Indiens unruhiger Nordosten: Nervige Blockade für Unabhängigkeit

Seit fast vier Monaten blockieren Aktivisten vom Volk der Naga die Hauptzugänge zum abgelegenen Manipur. Die Bevölkerung will auch Unabhängigkeit, leidet aber zunehmend.

Leere LkWs warten am Stadtrand von Imphal auf Polizei-Schutz, um im Konvoi die Blockade zu durchbrechen und nach Assam fahren zu können. Bild: dapd

DELHI taz | Zu normalen Zeiten betreut der Sozialarbeiter Zyrus Arthur im ehemaligen Wahlkreis seines Vaters alte Menschen und Behinderte. Doch an normale Sozialarbeit ist im nordostindischen Bundesstaat Manipur derzeit nicht zu denken. "Wir haben jetzt existenziellere Sorgen", sagte Arthur, der in Manipurs Hauptstadt Imphal lebt, der taz. "Uns fehlen Kochgas und Benzin. Die Krise wird von Tag zu Tag schlimmer. Und meine Nachbarn schimpfen schon auf mich."

Denn Arthur ist Angehöriger der Naga-Minderheit in Manipur. Und Naga blockieren seit August die beiden einzigen Zufahrtsstraßen zu dem abgelegenen Bundesstaat an der indischen Grenze zu Birma (Myanmar). Aktivisten sitzen auf der Straße, die sie mit Felsbrocken blockiert haben. Schon mehr als 110 Tage währt die Blockade in den Bergen.

Unten im Tal, wo die manipurische Bevölkerungsmehrheit, Meiteis genannt, lebt, sind nun viele Dinge des täglichen Bedarfs knapp und teuer. Ein Kochgaszylinder kostet statt umgerechnet 8 schon 30 Euro, ein Liter Benzin 3 Euro statt 1 Euro.

Zwei Tage anstehen für Benzin

"Wer normal tanken will, muss zwei Tage anstehen und weiß nicht, ob er überhaupt Benzin bekommt", sagt Arthur. Zucker gibt es kaum noch. So kocht in der Bevölkerung der Ärger hoch, der sich gegen die Naga und die bislang untätig gebliebenen Regierungen in Imphal und Delhi richtet.

In der Bundes- wie der Landeshauptstadt regiert die Kongresspartei. Die weiß genau, auf welchem Pulverfass sie in Manipur sitzt. Nördlich davon liegt der Bundesstaat Nagaland, in dem knapp 2 Millionen Naga leben. In Manipur mit 2,7 Millionen Einwohnern leben weitere 500.000 Naga. Deshalb verlangen die Naga seit Jahrzehnten neue Bundesstaatsgrenzen, die den meisten Naga Platz in einem Bundesstaat bieten würden.

Als im August eine andere Minderheit in Manipur, die Kuki, eine Blockade anzettelte und größere Autonomierechte aushandelte, glaubten sich die Naga benachteiligt und begannen ihrerseits, Straßensperren zu errichten.

Unabhängigkeitsbewegung seit den 50er Jahren

Doch ein Streit mit den Naga ist für die Regierung brisanter als einer mit anderen Gruppen. Die Naga lebten nie unter indischer Herrschaft. Schon seit den 50er Jahren gibt es eine bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung der Naga, die bis heute häufige Scharmützel mit der indischen Armee hat und mit Delhi in langwierigen Verhandlungen über mehr Unabhängigkeit steckt.

Noch 2008 starben nach Angaben Delhis in Manipur 485 Menschen bei sogenannten separatistischen Aktivitäten. 2009 zählte man 300 Opfer. Seither ist deren Zahl gesunken, doch der Konflikt bleibt ungelöst. "Natürlich verlangen wir weiter einen unabhängigen Staat", sagt Arthur, obwohl sein Vater ein gemäßigter Naga ist, der lange Zeit Abgeordneter der Kongresspartei in Imphal war.

Volksheldin seit elf Jahren im Hungerstreik

Einen unabhängigen Staat aber verlangt auch die manipurische Mehrheit, wenngleich nicht so lautstark. Dafür kennt ganz Indien Manipurs Volksheldin: Sie heißt Irom Chanu Sharmila und ist seit elf Jahren - seitdem wird sie zwangsernährt - im Hungerstreik für die Abschaffung eines berüchtigten Notstandsgesetzes.

Das gilt in Manipur seit 1958 und garantiert Soldaten Freiheit von Strafverfolgung. Auch deshalb bezeichnen Menschenrechtsorganisationen Manipur oft als Bundesstaat mit den in Indien schlimmsten Menschenrechtsverletzungen.

Arthur aber sieht die Situation heute militärisch entschärft. "Ich habe keine Angst mehr vor der Armee oder ethnischer Gewalt. Sogar die meisten Naga sind heute wütend auf die Straßenblockierer", sagt er.

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