Impfstart im Seniorenheim: Nicht nur ein Pieks
Detlef Frobese ist eigentlich für krumme Rücken zuständig. Patrick Krenz arbeitet als IT-Experte. Jetzt sind beide im Corona-Impfteam.
I n der Bibliothek der Bremer Stiftungsresidenz Landhaus Horn werden Stühle beiseitegestellt. Geschirr, Besteck, Servietten und Kerzen wandern von einigen Tischen auf andere, auf der linken Seite des Raumes werden zwei der dunklen Holztische zusammengeschoben und desinfiziert.
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Mehrere rollbare silberne Wagen stehen im Raum, darauf kommen Laptops, Lesegeräte, Handschuhe und Desinfektionsmittel. In den unteren Fächern stehen Notfallkoffer und Wasserflaschen. Eine Frau schneidet Pflaster zurecht, sie landen in einer Nierenschale aus Pappe. Die Menschen im Raum tragen Mund-Nasen-Schutz, jetzt ziehen sie sich noch blaue Kittel über und teilweise Handschuhe an.
„Sind wir so weit, dass ich den Impfstoff aufziehen kann?“, fragt ein Mann. Auch er trägt Mund-Nasen-Schutz, einen blauen Kittel und Handschuhe. Er setzt sich an die zusammengeschobenen Tische, vor ihm liegt eine blaue Unterlage. Er nimmt das erste kleine Fläschchen mit dem lila Deckel, den Impfstoff von Biontech und Pfizer. 0,45 Milliliter Lösung sind in der Flasche, er spritzt 1,8 Milliliter Natriumchloridlösung dazu. Am Ende ergibt ein Fläschchen so sechs Impfdosen.
14 mobile Impfteams alleine in Bremen unterwegs
Nach der Zulassung des Impfstoffs von Biontech und Pfizer kurz vor Weihnachten starteten am 26. Dezember die ersten Impfungen gegen das Coronavirus. Menschen über 80 Jahre und die, die in Alten- oder Pflegeheimen leben, stehen gemeinsam mit medizinischem Personal, das sie betreut oder hohem Risiko ausgesetzt ist, ganz oben auf der Liste.
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Die in jedem Bundesland eingerichteten Impfzentren spielen dabei derzeit nur eine nachrangige Rolle. Die Impfungen in den Alten- und Pflegeheimen werden von mobilen Teams durchgeführt.
Vierzehn solcher mobilen Impfteams sind in Bremen unterwegs. Sieben werden von dem Deutschen Roten Kreuz gestellt, sieben von den Johannitern. Die Gruppen bestehen aus jeweils vier Personen: Eine:r Ärzt:in, einer impffähigen Person, einer Person für die administrativen Aufgaben und eine:r Fahrer:in.
Als sich die Teams an diesem ersten Montag im neuen Jahr beim Impfzentrum auf dem Bremer Messegelände treffen, ist es draußen noch dunkel. Wer zu den Teams gehört oder im Zentrum arbeitet, muss alle zwei Tage einen Coronaschnelltest machen. Wenn das Ergebnis negativ ist, bekommt man einen kleinen Sticker mit dem Datum des Tests, der muss dann auf den Dienstausweis geklebt werden.
Viel los ist im Impfzentrum noch nicht, nur einzelne Menschen gehen zwischen Check-in, den Bereichen für die Aufklärungsgespräche und denen fürs Impfen hin und her. Die Feldbetten und grauen Stühle, die mit Abstand im Ruhebereich aufgestellt sind, sind leer. Die Zahl der hier vorgenommenen Impfungen schwankt. Nach Angaben der Gesundheitsbehörde sind es zwischen 50 und 200 Menschen am Tag.
Nach einer kurzen Besprechung bekommen die mobilen Impfteams ihre Materialien. Den Impfstoff stellt eine Apothekerin für jedes einzelne Team bereit. Sie hat kontrolliert, dass die Kühlkette eingehalten wurde. Am Ende des Tages wird sie die leeren Fläschchen mit der Zahl derer abgleichen, die sie herausgegeben hat.
Jeden Tag in einer anderen Einrichtung
Die mobilen Impfteams fahren jeden Tag in andere Einrichtungen, manchmal in mehrere am Tag. „Ich muss immer gucken, wo ich einen Arbeitsplatz finde, an dem ich unter guten Bedingungen arbeiten kann“, sagt der Mann, der den Impfstoff aufzieht. Er gehört zu einem der drei Impfteams, die die Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen in der Stiftungsresidenz impfen, sofern diese das denn wollen. „Die Spritze zu geben, ist eine recht schnelle Angelegenheit. Die Vorbereitung und Dokumentation braucht Zeit.“
Als er die ersten Spritzen aufgezogen hat, starten schließlich die Teams in die verschiedenen Häuser der Einrichtung. Der Plan war eigentlich, sich an mehreren Stationen zu positionieren, die Bewohner:innen sollten dann dorthin kommen. Stattdessen kommen nun die Impfenden zu denen, die geimpft werden möchten.
Die Bewohner:innen der Stiftungsresidenz leben in eigenen Apartments, manchmal mit de:r Partner:in. Das Haus wirkt gepflegt, die Ausstattung gehoben. Manchmal könnte man meinen, man bewege sich in einem Hotel. Es gibt einen hauseigenen Friseursalon und Kosmetik- und Fußpflegeangebote.
Die Apartments gehen von den hell gestrichenen und mit Teppich ausgelegten Fluren ab. Neben den Türen hängen Schilder, die verraten, wer dort lebt. An vielen Wänden hängen Fotos von Personen, die den Bewohner:innen etwas bedeuten. Viele der älteren Menschen sind recht fit und mit oder ohne Gehhilfe selbstständig im Gebäude unterwegs.
Ob sie geimpft werden wollen oder nicht haben die meisten von ihnen selbst entschieden. Nur einige derer, die in der Tagespflege im Haus betreut werden, sind so schwer demenziell erkrankt, dass ein:e Betreuer:in das übernehmen musste. Zur Impfung in den Räumen der Tagespflege werden sie von Mitarbeiter:innen begleitet. Für manche scheint das alles sehr aufregend zu sein. So viele Menschen in Schutzkleidung sehen sie nicht jeden Tag in ihren Fluren.
Barbara Rotgeri-Nunnemann wahrt den Überblick
Den Überblick darüber, wer an diesem Tag in der Stiftungsresidenz geimpft wird, hat Barbara Rotgeri-Nunnemann. Die Frau mit blonden kurzen Haaren, Brille und Perlenohrringen leitet die Einrichtung. Die trägt eine weiße Bluse, darüber eine grüne Jacke und ein Halstuch. Auf einem Klemmbrett hat sie die Anamnesebögen und Einwilligungen der Bewohner:innen gesammelt, darauf liegen die Versichertenkarten. Sie weiß, wer privat versichert ist und deshalb keine Karte hat, und sagt einem der drei Impfteams, wo als nächstes jemand geimpft werden soll, händigt dem Team die entsprechenden Papiere aus.
Rotgeri-Nunnemann war auch diejenige, die die Unterlagen an die Bewohner:innen verteilt und wieder eingesammelt hat. Und sie hat mit den Johannitern den Impftermin abgesprochen. Eigentlich hätten die schon etwas früher kommen wollen, sie habe aber um den Termin am Montag gebeten, um alles richtig vorbereiten zu können.
Begrüßung der Impfkandidaten
„Ich bin Herr Frobese, ich bin Orthopäde, das heißt, ich bin ein Arzt.“ So begrüßt Detlef Frobese die Bewohner:innen, als er mit seinem Team von Apartment zu Apartment zieht. Unter seinem blauen Kittel trägt er ein grau-grün-kariertes Hemd, Jeans und Turnschuhe, seine grauen Haare sind kurz geschnitten. Frobese ist den älteren Menschen sehr zugewandt und hält auch mal einen Plausch. Die Fragen der Bewohner:innen beantwortet er geduldig. Ein wenig Redebedarf haben einige. Eine Frau sorgt sich, weil es ihr nach der zweiten Dosis einer anderen Impfung vor einiger Zeit nicht gut gegangen war. Ein anderer Bewohner weist noch einmal auf seine Allergie gegen Konservierungsmittel hin. Frobese beruhigt ihn, in dem Impfstoff seien diese nicht enthalten.
Frobese ist an diesem Tag dafür zuständig, die Unterlagen zu prüfen. Den Anamnesebogen und die Einwilligung zur Impfung haben die Bewohner:innen schon im Vorfeld unterschrieben. Frobese prüft, ob etwas gegen die Impfung spricht und ob die Person einen gesunden Eindruck macht. Mit einem Infrarotmessgerät misst er die Temperatur an der Stirn. Nur wer eine Körpertemperatur unter 38,5 Grad hat und in den letzten zwei Wochen keine andere Impfung erhalten hat, darf drankommen.
