Beber versucht seit vier Jahren im schulischen Krisengebiet Berlin-Kreuzberg eine freie Schule zu gründen. Sie trifft auf eine unverständliche und kuriose Bezirkspolitik.
taz: Frau Klein-Beber, Kreuzberg gehört zu den anerkannten pädagogischen Krisengebieten Deutschlands. Sie wollen nun mit einer Privatinitiative frischen Wind in die Schulen pusten. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Angelika Klein-Beber: Ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen ratlos. Seit vier Jahren versuche ich mit Gleichgesinnten eine neue gute Schule für den Kiez zu gründen - aber die Bezirkspolitik behandelt uns wie Aussätzige. Zuletzt hat das Kreuzberger Lokalparlament beschlossen, freien Schulen leer stehende öffentliche Schulgebäude nicht zur Verfügung zu stellen - grundsätzlich nicht. Ich nenne das Schikane.
Wundert sie das? Immerhin wollen Sie in einem der ärmsten Kieze der Republik eine private Schule gründen.
Nein, eine Privatschule wollen wir eben nicht. Ich würde nie eine Schule zum Zweck des Geldverdienens gründen. Das passt gar nicht zu meiner durch die 68er inspirierten Vita. Wir planen auch etwas ganz anderes: Eine freie, konfessionelle Schule, getragen von einer evangelischen Kirchenstiftung. Eine Schule, die eine vernünftige soziale Mischung aufweist und auch dem Kreuzberger Bürgertum eine Heimat gibt. Was soll daran verkehrt sein?
Ist das nicht Wortklauberei? Auch eine freie, konfessionelle Schule ist eine private Schule. Oder wollen sie etwa kein Schulgeld nehmen?
Ich bitte Sie! Sehen Sie sich mal die Preise der evangelischen Schulstiftung an. Familien, die von öffentlicher Unterstützung leben, brauchen gar kein Schulgeld zu bezahlen. Andere, je nach Einkommen, 50 bis 150 Euro im Monat. Das ist doch nicht mit den Zigtausenden Euro vergleichbar, die man etwa für angelsächsische Privatschulen aufbringen muss.
In Berlin-Kreuzberg wollen vier Bildungsträger in das Gebäude der geschlossenen Rosegger-Schule einziehen - ein türkischer, der Internationale Bund, eine Kreativitätsschule und eine evangelische Initiative. Darüber ist ein absurder Streit entbrannt. Alle Anbieter haben interessante Konzepte. Aber das Kreuzberger Bezirksparlament hat beschlossen, öffentliche Schulgebäude prinzipiell nicht an freie Schulen zu vergeben.
Die Zahl der deutschen Privatschulen nimmt stetig zu. Seit 1992 ist ihre Zahl auf 3.000 gestiegen - und hat sich damit verdoppelt. In Regionen wie Potsdam geht mittlerweile ein Fünftel der Kinder in private Einrichtungen. Allerdings: Mit rund acht Prozent Privatschülern ist die Zahl in Deutschland noch sehr gering. Über 60 Prozent der Privatschulen sind konfessionelle Schulen.
Warum machen Sie nicht einfach die vorhandenen staatlichen Schulen besser?
Wie, bitteschön, sollen wir das tun? In Kreuzberg wird beinahe jeder Versuch abgeblockt, das vorhandene staatliche Schulsystem durch private Initiativen zu verbessern.
Das müssen Sie erklären.
Ich kann kaum aufzählen, was es an Unmut und an Gegenbewegungen zur einfallslosen Schulpolitik des Bezirks gibt. Gerade hat sich eine gut meinende und engagierte Elterngruppe zusammen getan. Sie wollen ihre Kinder gemeinsam auf eine weiterführende Schule bringen - das Bezirksamt lehnt das aber ab, weil dadurch die Grenzen der Schuleinzugsbereiche verletzt würden. Was ist das Verbrechen, dass diese besorgten Eltern begehen?
Ich weiß es nicht, verraten Sie es mir.
Sie wollen auf ihre Weise die 80-Prozent-Zuwandererquoten in den Schulen dämpfen - in einer staatlichen Schule. Der Bezirk hat das zurückgewiesen. Genau wie man es unserer Initiative versagt, in einem leer stehenden Schulhaus eine neue gemeinnützige Schule zu errichten.
Die bezirkliche Schulpolitik ist ein großer Bremsklotz?
Wer sich bewegt, wird bestraft. Wer über Veränderung nachdenkt, der wird gemaßregelt. Das ist die absurde Schulpolitik, die wir hier in Kreuzberg erleben. Private, genauer gesellschaftliche Initiativen werden verzögert, verhindert und verdammt - gleichzeitig lässt der Staat seine Schulen immer weiter verslumen. Das ist es, was einen so fassungslos macht. Man setzt sich nicht etwa konstruktiv mit den Leuten zusammen, die etwas wollen. Lieber lässt man den Bezirk ausbluten und die Schulen weiter versacken.
Was hat Sie inspiriert, eine neue Schule für Ihre Kinder zu gründen?
Um mich geht es nicht mehr. Meine Kinder sind schon erwachsen. Es ist ganz einfach mein Wohnhaus - ein Abbild des Bezirks, eine Art Mini-Kreuzberger Mischung. Bei uns wohnen Gutbürgerliche Tür an Tür mit Hartz-IV-Empfängern, die sechs Kinder haben, und Zuwanderern.
Ok, wo ist das Problem?
Zunächst gibt es keines. Das gehört zusammen, das passt. Das Problem entsteht, wenn eine verfehlte staatliche Schulpolitik die gute Mischung zerstört.
Wie das?
Sie können danach die Uhr stellen: Wenn die Leute Kinder bekommen, ist der Umzugswagen praktisch schon bestellt. Die bildungsbezogenen Leute, selbst manche Migranten ziehen weg. Manche probieren noch eine Zeitlang, ihre Kinder auf eine der staatlichen Schulen zu schicken. Wenn Sie Glück haben, kommen sie in eine der wenigen Schulen, in denen die Mischung noch okay ist. Wenn nicht, stellen sie fest, dass ihre Kinder plötzlich selbst Kanak-Sprak sprechen. Dann gehen auch die.
Und die anderen?
Die anderen bleiben, weil ihnen eigentlich egal ist, auf welche Schule ihre Kinder gehen. Ich kann also in meinem Haus zuschauen, wie staatliche Schulpolitik die Entmischung der sozialen Schichten oder Bildungs- und Arbeitslosigkeit aktiv befördert.
Entmischung ist das passende Stichwort: Das ist genau das, was linke Bezirkspolitiker Ihnen vorwerfen. Dass sie mit ihrer privaten Schule zur Sonderung der Schüler nach den sozialen Verhältnissen der Eltern beitragen.
Ich halte diese Vorwürfe prinzipiell für richtig - gegenüber echten Privatschulen. Aber, wissen Sie, in Kreuzberg oder bei evangelischen Schulen mit dem Sonderungsverbot zu hantieren, ist schon ein bisschen verrückt!
Warum?
Der Staat ist es doch, der durch sein Nichtstun eine einzige große Entmischung in Kreuzberg zulässt, ja betreibt. Das Bürgertum läuft dem Bezirk mit seinen Kindern in Scharen davon - übrig bleiben Restschulen der Hoffnungslosigkeit für Einwanderer und Hartz-IV-Kinder. Die Kinder, die aus diesen Schulen herauskommen, sind meine Nachbarn. Eine verlorene Generation. Das ist die Realität, und sie wird Jahr für Jahr härter. Wenn nun bürgerliche Kreuzberger sagen "Wir beiben hier! Wir wollen gute Schulen - auch für unsere Kinder!", dann schwingen bestimmte Leute die Moralkeule der Separation. Dabei befördern sie selbst die separatistischen Tendenzen, die sie uns vorwerfen.
