Inflation in Deutschland: Sozialer Ausgleich für hohe Kosten
Die Verbraucherpreise steigen weiter. Besonders Menschen mit wenig Geld trifft das. Ökonom:innen plädieren für höhere Hartz-IV-Sätze.

In der politischen Debatte geht es nun darum, ob und wie die Inflation ausgeglichen werden sollte. Um Privathaushalte mit niedrigen Einkommen zu entlasten, „wäre eine vorgezogene Anpassung der Regelsätze von Hartz IV sinnvoll“, sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Auch im Vergleich zum September (4,1 Prozent) haben die Verbrauchspreise nochmal angezogen – um 0,4 Prozent. Besonders teuer geworden ist mit plus 18,6 Prozent im Jahresvergleich Energie für Heizung und Warmwasser in Haushalten, sowie als Treibstoffe für Fahrzeuge. Darin spiegeln sich unter anderem die erhöhten Weltmarktpreise wider, da die Coronakrise mit ihrer niedrigen Nachfrage allmählich abklingt.
„Für 2022 erwarte ich, dass sich die Inflation zurückbildet und Mitte des Jahres die Zwei-Prozent-Marke wieder unterschreitet“, sagte Fritzi Köhler-Geib, die Chefökonomin der öffentlichen KfW-Bank. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen um 4,4 Prozent, Wohnungsmieten dagegen nur um 1,2 Prozent.
Wer höhere und hohe Verdienste von beispielsweise 4.000, 5.000 oder mehr Euro monatlich zur Verfügung hat, muss den Lebensstandard trotz Inflation nicht einschränken. Negativ betroffen sind in erster Linie Bürger:innen, die niedrige Einkommen oder Sozialtransfers von beispielsweise 1.000 oder 2.000 Euro pro Monat beziehen.
Ärmere müssen Konsum einschränken
Was das konkret bedeuten kann, hat Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) berechnet. Demnach muss ein durchschnittlicher Einpersonenhaushalt mit weniger als 900 Euro monatlich fast die Hälfte des Geldes für Wohnkosten ausgeben, ein Fünftel für Lebensmittel und sechs Prozent für Verkehr. Inflationsraten von drei, vier oder gar 18,6 Prozent in diesen Segmenten können deshalb dazu führen, dass ärmere Personen ihren ohnehin niedrigen Konsum stark verringern oder sich verschulden müssen.
Daher machen zahlreiche Ökonom:innen Vorschläge, wie sich die Preissteigerungen abfedern ließen, sie formulieren damit auch Ideen für die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. ZEW-Forscher Heinemann riet in erster Linie zu höheren Hartz-IV-Sätzen, weil „die bereits beschlossene Anpassung für 2022 mit 0,76 Prozent weit unter der aktuell stark gestiegenen Inflationsrate“ liegen. Auch Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft plädierte für höheres Hartz IV, „wenn durch die hohen Energiepreisen soziale Härten entstehen“.
Ein weiterer Punkt ist das Wohngeld, ein staatlicher Zuschuss zu den Wohnkosten. Hier würden auch Leute profitieren, die nicht Hartz IV erhalten. „Man könnte kurzfristig über eine Erhöhung der Heizpauschale beim Wohngeld die Haushalte mit geringen Einkommen zielgerichtet für die steigenden Energiekosten entlasten“, sagte Sebastian Dullien, Chef des Instituts für Makroökonomie.
IW-Forscher Schröder sah das ähnlich. Außerdem sprach er die sogenannte EEG-Umlage an, die im nächsten Jahr auf etwa die Hälfte sinken soll: „Wir plädieren für die Abschaffung.“ Die Umlage im Strompreis dient der Finanzierung der Öko-Energie. Ihre Reduzierung oder Abschaffung würde alle Privathaushalte und die meisten Firmen entlasten. Schröder und Dullien brachten auch steuerliche Entlastungen für Leute mit niedrigen Einkommen ins Gespräch.
Eine Variante ist dabei die Erhöhung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer. ZEW-Ökonom Heinemann lehnt einen Inflationsausgleich über Steuermittel in Reaktion auf die höheren Spritpreise jedoch ab. Die höheren Energiekosten durch staatliche Subventionen auszugleichen, wäre inkonsequent, da dies der Klimapolitik der Regierung widersprechen würde, meint er.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau