Gegen den Stich

Europaweit setzen Regierungen auf die neuen Impfstoffe, um die Coronapandemie zu stoppen. Doch Impfgegner_innen und Pandemie­leugner_innen mobilisieren gegen die Impfung, und die extreme Rechte springt mit auf

Impfgegne­r­_innen und Pandemieleugner_innen auf einer Demons­tration in Kiel

Aus Berlin, Kiel und Hamburg Nora Belghaus, Christian Jakob, Sabine am Orde

Als Walter Weber die Bühne betritt, liegt Kiel im Nebel. Es ist der 12. Dezember, knapp 400 Menschen stehen vor dem Redepult, aus dem das Wort „Freiheit“ herausgeschnitzt wurde. Weber sagt, Coronaviren gebe es seit 70 Jahren und schließt daraus: „Wir zählen hier Erkältungen!“

Weber ist pensionierter Internist und Onkologe, ein älterer Herr mit schütterem Haar und Lachfalten. Die Initiative „Kiel steht auf“ hat ihn als Auftaktredner eingeladen. Die Masken brächten nichts, ruft er, positive PCR-Tests seien „medizinisch völlig wertlos“. Dann geht es ums Impfen: „Ich verrate ihnen ein Geheimnis: Ich habe ein Immunsystem.“ Klatschen, Pfeifen, Rasseln aus der Menge. Mit Mühe erhebt er seine Stimme nochmal mehr: „Ich lasse mich nicht impfen! Nur über meine Leiche!“

Im März habe er gemerkt, dass „die Zahlen nicht zur medialen Panikmache passten“, sagt Weber. Im April gründete er mit drei anderen Mediziner_innen die Stiftung „Ärzte für Aufklärung“. Weil er einen Doktortitel trägt und mit seinen 76 Jahren eine auf Lebenserfahrung gebaute Autorität ausstrahlt, gilt er vielen Pandemieleugner_innen als Experte. Als jemand, der sich auskennt mit PCR-Tests, Inzidenzwerten und mRNA-Impfstoffen.

Menschen wie Weber führen eine Protestbewegung an, die seit dem Frühjahr gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße geht, geeint in dem Glauben, die Pandemie sei ein Fake. Bestärkt werden sie von einem nicht versiegenden Strom der Desinformation. Jetzt mobilisieren sie auf ein Ereignis hin, das alle umtreibt: Den Start der Impfungen.

Am kommenden Montag entscheidet die EU-Arzneimittelagentur über die Zulassung des Impfstoffs Biontec. Um mit den Impfstoffen die Seuche zu stoppen, müssten sich 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. „Impfen ist der Weg raus aus dieser Pandemie“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Und: Vertrauen sei beim Impfen das „Allerallerwichtigste“.

Genau das aber untergraben die Impfgegner_innen: Das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Und Rechte aller Couleur schlagen daraus politisches Kapital.

Jüngsten Umfragen zufolge ist es um das Vertrauen nicht allzu gut bestellt. 2016 bezeichneten sich noch drei Viertel der Befragten in Deutschland als „Impfbefürworter“. Wissenschaftler_innen der Uni Erfurt fanden heraus: Die Impfbereitschaft fällt seit April. Bei ihrer Umfrage Anfang Dezember gab nur rund die Hälfte der Befragten an, sich „(eher) gegen Covid-19 impfen“ lassen zu wollen. „Selbst bei einem perfekt wirksamen Impfstoff würde die aktuelle Impfbereitschaft nicht ausreichen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen“, schreiben die Forscher_innen.

Bei der Kundgebung der Impfgegner_innen in Kiel, auf einem Parkplatz vor dem Ostseekai, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegen, nieselt es. Nur wenige Demonstrierende tragen Masken, dafür aber Buttons mit „Umarmbar“, „Atomkraft Nein Danke“ oder „Pharmaindustrie haftbar machen“. Lautstark begrüßen sie einander und fallen sich in die Arme, witzelnd, man werde ja „von der Staatsmacht beobachtet“. Der Kitt ihrer Bewegung ist das Wir-gegen-das-böse-System-Gefühl. Im Gespräch mit der taz beschreibt es Weber so: Diejenigen, die den „Fake der Pandemie“ besonders schnell bemerkt hätten, seien die Handwerker gewesen. „Die haben die solideste Haltung. Die Intellektuellen intellektualisieren alles, denen fehlt der unverstellte Blick“, sagt Weber. „Die Unterdrückung Andersdenkender“ sei „schon voll aktiv“. Die Hamburger Sparkasse habe ohne Vorwarnung das Konto seiner Stiftung gelöscht, 20.000 Euro Spendengelder seien an die Spen­de­r_in­nen zurücküberwiesen worden. Auch die Sperrung ihres Youtube-Kanals belege das, sagt er.

Wer Europas Rechte verstehen will, muss länderübergreifend recherchieren. Seit 2018 dokumentiert die taz im Verbund Europe’s Far Right die Strategien und Netzwerke der Rechten in Europa. Bis März 2021 geht es in einer neuen Serie darum, wie die Populisten versuchen, die sozialen Verwerfungen der Co­ro­na­krise für ihre Agenda zu nutzen. Die Recherchen erscheinen parallel in „Libération“ (Paris), „Falter“ (Wien), „Gazeta Wybor­cza“ (Warschau), „HVG“ (Budapest), „WOZ“ (Zürich) und „Internazionale“ (Rom), gefördert durch das Investigative-Jour­nalism-for Europe-Programm (IJ4EU). Unter taz.de/efr finden Sie eine längere Version dieses Textes.

Andere belassen es nicht dabei, sich als „unterdrückte Andersdenkende“ zu sehen. Mitte Mai tragen Demonstrierende in Wien zum ersten Mal ein Schild mit der Aufschrift „Impfen macht frei“, dazu ein Bild aus ­Auschwitz, wo „Arbeit macht frei“ über dem Tor steht. Auch die AfD Salzgitter verbreitet zwischenzeitlich ein Bild mit dem Slogan. In Frankfurt, Zürich, Hamburg und anderen Städten tragen Pandemieleugner_innen Armbinden mit Davidsternen. Darauf steht: „Ungeimpft“.

Weber ist fertig mit seiner Rede. Er sieht müde und abgekämpft aus. Seit Mai fährt er fast jede Woche in eine andere Stadt. Manchmal auf Einladung des Veranstalters, manchmal nur, um Flyer zu verteilen und Kontakte zu knüpfen. Auch Ärzt_innen aus dem Ausland hätten ihn eingeladen. Ungarn, Italien, zuletzt „sogar die Japaner“.

Wenn Weber nicht unterwegs ist, verschickt er aus Hamburg Flyer, die aufklären sollen – und dabei vor allem Ängste schüren. Auf dem letzten Flugblatt steht: „Zwang zur Impfung droht“, darunter das Foto eines Kinds, das geimpft wird. Die „Ärzte für Aufklärung und Professor Dr. Stefan Hockertz“ warnen vor „80.000 Toten und 4 Millionen Impfgeschädigten durch eine Corona-Zwangsimpfung in Deutschland“. Das Paul-Ehrlich-Insitut (PEI) widerspricht vehement: Weder in den klinischen Prüfungen an mehreren zehntausend Personen noch bei den Impfungen in Großbritannien seien folgenschwere Reaktionen oder gar Todesfälle beobachtet worden.

Andrea Feuer gehört zu jenen, die solche Zahlen ängstigen. Sie bringt seit 2017 „die Impfkritik in Deutschland auf die Straße“, sagt sie bei einer Demo in Berlin bereits im September 2019, zu sehen in einem Youtube-Video. Die kräftige Frau mit Kurzhaarschnitt, Ende 40, trägt Orange – passend zur Farbe des Banners mit der Aufschrift: „Für freie Impfentscheidung – gegen Zwangsbehandlungen!“ Von einem Blatt Papier liest sie etwas unsicher ihre Rede ab.

