Impfungen für Geflüchtete und Obdachlose: Das war's schon wieder
Berlin stellt die Impfkampagne in Wohnheimen und Unterkünften für Geflüchtete und Obdachlose wieder ein. Ein Problem ist auch die große Impfskepsis.
Ein großer Teil der Menschen in den Flüchtlingsheimen sind allerdings jünger als 60 Jahre. Und die ausführliche Aufklärung durch einen Arzt ist nicht immer einfach, weil dazu Sprachmittler mit medizinischem Fachwissen nötig wären.
Laut der Hilfsorganisation „Berlin hilft“ wird diese Woche in einigen Heimen mit dem Impfstoff von Biontec weitergeimpft. Der stehe allerdings nur BewohnerInnen zur Verfügung, nicht den ebenfalls priorisierten Beschäftigten. Nach Behördenangaben waren bisher lediglich in drei von 80 Flüchtlingsheimen sowie in den wenigen der gut 100 bezirklichen Obdachlosen- und Flüchtlingsheime mobile Impfteams im Einsatz, in denen schwerpunktmäßig Pflegefälle wohnen.
Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften sowie die dortigen MitarbeiterInnen gehören aber laut Bundesgesundheitsministerium zur Priorisierungsgruppe 2. Sie hätten geimpft werden müssen, bevor die Impfstoffe letzte Woche für die Priorisierungsgruppe 3 freigegeben wurden. Die besondere Gefährdung liegt auf der Hand, wohnen doch die Betroffenen auf lediglich sechs Quadratmetern in Mehrbettzimmern. Sie teilen sich in der Regel auch Sanitärräume mit vielen weiteren Menschen.
Unter Geflüchteten gebe es nicht selten eine ausgeprägte Impfskepsis, wie auch Sozialsenatorin Breitenbach letzte Woche im Abgeordnetenhaus sagte: „Wir haben diese ganzen Fakenews in den sozialen Medien in den unterschiedlichsten Sprachen.“ Beispielsweise kursiere die Behauptung, der Impfstoff von Johnson & Johnson würde speziell für Geflüchtete eingesetzt, um sie unfruchtbar zu machen.
Vorbehaltete unter Geflüchteten
Mehrere Mitarbeiterinnen von Flüchtlingsunterkünften, mit denen die taz sprach, bestätigen solche Vorbehalte unter Geflüchteten. „Dazu trägt auch bei, dass nur die Bewohner damit geimpft werden und wir MitarbeiterInnen nicht“, sagt eine Frau der taz, die ihren Namen nicht nennen will.
Aufgeheizt ist die Stimmung hingegen unter den MitarbeiterInnen von Flüchtlingsheimen. „Bis vergangenen Montag wurde uns versprochen, dass wir Impfcodes zugeschickt bekommen, weil wir nicht zusammen mit den Bewohnern geimpft werden sollen“, sagt eine Sozialarbeiterin der taz. „Dann hat Berlin die Impfungen für die Priorisierungsgruppe 3 freigegeben und es gibt keine Impfcodes mehr.“ Sie hätte sich noch am selben Tag um einen Termin in einem Impfzentrum bemüht. „Aber ich habe erst einen für Ende August bekommen, deutlich später als viele Menschen der Priorisierungsgruppe 3.“
Die Stimmung entlädt sich auf der Facebookseite des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten. Dort schreibt eine Frau: Hätte man ihnen schon im März „mitgeteilt, dass der Senat sich um den Impfschutz der Mitarbeitenden nicht kümmert, wären vermutlich einige von uns bereits geimpft.“ Die Behörden würden von ihrem Team erwarten, dass es positiv auf die Impfbereitschaft unter Flüchtlingen einwirkt, schreibt die Frau weiter. „Aber auf die Frage, seid ihr auch schon geimpft, kann ich keine Antwort geben.“
Viele MitarbeiterInnen seien auch dafür zuständig, positiv getestete Flüchtlinge, die in ihren Zimmern isoliert sind, zu versorgen, hat eine andere Frau geschrieben. Man bringe diesen Menschen Essen, wasche ihre Wäsche und entsorge ihren Müll, sei aber selber ungeschützt.
Einige Betreiber würden von den Mitarbeitern auch verlangen, zweimal pro Woche alle BewohnerInnen auf Corona zu testen, sagt eine Heimleiterin der taz am Telefon. „Wir organisieren uns gerade trägerübergreifend, denn wir akzeptieren nicht, dass der Senat unsere Arbeit so wenig wertschätzt und lieber mit Hochdruck Menschen impft, die weniger hoch priorisiert sind als wir.“ Die Vorbildwirkung der MitarbeiterInnen beim Impfen könne die Impfbereitschaft der Flüchtlinge ganz wesentlich erhöhen, sagt sie. Denn bei Impfungen gegen Masern kenne sie keine Impfskepsis bei Flüchtlingen.
Eine Frau, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, weist auf einen weiteren Aspekt hin: Sie arbeitet in einem Heim, in dem vorwiegend schwangere Frauen und Mütter mit Babys wohnen. Für die seien noch keine Impfstoffe zugelassen. „Eine rasche Impfung von uns MitarbeiterInnen würde darum nicht nur uns selbst, sondern auch die schwangeren Frauen und Babys schützen.“
Manfred Nowak von der AWO Mitte, die als Träger sechs Geflüchtetenunterkünfte betreibt, nennt es einen „Skandal“, dass die Mitarbeiter dieser Einrichtungen keine Impfdosen erhalten, während Beschäftigte in den Landesbetrieben bevorzugt würden.
Impfen auf eigene Kosten
Unter den AWO-Beschäftigten in Flüchtlingsunterkünften seien bereits knapp elf Prozent mit Covid-19 infiziert gewesen, mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung, so Nowak. „Darunter waren bei uns mehrere schwere Krankheitsverläufe. Die KollegInnen, die hoch engagiert in unseren Geflüchteteneinrichtungen tätig sind, sind enttäuscht und empört, dass sie sich trotz des hohen Ansteckungsrisikos bei der Impfung hinten anstellen sollen.“ Die AWO würde nun versuchen, Impfstoffe zu besorgen, um ihre Beschäftigten auf eigene Kosten durch die Betriebsärztin zu impfen.
Kritik am Senat kommt von den Grünen „Das Problem ist eindeutig von der Senatsverwaltung für Gesundheit verursacht“, sagt deren Abgeordnete Susanna Kahlefeld. „Wir können die MitarbeiterInnen und BewohnerInnen dieser Heime nicht im Regen stehen lassen. Sie müssen sofort geimpft werden.“ Christian Lüder von dem Netzwerk „Berlin hilft“ fordert vom Land Berlin, sofort eine eigene Impfstraße für diese Leute aufzubauen, wie das jetzt in einem Pilotprojekt für einige größere Betriebe starten soll.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten zeigt in einem Rundschreiben an die Heime, das der taz vorliegt, Verständnis für den Unmut der Mitarbeitenden – empfiehlt aber, Beschwerden an die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit zu richten. Die wiederum will sich auf Presseanfrage nicht zu dem Thema äußern und verweist auf die Senatsverwaltung für Soziales. Dort heißt es, man suche nach einer schnellen Alternative – gemeinsam mit der Gesundheitsverwaltung.
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