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Die Impfung wiederum übernimmt nicht Frobese selbst, sondern eine impffähige Person. Das sind medizinische Fachleute wie beispielsweise Gesundheits- und Krankenpfleger. Wenn die Person aber noch mit einer anderen Bewohner:in beschäftigt ist, dann greift Frobese auch mal selbst zur Spritze. Haut desinfizieren, ein Piks. „Das war’s schon“, sagt er zu einer Frau, die er geimpft hat. Die Spritze, die für so viele Menschen so viel bedeutet, ist schnell gegeben.
Es ist Frobeses erster Tag im mobilen Impfteam. Im Bremer Stadtteil Walle führt er eigentlich mit einem Kollegen eine orthopädische Praxis. Impfen ist ihm aber nicht fremd, er würde immer mal wieder Patient:innen gegen Tetanus immunisieren, erzählt er. Außerdem sei er von den Johannitern gut vorbereitet worden und die Produktinformation zum Impfstoff sei sehr ausführlich.
Frobese ist vorerst immer montags beim mobilen Impfen dabei. Dafür gemeldet hatte er sich auf einen Aufruf der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen. Bisher haben sich schon über 700 Mediziner:innen gemeldet, dazu weiteres medizinisches Fachpersonal, obwohl das gar nicht aufgerufen war. „Das ist in der kurzen Zeitspanne eine fantastische Rückmeldung“, sagt ein Sprecher der Vereinigung. Und täglich gingen weitere Meldungen ein.
Auch die „Initiative Bremen impft“ hat eine Webseite gestartet, auf der sich Helfer*innen melden können. Bei den Johannitern, die Personal gesucht haben, gingen über 400 Bewerbungen ein.
Auch Patrick Krenz hat sich beworben und wurde nach einem Vorstellungsgespräch genommen. Er arbeitet als administrative Kraft. Eigentlich ist er an diesem Tag nicht im selben Team wie Detlef Frobese, sondern auf einem anderen Flur unterwegs. Aber mit der Technik in Frobeses Team will es nicht klappen, die Impfungen können nicht im System dokumentiert werden, es scheitert wohl an der Internetverbindung. Deswegen muss schließlich improvisiert werden, zwei Teams schließen sich zu einem zusammen.
Patrick Krenz, administrativer Helfer im Impfteam
Krenz lehnt gemeinsam mit einer Kollegin über dem Laptop, der auf einem der Wagen steht. Seine Aufgabe ist es, die Versichertenkarten der geimpften Bewohner:innen einzulesen und die Daten zu dokumentieren. Anschrift, Alter, liegt eine Einwilligung vor und in welchen Arm wurde die Impfung verabreicht? All das wird im System erfasst und dann an das Robert Koch-Institut übermittelt, erklärt Krenz.
Der dunkelhaarige 30-Jährige, auch er trägt natürlich Schutzkleidung, ist eigentlich IT-Unternehmensberater. Aber in der Coronakrise nimmt kein Unternehmen Geld in die Hand, um sich neue IT zuzulegen, sagt er. Krenz ist in Kurzarbeit. „Ich sitze seit April fast nur zu Hause. Dann habe ich gedacht, ich suche mir etwas, wo ich auch helfen kann.“ Jetzt unterstützt er 20 Stunden in der Woche das Impfen, mindestens noch bis April. Finanziell hat er davon kaum einen Vorteil, sagt er. Was er verdient, wird auf sein Kurzarbeitergeld angerechnet. Krenz findet das nicht schlimm, seine neue Arbeit macht ihm Spaß, auch wenn er sich oft auf neue Situationen und Prozesse einstellen muss. „Das Team ist jedes Mal ein anderes und ich treffe jeden Tag neue Leute“, sagt er.
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Dass es bei all der Organisation und den neuen Abläufen Anlaufschwierigkeiten gab, bestreitet niemand. Mittlerweile sei alles jedoch gut eingespielt, heißt es aus der Bremer Gesundheitsbehörde. Nachdem zunächst in den Alten- und Pflegeheimen gestartet wurde, will die Behörde noch im Januar auch die über 80-jährigen Bremer:innen anschreiben, die nicht in einer Einrichtung, sondern zu Hause leben.