Feuer ist Fachangestellte für Zahnmedizin und eine von zwei Gründerinnen des „Netzwerks Impfentscheid Deutschland“. Das ist der deutsche Ableger eines gleichnamigen Schweizer Netzwerks, das von der rechtspopulistischen SVP unterstützt wird. Schon als 2017 die Impfberatungspflicht für Eltern in Deutschland eingeführt wird, wertet Feuer das als politisches „Zügel anziehen“. Sie beschließt, politisch aktiv zu werden. 2019 erreicht ihr Kampf einen ersten Höhepunkt: Das Masernschutzgesetz wird beschlossen. „Wir leben in einem Land, in dem die Demokratie nur noch dem Schein dient“, ruft Feuer auf der Demo gegen die Masernimpfung im September 2019 ihrem Publikum zu. Nur ein halbes Jahr später werden diese Sätze auch dem Publikum der Coronaproteste einheizen.

Heute nennt Feuer die geplante Impf­offensive ein „Menschenlabor“. Sie sei keine Impfgegnerin, sondern Impfkritikerin, versichert sie der taz. Impfungen seien nicht per se ein Problem, aber das „anerzogene Mantra“, nach dem Impfungen als „höchstes Gut der Medizin“ gelten. Es werde „unkontrolliert“ geimpft, ohne differenzierte Diagnostik auf Vorerkrankungen. Das Paul-Ehrlich-Institut widerspricht auch dieser Behauptung und verweist auf den Beipackzettel, der über Risiken für bestimmte Gruppen, Wechselwirkungen und Nebenwirkungen informiert. Selbstverständlich würden Ärzt_innen Impfwillige daraufhin befragen und untersuchen. Zudem seien bei den klinischen Prüfungen auch Angehörige der Risikogruppe geimpft worden.

Sechs bis sieben Beratungsanfragen zum Thema Impfung bekomme An­drea Feuer jeden Tag. Einige davon leiteten Webers „Ärzte für Aufklärung“ an sie weiter. Feuer spricht mit der warmen Stimme einer besorgten Mutter, das wirkt vertrauenerweckend. Ihre Argumente klingen für Laien einleuchtend. Auch, weil sie Unwägbarkeiten anspricht, die die Wissenschaft tatsächlich noch nicht ausräumen kann: etwa, welche Langzeitfolgen die Corona-Impfung haben kann.

Feuer ist auch deshalb erfolgreich, weil beim Versuch der Politik, den Impf­geg­ne­r_innen etwas entgegenzusetzen, noch Luft nach oben ist. Das Gesundheitsministerium hat zwar einen „Steuerungskreis Kommunikation“ für „eine transparente, proaktive und zielgruppenspezifische Kommunikationskampagne“ eingerichtet. Aber ein Interview mit einer Vertreter_in verweigert das Ministerium. „Machen wir nicht“, sagt ein Sprecher kurz angebunden – ohne Begründung.

„Schiebt euch eure Giftspritze in den Arsch“, sangen Demonstrierende in London

Minister Jens Spahn müht sich indes nach Kräften. Nebenwirkungen sollen Geimpfte per App melden können. „Wir werden das sehr, sehr transparent machen“, sagt er und versichert: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“

Andrea Feuer beruhigt das nicht. Sie glaubt, der Impfzwang komme indirekt. Airlines hätten schließlich schon angekündigt, nur Geimpfte an Bord zu lassen. „Erst die Reisefreiheit, dann mal weitergesponnen die Veranstalter, die sagen, in unser Konzert kommen Sie nur noch mit Immunitätsausweis.“

