Initiative für mehr direkte Demokratie: Die Retter geben auf

Sie wollten niedrigere Hürden für Volksbegehren und mehr Macht fürs Volk. Nun zieht „Volksentscheid retten“ zurück: Der Senat habe sie ausgebremst​.

Protest der Initiative

Da war es eigentlich schon zu spät: Mitglieder der Initiative „Volksentscheid retten“ bei einem Protest während der Koalitionsverhandlungen Foto: dpa

Die Initiative „Volksentscheid retten“ gibt auf. „Am Mittwochmorgen haben die so genannten Vertrauenspersonen das Verfahren bei der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres beendet“, sagte Mareike Witt von der Initiative der taz. Die Entscheidung, nicht das Volksbegehren zu starten, sei im Konsens gefallen. Damit ist das bisher ambitionierteste direktdemokratische Projekt in Berlin gescheitert.

Die Initiative wollte niedrigere Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide sowie die Zusammenlegung von Volksentscheiden mit Wahlen durchsetzen. Zudem sollte erschwert werden, dass das Abgeordnetenhaus Gesetze ändert, die per Volksentscheid verabschiedet wurden – wie etwa das 2014 beschlossene Tempelhofer Feld-Gesetz, das von der damaligen SPD-CDU-Koalition 2016 modifiziert wurde. Die Bürger sollten solche Veränderungen mit einem erneuten Referendum verhindern können.

Da dafür die Verfassung des Landes Berlin geändert werden muss, existieren besonders hohe Hürden für diese Art von direkter Demokratie. Bei einem Volksentscheid muss in diesem Fall die Hälfte aller Wahlberechtigten zustimmen, damit er erfolgreich ist. Bei Volksentscheiden, bei denen nur ein einfaches Gesetz zur Abstimmung steht, reicht dafür ein Viertel der Wahlberechtigten aus – sofern nicht noch mehr dagegen stimmen.

Um diese hohen Hürden zu nehmen und die Mobilisierung zu erleichtern, hatte die Initiative von Anfang an darauf gezielt, eine Abstimmung parallel zur Bundestagswahl Ende September dieses Jahres abzuhalten, berichtet Witt. Dies habe der damalige SPD-CDU-Senat jedoch verhindert, weil er sich für die Zulässigkeitsprüfung insgesamt neun Monate Zeit genommen habe und damit viel mehr als bisher üblich.

„Unser Zeitplan wurde von SPD und CDU durch Verschleppung kaputt gemacht“, kritisiert Witt. Deswegen sei den beteiligten Gruppen bereits seit längerem klar gewesen, dass man nicht mehr ins Volksbegehren einsteigen würde.

Dabei hatte der Prozess erstaunlich erfolgreich begonnen, wie Witt selbst zugibt. Innerhalb von zwei Monaten wurden im Sommer 2016 mehr als 70.000 Unterschriften gesammelt, um die erste Hürde zu nehmen. „Wir waren überwältigt von der Zustimmung.“

Deswegen wolle man auch weiter kämpfen für die Inhalte und sich einen erneuten Anlauf für die nächste Bundestags- oder Abgeordnetenhauswahl vorbehalten. Beide finden – nach derzeitigem Stand – im Herbst 2021 statt. Eine erneute Kampagne müsste laut Witt spätestens 2019 starten.

Mareike Witt

„Unser Zeitplan wurde von SPD und CDU durch Verschleppung kaputt gemacht“

Einiges könnte sich bis dahin schon erledigt haben. Mehrere Punkte hat auch die neue rot-rot-grüne Regierung in ihrem Koalitionsvertrag als Ziel formuliert, etwa die verpflichtende Abhaltung von Entscheiden an Wahltagen und die Einführung von Fristen für die rechtliche Prüfung der Anliegen durch den Senat – damit eine Verzögerungstaktik der Exekutive wie bei „Volksentscheid retten“ und dem „Volksentscheid Fahrrad“ ausgeschlossen wird. „Wir erwarten von Rot-Rot-Grün, dass diese Ziele ambitioniert umgesetzt werden“, betont Witt.

Laut dem demokratiepolitischen Sprecher der Linksfraktion Michael Efler hat der Senat für 2018 einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt. Efler hält die Forderungen der Initiative für sinnvoll und bedauerte deren Rückzug: „Es wäre schön gewesen, wenn das auf direktdemokratischen Weg vorangetrieben worden wäre.“ Er teilt auch die Kritik an der überlangen Bearbeitungszeit des Senats: „Das geht gar nicht.“ Efler fordert eine Höchstdauer von zwei Monaten für die Zulässigkeitsprüfung durch den Senat.

Martin Pallgen, Sprecher der Innenverwaltung, wies darauf hin, dass in diesem Fall zum ersten Mal die Zulässigkeit eines Volksbegehrens geprüft werden musste, das auf eine Änderung der Verfassung gerichtet war. „Gerade die Prüfung von verfassungsrechtlich komplexen Sachverhalten muss seriös erfolgen. Hier geht es nicht darum, Zeitpläne von Initiativen zu hintertreiben, sondern eine rechtssichere Prüfung durchzuführen“, betonte Pallgen.

Zudem sei die Innenverwaltung der Initiative entgegen gekommen, indem sie die übliche Frist für eine Stellungnahme zur juristischen Prüfung mehrfach verlängert und angeboten habe, den Gesetzentwurf zu korrigieren.

Denn das im Gesetzentwurf der Initiative vorgesehene sogenannte fakultative Referendum, mit dem die Bürger nachträglich verhindern können, dass das Parlament vom Volk beschlossene Gesetze wieder ändert, verstößt laut der Innenverwaltung „gegen das Grundgesetz“. Die Verwaltung beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofes von 2009, laut der das Parlament bestimmte Volksentscheide „jederzeit“ ändern oder aufheben können muss. Diese Position hatte die Innenverwaltung der Initiative nach der Abschluss der sehr langwierigen Prüfung im April 2017 mitgeteilt.

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