Wie diese Menschen an einen Impftermin gelangen, regeln die Bundesländer unterschiedlich. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie kritisiert, die Anmeldung für die Impfung, die Erreichbarkeit der Impfzentren und die dafür erforderliche Mobilität stelle viele der alten Menschen vor eine nahezu unlösbare Aufgabe.
Das Problem mit älteren Menschen, die daheim wohnen
In Berlin können sich Senior:innen kostenlos mit dem Taxi zum Impfzentrum fahren lassen. Bremen prüft gerade, inwieweit die Menschen durch Fahrdienste unterstützt werden können. Noch keine Lösung ist jedoch für diejenigen in Sicht, die beispielsweise bettlägerig sind und zu Hause gepflegt werden. Das Problem: Der mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer ist sehr empfindlich. Nicht nur muss er bei sehr tiefen Minusgraden transportiert und gelagert werden. Auch aufgetaut ist der Impfstoff sehr empfindlich, darf nicht geschüttelt werden und ist nicht transportfähig. Dass die mobilen Impfteams mit dem Impfstoff von Haus zu Haus fahren, um die Menschen zu impfen, ist also derzeit keine Option.
Auch der gerade zugelassene Impfstoff von Moderna kann nach Angaben eines Sprechers der Bremer Gesundheitsbehörde nicht individuell verimpft werden. Er sei mit Blick auf Schütteln und Transport genauso anfällig wie das Produkt von Biontech. In Bremen versuche man gerade mithilfe von Krankenkassen herauszufinden, wie viele Menschen überhaupt eine Impfung daheim benötigten, um dann Lösungen für sie zu finden. Betroffenen bleibt vorerst nur, abzuwarten und auf die Zulassung eines weniger empfindlichen Impfstoffs zu hoffen.
Bis zum vergangenen Wochenende konnten in Bremen laut Gesundheitsbehörde 5.372 Menschen geimpft werden. Das sind auch deshalb noch recht wenige, weil jeder Mensch zweimal geimpft werden muss. Die zweite Impfung erfolgt nach etwa drei Wochen, und um diese zu ermöglichen, werden entsprechende Dosen zurückgehalten.
Außerdem ist der Impfstoff immer noch Mangelware, was für reichlich Ärger gesorgt hat. Auch die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) kritisiert, dass nicht genug Impfstoff geliefert wird. „Wir sind gut ausgerüstet mit Personal, Teams und Impfbesteck, wir könnten die Impfquote problemlos nach oben anpassen, aber es gibt keinen regelmäßigen Nachschub“, sagt Bernhard.
Hinzu kommt, dass sich manche Bundesländer bei der Verteilung des Impfstoffs, dessen Menge sich nach der Bevölkerungszahl richtet, benachteiligt sehen. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagt, dass Hamburg die gesamte Metropolregion, also etwa 5 Millionen Menschen, und nicht nur die 1,85 Millionen Einwohner:innen, mit Gesundheitsdienstleistungen versorge und deshalb einen großen Bedarf habe, der bisher nicht berücksichtigt worden sei.
In Bremen werden auch Mitarbeiter:innen in den Alten- und Pflegeheimen geimpft, die in Niedersachsen leben. Der Stadtstaat verhandelt mit Niedersachsen deshalb bereits über einen Ausgleich der so verimpften Dosen.
All diese Fragen spielen an diesem Montag in der Seniorenresidenz in Bremen kaum eine Rolle. Früher als gedacht sind die Impfteams schon gegen 14 Uhr fertig. Alle Impfdosen wurden verteilt. Nachdem alle Papiere ordnungsgemäß abgeheftet sind, kann sich das Team auf den Weg machen.
67 der 76 Bewohner:innen haben sich impfen lassen, dazu noch 23 der 50 Mitarbeiter:innen. Die Leiterin Barbara Rotgeri-Nunnemann selbst will damit noch warten. Sie habe das mit Absicht so geplant, damit, falls ungünstige Reaktionen auftreten, noch jemand arbeiten kann, sagt sie.
Zwei Tage später zeigt sie sich am Telefon mit der Impfaktion zufrieden. Sie habe sich umgehört und ihres Wissens nach hätten alle die Impfung gut vertragen. „Manche haben nur ein bisschen Schmerzen im Oberarm, aber das ist ja normal“, sagt sie. Rotgeri-Nunnemann hofft nun, bald geimpft zu werden, wenn die Johanniter wieder kommen, um denen, die schon einen Piks erhalten haben, die zweite Dosis zu verabreichen.
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