Inwiefern?
Es gibt einen türkischen Bildungsträger, der inzwischen eine komplette Bildungslaufbahn von der Kita bis zur Hochschule anbietet. Mit Nachhilfe und allem Drum und Dran. Das nenne ich Separierung.
Aber sie wollen doch ihresgleichen, die Kreuzberger Bürgerlichen, auch absondern!
Nein, das wollen wir nicht. Die evangelischen Schulen haben eine gute Mischung zwischen Migrantenkindern und denen deutscher Muttersprache. Wir bieten die erforderliche Verbreiterung des Schulangebots, damit nicht weiter stattfindet, was alle Studien zeigen: Bei mehr als einem Drittel Zuwandererkinder wird das Lernen nicht leichter, im Gegenteil. Wir wollen nicht hinnehmen, was der Staat schulterzuckend zulässt. Dass es Schulen mit 80, 90 oder 100 Prozent Einwandererkindern gibt.
Dennoch wollen Sie eine Schule für ihre Klientel.
Unsere Schule ist keine Klientelschule oder gar Eliteschule. Wir wenden uns an Eltern, die eine wertebzogene christliche Erziehung vermitteln wollen. Diese Schule ist offen für alle - auch für Muslime. Im Nachbarbezirk Neukölln gibt es ebenfalls eine evangelische Schule. In die gehen etwa ein Drittel Muslime.
Was ist nicht verstehe: Wieso helfen Ihnen die Grünen nicht? Die lehnen bekanntlich Privatschulen nicht ab. Und Kreuzberg ist doch grün regiert.
Die Grünen sind speziell. Wir sprechen ständig mit Grünen, die voll hinter uns stehen - rein privat. Die politisch aktiven Kreuzberger Grünen ticken da anders. Die halten uns hin, die arrangieren sich mit SPD und Linken, die nehmen auf ihre radikale grüne Basis Rücksicht. Es gibt praktisch zwei grüne Parteien.
Das ist nicht neu.
Doch, der Grund für die Konstellation ist neu: Grüne mit Kindern und Grüne ohne Kinder. Die Grünen mit Kindern denken und handeln exakt wie das Kreuzberger Bürgertum. Die wissen, die graue Multikulti-Theorie ist nicht sonderlich nützlich, wenn die eigenen Kinder in die Schule kommen. Integration finden die gar nicht gut - wenn es die eigenen Kinder sind, die sich auf einem türkisch sprechenden Schulhof integrieren sollen.
Und die Grünen ohne Kinder?
Sind stolz darauf, keine zu haben, und halten wacker die Fahne hoch. Als wir die Kreuzberger Bildungsstadträtin fragten, ob sie Kinder habe, antwortete sie: ,Nein, zum Glück!' So verhält sie sich auch.
Was würden Sie tun, wenn Sie Stadträtin wären?
Ich würde die Potenziale nutzen, die da sind. Drei bis vier Kreuzberger Schulen stehen leer oder sind ungenutzt. Ich würde diese Schulgebäude zu Standorten von Reformschulen machen und zugleich das staatliche Schulangebot kräftig erweitern, sodass niedrigere Quoten von nicht deutsch sprechenden Kindern realisiert werden können. Es ist nämlich leichter, eine Schule von Grund auf neu aufzubauen als eine bestehende Schule umzukrempeln.
Ich würde es genau umgekehrt angehen wie die gegenwärtige Kreuzberger Schulpolitik: Ich würde private Initiativen ermuntern - und gleichzeitig meine staatlichen Schulen aufrüsten. Wir haben doch an der Bezirksgrenze zu Neukölln das Vorbild stehen: Der Campus Rütli ist eine Mischung aus staatlichem und privatem Engagement. Es gibt eine Menge guter Ideen. Man könnte so viel machen. Kreuzberg braucht nichts mehr als gute Schulen.
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