Auf Feuers Kundgebungen und im Netz, auf ihrem Blog und in dem Telegram-Kanal mit über 9.000 Followern wird die Pandemie geleugnet und als „Coronahype“ heruntergespielt, Infektionszahlen werden in Zweifel gezogen – und Panik vor einem drohenden Impfzwang verbreitet. Vor den Ängsten, die sie schürt, scheint sie selbst nicht gefeit. Mit dem nahenden Impfstart wird auch der Ton von Feuers E-Mails an die taz aufgeregter. Noch spät am Abend schreibt sie, sie habe gerade den „Corona-Ausschuss“ angeschaut – eine Gruppe von Jurist_innen, die in Videokonferenzen die Coronamaßnahmen hinterfragen und Fakten und Falschinformationen so miteinander verbinden, dass am Ende immer klar ist: Die Pandemie ist ein Fake. Feuer schreibt: „Ich rate Ihnen dringend, sich diese komplette Sendung anzuschauen. Es gab bei dem Covid-19-Impfstoff überhaupt keine prätoxische Studie.“ Nun würden „Menschenversuche“ stattfinden. Feuer bittet darum, „dabei mitzuhelfen“, dies aufzudecken. „Es geht um Leben und Tod!!!“ Dass es keine prätoxische Studie gegeben habe, ist eine Falschbehauptung.

Es ist genau diese Sorte Angst, die Populisten und extreme Rechte, fast überall in Europa, derzeit nach Kräften anzuheizen versuchen.

„Schiebt euch eure Giftspritze in den Arsch!“, singen Demonstrierende etwa Mitte November auf dem Trafalgar Square in London. Zu dieser Zeit tauft Nigel Farage seine Partei in „Reform UK“ um. Farage ist Gründer der rechtspopulistischen Ukip sowie später der antieuropäischen Brexit Party. Mit Reform UK will er nun als Sprachrohr der Coronaprotestierer punkten.

Die rechtspopulistische Schweizer SVP unterstützt das „Stopp Impfpflicht“-Referendum. In dessen Komitee sitzt Daniel Trappitsch vom „Netzwerk Impfentscheid“ – der Schwesterorganisation des Netzwerks von Andrea Feuer.

In Paris zogen kürzlich rund einhundert Menschen vor das Gesundheitsministerium. „Die Kur ist schlimmer als die Krankheit“, stand auf einem Transparent der „Les Patriotes“, einer Abspaltung des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Florian Philippot hatte nach einem Streit mit Marine Le Pen 2017 seine eigene Partei gegründet. Nun steht er in Frankreich im Zentrum jener politischen Kräfte, die Covid-19 für eine Verschwörung und den Impfstoff als Gefahr sehen.

„Es hat eine Radikalisierung stattgefunden. Das muss man sehr ernst nehmen“

Georg Maier, Innenminister von Thüringen, warnt vor Angriffen auf Impfstofflager

Die österreichische FPÖ, die seit Kurzem wieder auch offiziell enge Verbindungen mit den rechtsextremen Identitären hat, ist nach anfänglichem Zögern auf den Zug aufgesprungen. FPÖ-nahe Medien wie der Wochenblick hofieren die „Corona-Rebellen“, FPÖ-Politiker treten mit ihnen auf. „In der Frage der Corona-Impfung wird von allen wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Standards abgerückt“, behauptete Parteichef Norbert Hofer am Mittwoch. „Die Menschen zu so einer Impfung zu verpflichten, ist schlichtweg verantwortungslos und darf nicht stattfinden.“

Identitären-Chef Martin Sellner läuft bei Kundgebungen der „Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen“ mit. Schon im April hatte er in der neurechten Zeitschrift Sezession von Götz Kubitschek, der in Sachsen-Anhalt einen Kleinverlag betreibt, geschrieben, durch die Coronaproteste könne „das Wachstumspotenzial des patriotischen Lagers“ steigen. Die Krise könne „vielleicht sogar in die Nähe politischer Macht führen“.

Denn so wie der AfD ist den radikal Rechten in vielen Ländern das durchschlagende Thema abhanden gekommen. Sie versuchen, ein neues zu finden – und neue Wähler_innen dazu: die Veränstigten in der bürgerlichen Mitte. Coronaprotest und das Schüren von Impfpanik sollen dabei helfen.

