Impfungen für Flüchtlinge: Gefahr hoch, Priorität nicht so
In Berlins Flüchtlingsheimen soll in der zweiten Aprilhälfte das Impfen beginnen. Die Ansteckungsgefahr in den Unterkünften ist hoch.
„Voraussichtlich noch im April“ soll das Impfen in den Flüchtlingsunterkünften des Landes Berlin beginnen. Das sagte Sascha Langenbach, der Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), am Dienstag der taz. Wer in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete wohnt, gehört laut Definition des Bundesgesundheitsministeriums zur Impf-Prioritätsgruppe 2, genau wie etwa Menschen über 70 Jahre, GrundschullehrerInnen, ErzieherInnen, PolizistInnen und ÄrztInnen.
Doch während bei diesen die Impfungen bereits seit Anfang März laufen, müssen BewohnerInnen und MitarbeiterInnen der Geflüchtetenheime noch länger warten. Anders als bei den LehrerInnen oder PolizistInnen macht sich keine Gewerkschaft für sie stark. Sie haben keine Lobby.
Dabei liegt die hohe Ansteckungsgefahr in den engen Gemeinschaftsunterkünften auf der Hand. BewohnerInnen haben dort lediglich Anspruch auf sechs Quadratmeter Wohnraum in einem Zimmer mit anderen Personen. In zwei Dritteln der Heimen müssen sie sich Küchen und Toiletten mit vielen anderen Personen teilen. Abstand halten ist unter diesen Umständen unmöglich, und oftmals sind auch die Gänge so schmal, dass man nicht einmal dort anderen Menschen ausweichen kann.
Hinzu kommt, dass BewohnerInnen von Asylunterkünften, sofern sie Arbeit haben, oft in Bereichen mit hoher Ansteckungsgefahr tätig sind: Sie verteilen das Essen in Krankenhäusern, putzen auf S-Bahnhöfen oder pflegen alte Menschen.
Jede*r 12. positiv getestet
1.431 Mal schlugen Coronatests seit 2020 bei den gut 18.000 BewohnerInnen der LAF-Unterkünfte positiv an, also bei etwa jedem zwölften Bewohner. Vier von ihnen sind 2020 und 2021 an und mit Covid-19 gestorben. Wie viele stationär behandelt werden mussten, wird statistisch nicht erfasst, laut Langenbach sind es aktuell vier.
126 BewohnerInnen von Flüchtlingsunterkünften des LAF sind nach Behördenangaben aktuell infiziert. 56 davon sind in eine spezielle Quarantäneunterkunft nach Pankow gezogen, um ihre MitbewohnerInnen nicht anzustecken. Doch dieser Umzug erfolgt erst dann, wenn nicht nur der Schnelltest positiv anschlägt, sondern dessen Ergebnis Tage später durch einen PCR-Test bestätigt wird. Bis dahin, so kritisieren mehrere Mitarbeiterinnen von Flüchtlingsunterkünften gegenüber der taz, sind Kontakte mit MitbewohnerInnen und BetreuerInnen und damit auch Ansteckungen unvermeidbar.
Gefährdet sind auch die rund 3.500 Mitarbeitenden von Asylunterkünften: Sozialarbeiter, Kinderbetreuer oder Wachschutzmitarbeiter. Wie viele von ihnen an Corona erkrankt waren oder sind, wird statistisch jedoch nicht erfasst. Die taz ist auf viele Einzelfälle gestoßen, darunter auch auf einen Mann, der um den Jahreswechsel herum an einer Corona-Infektion starb. Die AWO sagt der taz, dass 14 ihrer Mitarbeiter in Asylheimen nachweislich mit Corona infiziert waren, darunter eine Person mit einem sehr schweren Verlauf.
Das LAF plant, zur Impfung in den Geflüchtetenunterkünften mobile Teams einzusetzen, ähnlich wie in Seniorenheimen. Ursprünglich war dafür die zweite Aprilhälfte vorgesehen. Da der AstraZeneca-Impfstoff allerdings für Menschen unter 60 Jahren nicht mehr zur Verfügung steht, könnte es zu Verzögerungen kommen. Die mobilen Impfteams sollen nur volljährige BewohnerInnen impfen. 16- und 17-Jährige oder MitarbeiterInnen sollen sich in Impfzentren impfen lassen, sobald ihre Daten dorthin übermittelt sind.
Das Flüchtlingsamt hat Videos in 15 Sprachen produzieren lassen, die über die Impfangebote informieren. Sie würden gut angenommen, heißt es vom LAF: Die meisten Zugriffe gäbe es auf das Video in Somali, gefolgt von Farsi und Russisch. Der Flüchtlingsrat kritisiert allerdings, dass in den Videos nicht auf eventuelle Impfkomplikationen hingewiesen wird. Er kritisiert auch, dass die Unterkünfte und ihre Bewohner erst jetzt durch den Senat mit FFP2-Masken versorgt werden, auf die Menschen ohne Einkommen einen Anspruch haben. Bis Ende März gab es lediglich eine kleine Zahl von OP-Masken pro Person.
Neben den gut 18.000 Flüchtlingen, die in LAF-Heimen wohnen, leben über 33.000 Menschen in Heimen der Bezirke. Nicht alle, aber die Mehrheit davon sind Flüchtlinge. Obwohl auch sie zur Impfprioritätsgruppe 2 gehören, sind derzeit für sie noch gar keine Impfungen geplant. Die Senatsverwaltung für Soziales hat ihrem Sprecher Stefan Strauß zufolge gerade erst bei den Bezirken den Bedarf an Impfstoff abgefragt.
„In einem erste Schritt geht es darum, Einrichtungen mit einem pflegerischen Schwerpunkt zu versorgen, in denen vor allem ältere und kranke Menschen leben“, sagt Strauß der taz. Ob die Bewohner der anderen Heime die Impfzentren selbst aufsuchen sollen oder ob der Senat zumindest in größere Heime niedrigschwellig mobile Teams schickt, stehe noch nicht fest. Zahlen über an Covid-19 erkrankte oder verstorbene Bewohner dieser Einrichtungen liegen dem Senat nicht vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau