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Initiative zum Klimanotstand in BerlinSenat noch nicht im Krisenmodus

Die Initiative Klimanotstand Berlin fordert fleischfreie Mensen und überall in der Stadt Tempo 30. Grünen und SPD geht das allerdings zu weit.

Im Stau stehen Autos eh – wenn's fließt fordert Klimanotstand Berlin, dass sie nur noch 30 fahren Foto: dpa

Berlin taz | Potsdam hat ihn ausgerufen, Konstanz auch; dazu Städte wie Lübeck und Saarbrücken. In der vergangenen Woche war es sogar in Pankow so weit: Der Klimanotstand wurde offiziell gemacht, in zahlreichen Kommunen Deutschlands und nun sogar in einem Berliner Bezirk. Die Hauptstadt selbst ist bislang aber noch nicht aktiv geworden.

Das will die Initiative Klimanotstand Berlin ändern: Seit dem 6. Mai und bis zum Dienstag war sie auf Berlins Straßen präsent, um Unterschriften zu sammeln, mit denen BürgerInnen bezeugen konnten, dass sie der Meinung sind: Der Klimanotstand ist längst Realität, wir müssen ihn nun auch anerkennen.

20.000 Unterschriften wollte Klimanotstand Berlin sammeln, 43.522 Unterschriften hat man gesammelt. Marko Dörre, der Initiator der Initiative, sagt am Dienstag vor der Übergabe der Unterschriftenliste ans Abgeordnetenhaus: „Man rechnet mit 10 Prozent mehr als kalkuliert. Nun sind wir beim Doppelten.“

Erfolgreiche Volksinitiativen müssen im Parlament behandelt werden, mehr Einfluss hat die Aktion vorerst nicht. Dörre, 45-jähriger Rechtsanwalt und Klimaaktivist, ist sich dessen bewusst. Die mächtigeren Wege der direkten demokratischen Mitbestimmung, ein Volksbegehren oder ein Volksbescheid, hätten im Erfolgsfall mehrere Jahre in Anspruch genommen, erklärt er. „So viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen innerhalb von wenigen Monaten Veränderungen erreichen, sonst ist es zu spät.“

Ein rein symbolischer Akt

Dass eine Stadt den Klimanotstand ausruft, ist zunächst ein rein symbolischer Akt, an den keine politischen Handlungszwänge geknüpft sind. Klimanotstand Berlin ist es aber nicht genug, nur ein Zeichen zu setzen. Die Initiative stellt weitere Forderungen, um die Emission von Treibhausgasen drastisch zu reduzieren: ein berlinweites Tempolimit, das bei 30 Kilometern pro Stunde liegen soll, ein rein fleischfreies Angebot in Mensen und Kantinen sowie deutlich höhere Start- und Landegebühren auf Flughäfen.

Georg Kössler, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, unterstützt das gegenüber der taz: „Ich finde, die Initiative setzt an den richtigen Punkten an.“ So weit wie Klimanotstand wollen die Ökos aber nicht gehen, sie wollen laut Kössler lediglich „mehr fleischfreie Angebote an Mensen“.

Das Tempolimit aber tragen die Grünen voll mit, wie Kössler sagt. Ökologischere Start- und Landegebühren fordere seine Partei ohnehin, zusätzlich wolle man Inlandsflüge deutlich teurer machen. Aber er schränkt auch ein: „Dass man so was nicht pauschal durchsetzen kann, ist auch klar.“

Sein Kollege Daniel Buchholz, der umweltpolitische Sprecher der SPD, stimmt nur teilweise zu. Er lehnt ein fleischfreies Angebot in öffentlichen Mensen und Kantinen ab. „Wir müssen dafür sorgen, dass es überall vegetarische und vegane Angebote gibt. Aber allen überall das Fleisch verbieten zu wollen, ist in meinen Augen nicht der richtige Weg. Dann gehen die Leute halt zur Currywurst-Bude nebenan.“

Tempolimit lieber auf Autobahnen

Statt eines innerstädtischen Tempolimits fordert Buchholz eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, die bei 120 oder 130 km/h liegen soll. „Das wäre eine sofort und wirklich wirksame Maßnahme.“ Der Wunsch nach höheren Start- und Landegebühren unterstütze er aber. Dazu habe die Koalition ohnehin eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht.

Ein echtes Ärgernis in den Augen der Initiative: Zum Berliner Emissionsausstoß gibt es keine aktuellen Zahlen. Die neuesten Werte stammen von 2016. Milena Glimbovski, Besitzerin des Geschäfts „Original Unverpackt“ in Kreuzberg und Unterstützerin von Klimanotstand Berlin, sagt: „Wenn ich als Unternehmerin drei Jahre lang keine Steuererklärung abgebe, was glauben Sie, wie schnell mir das Finanzamt vor der Tür steht?“ Es sei ein Unding, dass Berlin keine aktuellen Emissionszahlen vorlege.

Dann gehen die Leute halt zur Currywurst-Bude nebenan.

Daniel Buchholz, SPD

Verfehlt Berlin die Klimaziele für 2020, erfährt die Öffentlichkeit das erst 2023 – auch Buchholz und Kössler sehen das kritisch. Die Umweltverwaltung erklärt gegenüber der taz, schneller gehe es nicht – weil das zuständige Statistikamt Berlin-Brandenburg auf die Zuarbeit von Daten durch Dritte warten müsse.

Ruft Berlin nun bald den Klimanotstand aus? Kössler sagt, die Grünen seien dafür, in der Koalition hänge es vor allem noch an der SPD. Buchholz erklärt, seine Fraktion habe das Thema noch nicht diskutiert.

So schnell wie in anderen Städten werde es in Berlin aber ohnehin nicht gehen, sagt Kössler: „Anderswo entscheiden Lokalparlamente. Wir haben Arbeitskreise, Fraktionssitzungen, Koalitionsrunden. Die tagen nicht alle wöchentlich. Selbst wenn man im Sommer gewollt hätte, wäre das nicht so schnell gegangen.“ Klimanotstand ist in Berlin erst, wenn der Arbeitskreis getagt hat.

Korrektur 21.8., 13.15 Uhr: In einer früheren Version dieses Textes haben wir geschrieben, dass der Bezirk Spandau den Klimanotstand ausgerufen habe. Tatsächlich war es der Bezirk Pankow.

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