Das Internet ist ihnen behilflich, den Rechten und den Impfgegner_innen. Seit 2019 stieg die Zahl der englischsprachigen Social-Media-Accounts von Impfgegner_innen weltweit um 7,8 Millionen. 31 Millionen User_innen folgen Impfgegnergruppen auf Face­book, 17 Millionen auf Youtube. Das zeigt eine Studie des britischen Center for Countering Digital Hate. Von einer „Infodemie“ spricht Siddhartha Datta von der Weltgesundheitsorganisation WHO. Fehlinformationen, die die Impfbereitschaft untergraben, seien ein Teil dieser Infodemie. „Die Interessengruppen verwenden an verschiedenen Orten verschiedene Narrative“, sagt Datta. Ein Beispiel seien etwa „anthroposophische Gruppen“.

Auch die EU-Kommission sieht das Treiben der Impfgegner_innen mit Sorge. „Extrem ernst“ sei die Lage, sagt ein Sprecher der Generaldirektion Gesundheit. In fünf EU-Behörden sind Beamte damit befasst, gegen die impfbezogenen Fake News vorzugehen. Die EU-Botschaften haben ein Warnsystem für Fake News eingerichtet. Vor allem aber setzt die EU auf die Kooperation der Internetkonzerne. „Wenn Sie heute bei Google nach ‚Covid-19-Impfung‘ suchen, werden sie zur WHO oder anderen zuverlässigen Quellen geleitet. Das ist ein großartiger Beitrag“, sagt Siddhartha Datta von der WHO. Facebook, Twitter, Mozilla, Google, Microsoft und zuletzt Tiktok haben eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, um gegen Fake News vorzugehen. Der Mes­sen­gerdienst Telegram ist bislang nicht dabei. Über diese Plattform kommuniziert die Bewegung am liebsten.

Mit Sorge schaut auch Thüringens Innenminister Georg Maier, derzeit Vorsitzender der Innenministerkonferenz, auf die Impfgegner_innen . „Die ideologische Verhärtung bei einem Teil der Impfgegner ist sehr groß, es hat eine Radikalisierung stattgefunden“, sagt Maier der taz. „Wir müssen davon ausgehen, dass es unter den Impfgegnern Kräfte gibt, die nicht davor zurückschrecken, einen Angriff auf ein Impfstofflager durchzuführen.“ Maier will die Lager von der Polizei schützen lassen. Zudem zeige die Diskussion um die niedrige Impfbereitschaft den Rechtsextremisten, dass hier Anknüpfungspotenzial bestehe. „Das muss man sehr ernst nehmen.“

Walter Weber ist auf Demonstrationen in ganz Deutschland unterwegs, um vor dem Impfstoff zu warnen Fotos: Andreas Oetker-Kast

Ein Teil der AfD sieht das mit dem Anknüpfungspotenzial ähnlich. An einem Freitagabend Ende Oktober steht Björn Höcke vor der Stadthalle in Cottbus. Der Thüringer AfD-Chef, Anführer des offiziell aufgelösten „Flügels“, und von den Behörden offiziell als Rechtsextremist eingestuft, kritisiert staatliche „Repressionen“, spricht von „Erstürmungen von Wohnungen“, „Inhaftierungen“ und „Zwangsimpfungen mit erbgutveränderndem Impfstoff“. All das erwäge der Staat. Applaus auf dem Platz, auf dem sich etwa 350 Menschen versammelt haben.

Höcke meint die sogenannten mRNA-Impfstoffe, zu denen auch jener von Biontech und Pfizer gehört, der höchstwahrscheinlich nun in der Europäischen Union zugelassen wird. Es gibt keine wissenschaftliche Belege dafür, dass Impfstoffe wie dieser das Erbgut verändern. „Warnungen vor Erbgutschäden sind falsch und verursachen unbegründete Ängste“, sagt auch der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek. Das hinderte den AfD-Abgeordneten Steffen Kotré nicht, das Märchen vom Impfstoff, der „ins Erbgut eingreift“, am Mittwoch im Bundestag zu wiederholen.

