Impfungen für Kinder und Jugendliche: Piks nur für besonders Gefährdete
Sollen auch junge Menschen bald gegen Corona geimpft werden? Die Ständige Impfkommission wird wohl auf eine solche Empfehlung verzichten.
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So gibt es eine Vielzahl von Aspekten, die bei einer Impfung von Kindern zu berücksichtigen sind. Einige seien hier genannt: die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken, und die Sterblichkeit bei Kindern und Jugendlichen, die Häufigkeit von Folgeschäden wie dem Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (Pims) oder Long-Covid, mögliche Nebenwirkungen der Impfungen, der Einfluss der Impfungen beziehungsweise ungeimpften Alterskohorten auf die Entstehung von Mutationen, die Rolle der Kinder bei der Verbreitung des Virus und das daraus entstehende Risiko für gefährdete Bevölkerungsgruppen sowie die Bedeutung der Impfung für die Herdenimmunität und nicht zuletzt für die gesellschaftliche Teilhabe der Kinder und Jugendlichen.
Bis Ende dieser Woche wird die Entscheidung der Europäischen Arneimittelbehörde (EMA) über die Zulassung des Biontech-Impfstoffs für ab 12-Jährige erwartet. Danach warten Ärzt*innen üblicherweise auf die Empfehlung durch die national zuständige Ständige Impfkommission (Stiko). In dieser Woche verdichten sich nun aber die Hinweise, dass die Stiko die Impfung nicht allgemein für alle, sondern nur für besonders gefährdete Kinder und Jugendliche empfehlen wird. Stiko-Mitglieder berufen sich dabei in Medienberichten vor allem auf eine unzureichende Datenlage zur Sicherheit der Impfung.
„Eigentlich benötigen wir zurzeit kein allgemeines Impfprogramm, um Kinder und Jugendliche selbst vor einer Covid-19-Erkrankung zu schützen“, sagt auch Stiko-Mitglied Fred Zepp, bis vor Kurzem Direktor des Mainzer Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, gegenüber der taz. Weil nämlich das Risiko, schwer zu erkranken, bei Kindern und Jugendlichen nachweislich deutlich geringer ist als bei Älteren, sind die Anforderungen an die Sicherheit einer Impfung hier besonders hoch.
Die Datenlage lässt noch keine Beurteilung zu
Tatsächlich umfasste die Studie, mit der Biontech die Zulassung in Europa und zuvor schon in den USA und Kanada beantragt hat, nur 2.260 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren. Die Hälfte von ihnen erhielt den Impfstoff, die andere ein Placebo.
„Das reicht aus, um von einer ausreichenden Wirksamkeit des Impfstoffs auszugehen“, sagt Zepp. Aber der durchschnittliche Nachbeobachtungszeitraum von 2 bis 3 Monaten sei zu kurz, um die Risiken einer neuen Impfstofftechnologie für den heranwachsenden Organismus zuverlässig zu beurteilen. Außerdem ließen sich Daten zur Krankheitslast von Kindern und Jugendlichen aus den USA nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen, weil in den USA Risikofaktoren wie etwa Adipositas in den jungen Altersgruppen verbreiteter sein.
Ein politisches Ziel für rasche Impfungen, wie die angestrebten Schulöffnungen, sind laut Zepp aus pädiatrischer Sicht kein starkes Argument. „Wir sehen nur wenige Cluster in Schulen, die meisten Infektionen von Kindern und Jugendlichen kommen eher aus dem öffentlichen Raum und den Elternhäusern“, so Zepp. Und für die seltenen Folgeerkrankungen wie Pims und Long-Covid habe sich bisher nicht gezeigt, dass eine Impfung tatsächlich davor schützt.
Eine Erklärung der Stiko ist wenige Tage nach der EMA-Zulassung zu erwarten, sagt Zepp. „Man kann sich durchaus vorstellen, dass eine Impfempfehlung für chronisch kranke Kinder gerechtfertigt ist“, bestätigt auch Zepp. Aber für eine allgemeine Impfempfehlung reichen die Daten aus seiner Sicht noch nicht aus.
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