Genau wie die FPÖ versuchen auch Höcke und ein großer Teil der AfD – nach anfänglicher Corona-Orientierungslosigkeit – bei den Pandemieleugner_innen anzudocken. Es sei ein großes Verdienst der sogenannten Querdenker-Bewegung, lobte Höcke kürzlich, dass es ihr gelungen sei, neue Bevölkerungsgruppen an „die demokratische Straßenkultur“ heranzuführen. Die „friedlichen und gesetzestreuen Bürgerproteste“ stellten, „wenn wir an sie andocken, auch ein großes neues Wählerpotenzial dar“.

Nicht alle in der AfD denken so. Parteichef Jörg Meuthen hat jüngst vor zu viel Nähe zur Querdenken-Bewegung gewarnt. Fragt man im Bundestag nach einer abgestimmten Position der AfD-Fraktion zur Corona-Impfung, bekommt man auch eine eher gemäßigte Antwort. „Wir halten Impfen für richtig, für einen wichtigen medizinischen Fortschritt“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher Detlev Spangenberg am Telefon vorsichtig. „ Aber sie sollte freiwillig sein.“

Deutsche Reichsfahne bei einer Demonstration der Querdenken-Bewegung in Berlin Foto: Fritz Engel/Zenit

Doch vielen in Fraktion und Partei reichen solche Äußerungen nicht. Einer der in dieser Frage besonders aktiven AfDler ist der bayrische Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller. Bei der jüngsten Kundgebung vor dem Reichstag war er auf einen Klavierhocker gestiegen und hatte eine Rede gehalten. Hinter der Coronapolitik versteckten sich „die Finanz- und Pharmaindustrie“, rief er. Müller ist einer der drei AfD-Abgeordneten, die an jenem Tag Gäste in den Bundestag brachten, von denen einige dort Abgeordnete anderer Fraktionen bedrängten. Weil Müller krank ist, sagt er ein Treffen ab, beantwortet Fragen aber per Mail. „Mir geht das alles viel zu schnell!“, schreibt er auf die Frage, wie er zum Impfen stehe. Nach einer solch kurzen Zeit halte er es für verwegen zu behaupten, dass der Impfstoff sicher sei.

Wie Andrea Feuer warnt er vor einem „indirekten Impfzwang“. Nicht Geimpfte könnten vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden oder ihren Arbeitsplatz verlieren. In Sachsen-Anhalt hat die AfD im Landtag einen Antrag eingebracht, der die Regierung auffordert, eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ zu verhindern.

Hansjörg Müller hält die Maske für Freiheitsberaubung und Corona für eine Verschwörung von Bill Gates, der die Menschen zwangsimpfen und daran verdienen wolle. Die Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“ stört ihn nicht. „Das belustigt mich total“, sagte Müller jüngst im ZDF. Er schickt der taz ein Video von „Prof. Hockertz“, einem der angeblichen Fachleute mit Professorentitel, die die Coronaskeptiker_innen gern herumreichen. Hockertz wird auch auf dem Flyer von Walter Weber von den „Ärzten für Aufklärung“ zitiert. Und so finden sich Impfgegner_innen und radikale Rechte immer öfter Seite an Seite wieder.

Für dieses Wochenende hat An­drea Feuer zu Schweigemärschen gegen die Coronamaßnahmen in Deutschland und Österreich aufgerufen, gemeinsam mit der Gruppe „Kündigt Ramstein Air Base jetzt!“ aus der Friedensbewegung. Außerdem hat sie seit Anfang Dezember 100.000 Flyer drucken lassen. Die Nachfrage sei so groß, dass sie 60.000 weitere nachbestellt habe. Feuer sagt, sie glaube nicht, dass das Impfziel in Deutschland erreicht werde.

Auch Walter Weber ist zuversichtlich. Die Menschen würden „sich das nicht länger gefallen lassen“, sagt er im Anschluss an seine Rede in Kiel. Die Protestierenden haben sich zu einem Demonstrationszug in Richtung Innenstadt aufgestellt. Diesen Samstag ist für Weber wieder Demotag. Geht es nach Weimar oder doch Offenburg? Er hat den Überblick verloren.

Sabine am Orde ist Inlandskorrespondentin der taz.

Nora Belghaus ist Redakteurin im Onlineressort.

Christian Jakob arbeitet im Ressort Reportage und Recherche.